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Banciu: "Mein Vaterland ist die Welt"

9. April 2018

Die Hoffnungen und Ängste der Menschen sind in ganz Europa sehr ähnlich, meint die deutsch-rumänische Autorin Carmen-Francesca Banciu. Der Kampf gegen Nationalismus und Populismus ist noch lange nicht verloren.

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Carmen-Francesca Banciu, Autorin
Bild: Marijuana Gheorghiu

DW: Die Rebellion einer jungen Frau aus Rumänien gegen ihre Eltern, die Kader in der kommunistischen Partei sind: Dieser rote Faden zieht sich durch Ihre autobiographisch geprägte Romantrilogie, deren dritter Teil "Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten" gerade erschienen ist. Sie haben die Trilogie als Versuch eines Brückenschlags zwischen Osten und Westen beschrieben. Wie kann ein solcher Brückenschlag gelingen?  

Carmen-Francesca Banciu: Er kann gelingen durch die Rückreise in die Vergangenheit, unternommen von der Protagonistin, die aus dem Osten kommt, aber fast 30 Jahre im Westen gelebt und vieles aus dem neuen Leben verinnerlicht hat. Mit dieser Perspektive kehrt sie aus Deutschland nach Rumänien zurück, um sich der Geschichte ihrer Familie zu stellen, sie besser zu verstehen und zu "übersetzen" - in eine Sprache, die auch stellvertretend ist für jemanden, der aus dem Westen kommt. Sie weiß vielleicht jetzt, wie klar sie das erzählen muss, damit es auch von den Anderen - in Westeuropa - verstanden wird.            

Für den Vater der Protagonistin, einen überzeugten Kommunisten in Rumänien, zählen nur "das Vaterland, die Partei und die Ehre der Familie", während sie selbst sagt: "Mein Vaterland ist die Welt". Wie sehr identifizieren Sie sich mit dieser Einstellung?

Dieses Gefühl, dass mein Vaterland die Welt ist, hatte ich schon in der Zeit, als ich noch in Rumänien lebte, aber ich traute mich nicht, es auf diese Weise zu artikulieren, weil ich niemals im Ausland gewesen war. Ich hatte Sehnsucht nach der Weite. Wann immer ich eine andere Sprache hörte, hatte ich das Gefühl, sie sei auch meine, mein Herz schlug schneller und ich dachte, in dieser Sprache und Kultur könnte ich ein Stück von mir wiederfinden. Schon im kommunistischen Rumänien bin ich durch die Welt gereist - aber immer nur durch Bücher, Musik, Kultur und Kunst. Dann hat sich mein Leben verändert, seit 1991 lebe ich in Deutschland und dort habe ich gemerkt: Ich bin alles, was ich sehe, was ich entdecke, was ich erlebe, das alles gehört mir. Deshalb habe ich mich nie fremd gefühlt. Natürlich kennt man konkrete Dinge nicht in einem neuen Land, das gibt es aber auch in der nächsten Stadt. Aber ich fühlte mich nie verloren. Ich habe immer noch das Gefühl, immer weiter lernen zu müssen, mir immer mehr einzuverleiben - Sprachen, Orte, Lebenserfahrung. Egal, woher die Menschen kommen, die mir begegnen: Bei jedem habe ich das Gefühl, dass wir etwas gemeinsam haben. 

Rumänien Bukarest - Demonstration
"Zusammenhalt in der rumänischen Zivilgesellschaft": Proteste in Bukarest Bild: Reuters/Inquam Photos

Doch gerade diese Gemeinsamkeiten treten an vielen Orten in Europa in den Hintergrund, weil nationalistische und populistische Tendenzen stärker werden. Was kann man dagegen tun? 

Ich glaube, dass gegenseitiges Kennenlernen essenziell ist. Zum Beispiel sollte man auch hier in Deutschland an Schulen in Fächern wie Geschichte oder Literatur viel mehr über die Kulturen der anderen EU-Länder lernen. Das würde uns zeigen, wie ähnlich wir einander sind in unseren Hoffnungen und Ängsten, unserem Blick auf Schönheit - trotz der unterschiedlichen Sprachen. Austauschprogramme für junge Menschen sollten weiterentwickelt werden. Es ist wichtig, dass jeder mal für eine Zeit im Ausland lebt, sich selbst dadurch anders kennenlernt und auch das Verbundensein mit anderen erlebt. Denn im Ausland ist man stärker auf die Hilfe anderer angewiesen und muss auch lernen, diese anzunehmen. 

Im vorigen Jahr hatte ich in Griechenland einen dreifachen Beinbruch, ich musste mich vollkommen auf die Anderen verlassen und darauf vertrauen, dass alles funktioniert - in einem Land, das ich nicht gut kenne. Ich konnte keinen einzigen Schritt alleine machen und kann mich auf Griechisch schwer verständigen, trotzdem bin ich vom Unfallort nach Athen und von dort nach Berlin gekommen. In dieser Situation waren alle Menschen hilfsbereit und solidarisch. Auch in Berlin: Neben meiner Familie und Ärzten, war ich monatelang vollkommen auf die Hilfe von Freunden, Bekannte und sogar Unbekannten angewiesen, um die einfachsten Dinge des Alltags zu bewältigen. So etwas stärkt das Vertrauen in das Leben und in die Gesellschaft, in der man sich entschieden hat zu leben. 

Das Thema Solidarität haben Sie auch in einer Gastkolumne für die DW aufgegriffen - nach den Massenprotesten in Bukarest von Anfang 2017 meinten Sie, die rumänische Zivilgesellschaft sei solidarischer geworden und werde immer stärker. Die Proteste gegen Korruption, für die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien sind auch Anfang 2018 weitergegangen. Sind Sie immer noch so optimistisch in Bezug auf die rumänische Zivilgesellschaft?

Die politischen Umstände haben sich leider nicht zum Positiven verändert, ich glaube, die Lage ist gravierend. Doch in der Zivilgesellschaft sehe ich immer noch diesen Zusammenhalt, der weiterhin besteht: Das macht mir Hoffnung. Nein, ich bin nicht von diesem Optimismus abgekommen. 

Carmen-Francesca Banciu ist in Rumänien geboren. Seit November 1990 lebt sie als freie Autorin in Berlin und leitet Seminare für kreatives Schreiben. Seit 1996 schreibt sie auch in deutscher Sprache. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher "Leichter Wind im Paradies" und "Berlin is my Paris" auf Deutsch und Englisch. Im März wurde ihr neuer Roman "Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!" veröffentlicht.

Porträt einer lächelnden Frau mit Brille und langen braunen Haaren
Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe