Neue Biografie über Ayatollah Chomeini
23. März 2021Der Zugang zu politischen Umwälzungen mag sich bisweilen über die Gefühle derer öffnen, die sie vorantreiben. Bei Ayatollah Ruhollah Chomeini, dem Anführer der islamischen Revolution im Iran von 1979, ist das schwierig. Was er empfinde, nun, da er nach über einem Vierteljahrhundert wieder in seine Heimat zurückkehre, fragte ihn ein Reporter während des Fluges aus seinem französischen Exil in den Iran. "Nichts", soll Chomeini geantwortet haben. Ähnlich nüchtern auch die Reaktion auf den Tod seines ältesten Sohns Mostafa im Jahr 1977: "Wir sind alle vergänglich. Gott hat ihn uns gegeben und jetzt wieder genommen. Jetzt an die Arbeit, meine Herren!" Noch kälter zeigte er sich gegenüber den Kindern, die während des irakisch-iranischen Krieges in die Schlacht- und Minenfelder geschickt wurden. Mit dem Blut der Jugend gedeihe der Baum des Islam, rief er ihnen zu.
Auf der Suche nach den Motiven, die Chomeini antrieben, spannt die an der Universität Köln lehrende Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur einen weiten zeitlichen Bogen, der vom 20. Jahrhundert bis zurück zu den Gründungsmythen des schiitischen Islam im siebten Jahrhundert reicht.
Lehren aus der Geschichte der Schiiten
In deren Zentrum steht Ali, der Schwiegersohn des Religionsstifters Mohammed. Von diesem als Nachfolger bestimmt, musste Ali zunächst drei Rivalen den Vortritt lassen. Als er das Kalifen-Amt dann endlich innehatte, verlor er es durch ein Schiedsgericht an den mächtigen Provinzgouverneur Muawiya. Als dieser schließlich seinen Sohn Yazid zum Nachfolger erklärte, wurde Alis Sohn Hussein von den Einwohnern der Stadt Kufa gebeten, sie von dem diktatorisch regierenden Yazid zu befreien. Auf die Unterstützung der Bewohner der Stadt Kufa rechnend, sah sich Ali in Kerbala dem gewaltigen Heer Yazids gegenüber, musste aber feststellen, dass seine Verbündeten ihr Versprechen nicht eingehalten hatten: Husseins Krieger, dem Feind deutlich unterlegen, wurde vernichtend geschlagen, er selbst starb. Für die Schiiten ist die unterlassene Hilfe ihrer Vorfahren einer der Urszenen ihres Glaubens, für die sie bis heute Buße tun.
Die Erzählung vom Schiedsgericht hatte für Chomeini laut Amirpur eine herausgehobene Bedeutung. Er habe daraus die Lehre gezogen, wie er während der Revolution erklärte, dass man sich mit dem politischen Gegner weder auf Verhandlungen noch ein Schiedsgericht einlassen dürfe. "Als Minderheit ist man zwangsläufig unterlegen, egal, wie sehr man auch im Recht ist", umreißt Amirpur Chomeinis Weltsicht. Auch das im Schiitentum zentrale Element der Buße beziehungsweise der Wiedergutmachung des einstigen Versagens hat er auf seine Weise ausgelegt, sagt Amirpur im DW-Gespräch: Nämlich dadurch, gegen den - in Chomeinis Augen – "Tyrannen der Gegenwart" zu kämpfen, den Schah Reza Pahlevi.
Erfolg des Klerus durch Anti-Tabak-Kampagne
Aus neuerer Zeit nennt Amirpur eine Episode im Kampf des Iran gegen westliche Einflussnahme, die für die politische Entwicklung Chomeinis prägend war. Es war der sogenannte Tabakaufstand Ende des 19. Jahrhunderts und seine Folgen. 1890 hatte der König Nasreddin Schah aus der Dynastie der Kadscharen der britischen Imperial Tobacco Company das Monopol über den iranischen Tabakhandel überlassen. Der Akt sorgte bei der Bevölkerung für enormen Unmut. Um das Monopol zu unterlaufen, erließ Hasan Schirazi, einer der führenden Geistlichen, eine Fatwa, die den Tabakgenuss verbot. Die Gläubigen hielten sich daran, der Konsum und mit ihm der Verkauf kamen zum Erliegen. Nasreddin Schah löste den Monopol-Vertrag schließlich wieder auf. Durch dieses Vorgehen gewann die Geistlichkeit immens an Prestige: "Die Fatwa hatte den ersten politischen Massenprotest der iranischen Geschichte ausgelöst und gezeigt, was eine Koalition aus Klerus und Basar bewirken kann", schreibt Amirpur. Das dadurch beim Klerus ausgelöste Machtgefühl sollte auch Chomeini nachdrücklich beeinflussen.
