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Politik

Ankommen, durch die Sprache

Carmen-Francesca Banciu
25. November 2017

Die Sprache kann Menschen zusammenbringen oder tiefe Gräben zwischen ihnen entstehen lassen. Aber sie ist unerlässlich, um in einem Land anzukommen, meint Carmen-Francesca Banciu. Und um sich zu finden.

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Carmen-Francesca Banciu, Autorin
Bild: Marijuana Gheorghiu

Meine Liebe zur Sprache und zu Sprachen betrachte ich als ein Familienerbe. Wenn meine Urgroßmutter zufrieden war mit ihrem Kochergebnis, zum Beispiel mit einer Suppe, sagte sie: Ich habe eine Suppe gekocht, die spricht sieben Sprachen. Urgroßmutter schätzte das Beherrschen einer Sprache als äußerst wichtig ein. Was macht einen Menschen aus?, sagte sie. Es ist doch seine Sprache. Seine eigene innere Sprache, würde ich heute hinzufügen.

Urgroßmutter pflegte ein Sprichwort zu erwähnen. Danach besteht man aus so vielen Menschen, wie man Sprachen spricht. Mit anderen Worten, ein Mensch ist so viel wert, wie er Sprachen spricht. Geboren in der k.u.k Monarchie, einer Art Europäischen Union avant la lettre, wurde ihre Geburtsurkunde auf Deutsch, Rumänisch, Ungarisch und Latein ausgestellt. Sie selbst beherrschte mehrere Sprachen. Manche hatte sie aus ihrer Umgebung aufgenommen, andere hat sie sich während ihrer Zeit in der Fremde angeeignet. In einem Land zu leben, ohne dessen Sprache zu beherrschen, wäre für sie unannehmbar, unvorstellbar, unzumutbar, unwürdig gewesen. Und ich teile diese Ansicht vollkommen.

Eine Suppe, die sieben Sprachen spricht

In den Jahren, seit ich in Berlin lebe, ist die Stadt eine kosmopolitische Metropole geworden. Menschen aus aller Welt finden ihre Bestimmung, ihre berufliche Chance, ihre Überlebenschance, ihre Lebenserfüllung, ihr Zuhause hier. Manche sind Menschen, die sich aus freien Stücken Deutschland ausgesucht haben. Selbst ohne ausreichenden Deutschkenntnisse. Manche sind Flüchtlinge.

Ein Teil der Zugezogenen lebt in einem internationalen, hochprofessionalisierten Milieu, man verständigt sich meist auf Englisch. Für diese Menschen ist die deutsche Sprache nicht überlebensnotwendig, und sie glauben irrtümlicherweise, man müsse sie nicht unbedingt erlernen.

Integrationskurs Deutsch als Fremdsprache ARCHIV 2011
Sprache ist der Schlüssel zu Erfolg und GlückBild: picture-alliance/dpa

Es gibt auch eine Kategorie, die lebt in einer parallelen Gesellschaft, isoliert durch die eigenen kulturellen Grenzen und die Unkenntnis der Landesprache. Besonders für Frauen und Jugendliche aus diesen Kreisen ergibt sich daraus ein großer Nachteil. Es ist aber kein Geheimnis, dass die Selbstisolation zu einem Mangel an Selbstbewusstsein führt und den Verlust von Freiheit impliziert. Und nie kann so der Zustand der Selbstbestimmung ganz erreicht werden.

Urgroßmutter, mit ihrer Suppe, die sieben Sprachen spricht, wusste sicher darüber Bescheid. Auch meine Kinder wussten es intuitiv. Nach den ersten Wochen Schulunterricht in Deutschland wollten sie mir nur noch auf Deutsch antworten. Sie wollten von Anfang an mitmachen. Dabei sein. Mitbestimmen. Dazugehören. Teil des Ganzen sein. Nicht zu einem Gettoleben verurteil werden.

Zu der Sprache kommen, zu sich kommen

Als Autorin erlebte ich am Anfang viel Enttäuschung. Ich brachte Mehrsprachigkeit mit. Und bald schien es, als wäre sie mir verlorengegangen. Mein Deutsch war rudimentär. Es reichte nicht zum Schreiben. Gleichzeitig hatte die Angst vor dem Verlust der Identität durch den Wechsel der Sprache mich bis zur Atemlosigkeit erschreckt. Bis zur Erstarrung. Wer bin ich ohne meine Muttersprache? Wer bin ich in der neuen Sprache? Bin ich überhaupt noch wer? Auf diesen Zustand der inneren Auflösung folgte das Gefühl der Wertlosigkeit. Der seelischen Verarmung.

Junge liest in einem Buch Deutschland Berlin
Kinder wollen dazugehörenBild: Getty Images/S.Gallup

Und ich wehrte mich gegen diese Gefühle. Ich stellte mich meinem Schicksal und habe mir meine innere Sprache zurückerobert, mir die deutsche Sprache angeeignet. Mich mit ihr identifiziert. Mein Selbstwertgefühl zurückgewonnen. Die Sprache mir nach meinen Bedürfnissen angepasst. Sie erfrischt, durch meine eigenen Erfahrungen und Gefühlen. Als ich nach meinen auf Rumänisch geschriebenen Büchern mein erstes Buch "Vaterflucht" auf Deutsch schrieb und es auf Deutsch erschien, war der Bann für immer gebrochen.

Heutzutage weiß man viel mehr über die Tiefen und Höhen der Migrantenerfahrung. Professionelle Hilfe steht den Migranten und Flüchtlingen zur Verfügung. Nicht nur ich als Person, auch Berlin, auch das Land haben gelernt, wie wichtig die Landessprache für das Leben ist. Und man hofft, dass die Dazugekommenen, woher auch immer sie sein mögen, diese Hilfe in Anspruch nehmen. Verstehen, dass das Beherrschen des Ausdrucks im Allgemeinen und das Beherrschen der neuen Sprache im Besonderen der Schlüssel zur Selbstachtung und damit zum Respekt und zur Anerkennung der anderen und durch andere führt. Sprache ist der Schlüssel zu Erfolg und Glück. Und der Schlüssel zur Findung der eigenen, wahren Identität.

 

Carmen-Francesca Banciu ist eine rumänisch-deutsche Schriftstellerin und Dozentin. Seit November 1990 lebt sie als freie Autorin in Berlin und leitet Seminare für kreatives Schreiben. Seit 1996 schreibt sie auch in deutscher Sprache. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher „Leichter Wind im Paradies“ und „Berlin is my Paris“ auf Deutsch und Englisch.