Profitiert China von Afrikas Impfstoff-Bedarf?
2. Februar 2021Nach nichts gibt es gerade auf der ganzen Welt wohl so viel Nachfrage wie nach Corona-Impfstoff. Die von Pfizer und Biontech, Moderna und AstraZeneca haben dabei eines gemeinsam: Es gibt zu wenig davon. Die verfügbaren Dosen landen in den Ländern mit den dicksten Geldbörsen.
Das NGO-Netzwerk The People's Vaccine Alliance berichtet, dass reiche Nationen, die nur 14 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, mehr als die Hälfte der vielversprechendsten Impfstoffe aufgekauft haben. Afrika steht in der Schlange dagegen ganz hinten: Laut der Economist Intelligence Unit werden die Impfstoffe in den meisten afrikanischen Ländern frühestens im April 2022 verfügbar sein.
Frust über den Westen
Afrika hat bis jetzt etwa 900 Millionen Dosen vorbestellt. Die afrikanische Seuchenschutzbehörde CDC prognostiziert, dass der Kontinent mindestens 1,5 Milliarden benötigt, um 60 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Die Beschaffung und die Einrichtung von Verteilungssystemen könnten bis zu 10 Milliarden Dollar kosten.
Das führt zu großem Frust. "Wir müssen als Kontinent und Land unabhängig sein, was Impfstoffe und pharmazeutische Produkte angeht", sagt Kenias Gesundheitsminister Mutahi Kagwe zur DW. "Es ist töricht, sich in medizinischen Fragen auf die westlichen Nationen zu verlassen. Wir wollen nicht immer die Letzten sein, an die man denkt."
Die frühere ruandische Gesundheitsministerin Agnes Binagwaho hat eine ähnliche Botschaft an den Westen. "Seien Sie ehrlich und sagen Sie: 'Mein Volk zuerst'. Lügen Sie uns nicht an und sagen Sie, wir sind gleichberechtigt", sagt sie der DW.
Erste Dosen kommen an
Südafrika erhielt diese Woche eine Millionen Dosen von AstraZeneca aus Indien. Ruanda hat eine Million von den US-Pharmafirmen Pfizer und Moderna bestellt, die erste Lieferung soll noch im Februar eintreffen. Und Uganda erwartet seine ersten Dosen von Moderna, Pfizer und AstraZeneca im April.
Das COVAX-Programm hofft zudem, bis Ende des Jahres mindestens 1,3 Milliarden Dosen an 92 Länder mit niedrigem Einkommen liefern zu können. Die Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Impfbündnisses GAVI setzt sich für eine gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen in armen Ländern ein. Doch sie kann nur von der WHO zugelassene Impfstoffe kaufen. Dazu gehört bislang nur der von Pfizer.
Blick nach Osten
Einige afrikanische Länder suchen daher nach Alternativen. Die Seychellen verabreichen bereits den in China hergestellten Sinopharm-Impfstoff, Guinea impft den russischen Sputnik V. Auch Kenia interessiert sich für den chinesischen Impfstoff. "Wir sind in Kontakt mit AstraZeneca und Sinopharm und Pfizer", erklärt Minister Kagwe. "Doch die Frage ist: Wer hat überhaupt Impfstoff zu verkaufen? Europa hat alles aufgekauft."
Noch nutze der große Teil Afrikas nicht vorranging Sinopharm, sondern alles, was ihnen in die Hände gerate, sagt Eric Olander, Gründer der Informationsplattform "China-Africa-Project". Und selbst, wenn etwa Pfizer plötzlich genug Impfstoff zur Verfügung hätte, würde es Afrikas Problem nicht lösen. "Diese Impfstoffe wurde nicht für Entwicklungsländer hergestellt, sie müssen eingefroren werden", kritisiert Olander. "Diese Impfstoffe sind in vielerlei Hinsicht für die meisten Entwicklungsländer unbrauchbar, weil die Infrastruktur, die zu ihrer Lagerung benötigt wird, nicht vorhanden ist."
China und Russland betonen hingegen, dass ihre Impfstoffe bereits verfügbar sind und unkompliziert im Kühlschrank gelagert werden könnten. Bereits im Mai versprach der chinesische Präsident Xi Jinping, chinesische Corona-Impfstoffe vorrangig dem globalen Süden zur Verfügung stellen zu wollen.
"Europa und Amerika konzentrieren sich auf sich selbst, und China ist eingesprungen und hat viel investiert, um in den afrikanischen Impf-Markt einzusteigen", sagt Afrikawissenschaftler Robert Kappel von der Universität Leipzig der DW. Zwar habe die EU der WHO viel Geld gegeben, um Impfstoff für afrikanische Länder zu sichern, "aber China war schon bereit für die Verteilung", so Kappel.
Der Retter in der Not?
Dadurch könnte Chinas Einfluss in Afrika zunehmen. Bereits seit Jahren befindet sich China und westliche Staaten in einem Wettbewerb um mehr politischen und wirtschaftlichen Einfluss in Afrika. China hat in diversen afrikanischen Ländern umfangreiche Infrastrukturprojekte finanziert.
Westliche Staaten werfen der Volksrepublik dagegen vor, vor allem an den Bodenschätzen des Kontinents interessiert zu sein. Auch in einigen afrikanischen Ländern war der Unmut über den chinesischen Einfluss in den letzten Jahren gewachsen. Das könnte sich jetzt ändern.
"Wenn China es geschafft hat, Impfstoffe zu verabreichen und einen großen Teil der Afrikaner zu retten, glauben Sie, dass diese dann China negativ sehen werden?", fragt Ruandas Ex-Ministerin Binagwaho rhetorisch.
Politisches Kalkül
Eric Olander vom "China-Africa-Project" sieht hinter der chinesischen Impfstoff-Offensive daher knallhartes politische Kalkül: "Dies ist eine Gelegenheit, den Rivalen USA und Europa buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen. Warum sollte China das nicht ausnutzen?"
Tatsache sei, dass China, Indien oder auch Russland im Gegensatz zu den Europäern in der Lage seien, Impfstoffe in einem Umfang zu produzieren und zu liefern, der konkurrenzlos sei. "Ob sie sich tatsächlich um die Menschen sorgen, denen sie die Impfstoffe geben? Wer weiß das schon. Aber am Ende des Tages erfüllen sie einen Bedarf, den andere nicht erfüllen." Allerdings ist bisher nicht durch unabhängige wissenschaftliche Studien erwiesen, wie wirksam der chinesische Impfstoff wirklich ist. Laut Angaben der chinesischen Regierung liegt die Wirksamkeit bei 79 Prozent.
Afrika werde sich in der Zukunft an die Corona Pandemie erinnern, zum Vorteil Chinas, so Olander. "Die Europäer werden eines Tages nach Afrika zurückkommen und sagen: 'Wir sind ein besserer Partner für euch als die Chinesen'. Und die Afrikaner werden sagen: 'Wo wart ihr, als wir euch gebraucht haben?'"
Mitarbeit: Rosie Birchard, Mariel Müller, Alexandra von Nahmen