Als Sozialreformer missverstanden
Unmittelbar prägten Khomeini, 1902 in dem 200 Kilometer nordwestlich von Isfahan gelegenen Örtchen Khomein geboren, die sozialen Missstände seiner Zeit. Als Kind habe er gesehen, wie Regierungsangestellte einen kleinen Händler misshandelten, berichtet er später. "Ich sah, wie sie den Mann schlugen und drangsalierten. Sie schlugen ihn mit einem Hammer. Es herrschte große Korruption damals."
Gerechtigkeit allerdings wird sich Khomeini Zeit seines Lebens nicht anders als innerhalb eines religiösen Rahmens denken können. Deren Garanten sind nach schiitischer Lesart die Imame, die der Familie des Religionsstifters Mohammed angehören. Sie weisen nicht nur theologisch, sondern auch in allen Belangen des Staatswesens den Weg. "Die politische und die religiöse Führung müssen von ein und derselben Person ausgeübt werden, wenn die Herrschaft tatsächlich legitim sein soll", so umreißt Amirpur Chomeinis Staatslehre.
Dies erklärt, warum Chomeinis politische Agenda zunächst den revolutionären Theorien der Moderne, etwa dem Antikolonialismus, zu entsprechen scheint, letztlich aber unvereinbar mit ihnen ist. Denn der schiitische Geistliche begründete seine Revolution auf fundamental andere Weise als zeitgenössische Ideologien: nämlich theologisch und eben nicht säkular. "Darum hielt sich Chomeini auch nicht mit der Reform oder dem Umsturz einzelner Institutionen auf, sondern arbeitete auf eine Utopie hin, nämlich die, dass die Geistlichkeit die politische Macht übernehme", sagt Amirpur im DW-Gespräch. Diesen Aspekte hatte viele westliche Beobachter Ende der 1970er Jahre übersehen. Nur so wohl konnte Chomeini vor allem in Europa als "eine Art Gandhi des Iran" gelten.
Persönlicher Ehrgeiz
Dass es Chomeini nach dem Sturz des Schah allerdings nicht nur um soziale Gerechtigkeit ging, sondern dass er auch aus persönlichem Ehrgeiz heraus agierte, zeigt seine Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, den Autor der "Satanischen Verse". Seit langem gehe die Forschung nicht mehr davon aus, den Revolutionsführer habe religiöse Wut oder Inbrunst getrieben, schreibt Amirpur. Seine Motive dürften ganz woanders gelegen haben: "Chomeini mag hier eine Chance gesehen haben, zum wichtigsten Verteidiger des Islams zu avancieren. Schon die Revolution, die ganz bewusst nicht schiitische, sondern islamische genannt wird, sollte ihn quasi zum islamischen Papst machen."
Amirpurs Biographie Chomeinis zeigt einen Mann, der eine Revolution anstieß, deren Entwicklung er schon bald aber nicht mehr zu kontrollieren vermochte. Würde er den Lauf, den die Islamische Republik nach seinem Tod nahm, auch heute gutheißen? Nein, meinen einige seiner Enkel, die die Republik darum reformieren wollen, teils von innen, teils, wie im Fall des 1958 geborenen Hossein Chomeini, von außen. Wie also sähe Chomeini heute auf die Republik? Sie traue sich darüber kein abschließendes Urteil zu, sagt Katajun Amirpur, zu unterschiedlich seien die Einschätzungen und Deutungen. Chomeini ist seit über 30 Jahren tot, doch immer noch ist er eine Figur, die die Iraner spaltet wie kaum eine andere.
Katajun Amirpur, "Khomeini. Der Revolutionär des Islam. Eine Biographie", C.H. Beck Verlag, 352 S.