Mein Europa: „Täglich Position zeigen“
Die DW-Kolumne ist ein Statement für Europa. Wie dick ist das Brett, das Sie bei Skeptikern in Osteuropa bohren müssen?
In meinem Bekanntenkreis ist das Interesse an Europa groß. Ich spreche vorrangig über Rumänien, über Menschen, die vor der Wende protestiert haben und nicht veröffentlichen durften. Nach dem Fall des Kommunismus haben sie sich dem europäischen Gedanken verpflichtet, mehr noch: Sie sind Europäer. Aber ich weiß auch aus Rumänien, dass es europaskeptische Menschen gibt.
Die junge Generation aber ist stark europäisch ausgerichtet. Das ist nachvollziehbar. Europa bietet ihnen viele Möglichkeiten, sie können studieren, machen Erasmusprogramme. Manche bleiben in den Ländern, aber nicht wenige gehen auch zurück. Einerseits gibt es inzwischen die Bestrebung zu sagen: Nicht wir wollen gehen, sondern ihr sollt gehen, ihr Verbrecher! Jetzt habe ich Angst, dass der Trend kippt, weil die Veränderungen nicht groß genug sind, um die Leute zu motivieren zu bleiben.
Würden Sie sich einen größeren Aufschrei bei Schriftstellern und Intellektuellen wünschen für mehr Engagement zum Erhalt und Ausbau der europäischen Wertegemeinschaft?
Ich glaube nicht, dass es einen Aufschrei braucht. Ich glaube, wenn man mit seiner eigenen Arbeit, seinen Texten oder Büchern, seine Meinung vertritt als Europäer, dann ist das der richtige Schritt. Wir müssen täglich unsere Positionen zeigen. Das ist mehr als eine einmalige Deklaration. Die Realität dieser europäischen Gemeinschaft ist etwas, das wir kreieren, Tag für Tag.
Ich glaube, für Autoren aus dem Osten sind die europäischen Werte viel wichtiger. Sie kennen die Zeiten, als Europa noch nicht vereint war, als es Grenzen gab, als man wie in einem Käfig lebte und nicht raus konnte. Das sind die Zeiten, die uns geprägt haben. Wir können sehr gut einschätzen, welche Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten dieses Universum Europa bedeutet. Es überrascht mich manchmal bei der jungen Generation, dass ihnen nicht bewusst ist, wie schnell diese Freiheit verloren gehen kann. Sie nehmen das als Selbstverständlichkeit, sie sind mit der Freiheit aufgewachsen.
Wie wichtig ist es – auch für Sie persönlich –, dass Medien wie die DW Schriftstellern und anderen kritischen Stimmen eine Plattform bieten.
Es ist sehr wichtig – insbesondere für das Thema Europa. Es ist ein Weg, den europäischen Gedanken in den Alltag zu integrieren. Denn Politiker haben ihre Art, Dinge zu analysieren, und Journalisten haben ihre eher nüchterne Art mit Analysen und Beobachtungen. Schriftsteller erreichen die Menschen anders und schaffen so eine Art Synthese. Die Umsetzung des europäischen Gedankens kann dem normalen Bürger so näher kommen.
Für uns Schriftsteller bieten Plattformen wie „Mein Europa“ die Gelegenheit, einmal selbst zu skizzieren: Wie stehe ich zu dem Thema. In einem Beitrag für diese Kolumne ist man gefordert, sich konkrete Gedanken zu machen.
Ich war sehr glücklich, als ich hörte, dass meine letzte Kolumne in sieben Sprachen übersetzt wurde. Es ist ein Privileg, seine Stimme einem so großen Forum gegenüber öffnen zu können. Und manchmal auch Reaktionen zu erhalten und zu wissen, dass das, was man schreibt, Wirkung hat. Der Leser oder die Leserin in Serbien oder Albanien versteht, was wir denken, und wir wiederum verstehen durch ihre Reaktionen, was sie denken. Ich glaube, wenn Europa sich erweitern soll, dann ist das ein Weg zur Integration – auch von denen, die noch nicht da sind.
Carmen-Francesca Banciu ist in Rumänien geboren. Seit November 1990 lebt sie als Freie Autorin in Berlin und leitet Seminare für kreatives Schreiben. Seit 1996 schreibt sie auch in deutscher Sprache. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher „Leichter Wind im Paradies“ und „Berlin is my Paris" auf Deutsch und Englisch. Gerade erschien ihr Roman „Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!“ im Verlag PalmArtPress.
Die wöchentliche Kolumne „Mein Europa“ wurde 2016 ins Leben gerufen. Es ist eine Einladung an Autoren, über Entwicklungen in ihren Herkunftsländern und in Deutschland aus ihrer Perspektive zu schreiben. „Oft gibt es überraschend andere Blickwinkel“, so Adelheid Feilcke, Leiterin Europa. Die Kolumnen erscheinen jeden Samstag auf Deutsch und in den Sprachen für Mittel- und Südosteuropa.