Grundrechte in Gefahr
22. Mai 2015Die digitale Überwachung durch Geheimdienste greift immer stärker in die Grundrechte der deutschen Staatsbürger ein. Zu diesem Schluss kommen die Autoren des Grundrechte-Reports 2015, den sie am Freitag in Karlsruhe präsentierten.
Constanze Kurz ist Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Als sie den Bericht der Öffentlichkeit vorstellt, warnt sie vor einer Aushöhlung der bürgerlichen Grundrechte. "Der nicht nennenswert kontrollierte geheimdienstliche Komplex unterminiert weiterhin Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bis zur Unkenntlichkeit, nur jetzt mit unserem Wissen."
Der Grundrechte-Report wird bereits zum 19. Mal von acht deutschen Bürgerrechtsorganisationen herausgeben. Der Bericht ist auch bekannt als "alternativer Verfassungsschutzbericht". Er zeigt auf, in welchen Bereichen der Staat oder andere Gruppierungen gegen Grundrechte verstoßen haben. In dem aktuellen, 250-seitigen Bericht zum Jahr 2014 geht es neben der Überwachungs-Affäre auch um den Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland.
Die Überwachung geht weiter
Vur rund zwei Jahren erfuhr die Öffentlichkeit durch die Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden, in welchem Ausmaß Geheimdienste Privatpersonen und Konzerne ausspionieren. Seitdem tauchen regelmäßig neue Meldungen auf. Nach Angaben der Autoren des Grundrechte-Reports hat sich die Überwachung 2014 im Vergleich zum Vorjahr insgesamt noch verschärft.
"Die Situation ist eher schlechter geworden", sagt Martin Heiming im DW-Gespräch. Er ist Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, eine der Gruppen, die den Bericht herausgeben. Aber der Rechtsanwalt hat auch etwas Positives zu berichten: "Wir wissen jetzt einfach mehr. Es kommt immer mehr ans Tageslicht."
So wie beim Thema Selektoren-Listen. Seit 2005 übermittelt die NSA Suchbegriffe wie Handynummern oder Mail-Adressen, um die BND-Datensammlung danach durchsuchen zu lassen. "Wenn diese Selektoren-Listen auf den Tisch gelegt werden, weiß man vielleicht bald mehr darüber, was da passiert", sagt Heiming.
Recht auf die eigenen Informationen
Wann das geschieht, steht in den Sternen - das Bundeskanzleramt, dem der BND untersteht, hält die Listen noch unter Verschluss. Bei einer Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag betonte BND-Präsident Gerhard Schindler, dass er von den umstrittenen Selektoren selbst erst vor kurzem erfahren habe. In den unteren Ebenen des BND gebe es Organisationsmängel. "Man hat sich so durchgewurschtelt", sagte der Aussschuss-Vorsitzende Patrick Sensburg im ARD-Fernsehen.
Dieses "Durchwurschteln" und hin- und herschieben von Verantwortung sei unfassbar, sagt Rechtsanwalt Heiming. "Das ist wie ein Einkaufszettel der USA, der dann hier unhinterfragt abgearbeitet wird."
Die engmaschige Überwachung schränkt für Heiming auch deutsche Privatpersonen massiv in ihren Grundrechten ein. Zum Beispiel, wenn durch die Speicherung von Metadaten der Handys ersichtlich wird, wann sich Personen wo aufhalten. "Das verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung", so Heiming. "Das Grundrecht besagt: Meine Daten gehören mir. Die hat niemand abzugreifen und niemand zu speichern und man darf sie schon gar nicht irgendwohin weiterreichen."
Schlimmer Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland
Ein weiterer Punkt, den die Autoren des Grundrechte-Reports 2015 kritisieren: die Art und Weise, wie deutsche Behörden mit Flüchtlingen umgehen. Unter den hervorgehobenen Problemen sind die Abschiebehaft, die Residenzpflicht für Asylbewerber, ihre unzureichende Gesundheitsversorgung und die Einstufung mehrerer Balkanstaaten als "sichere Herkunftsländer". Letzteres bedeutet, dass Asylgesuche von Menschen aus Ländern wie Mazedonien und Serbien im Schnellverfahren abgewiesen werden können. Dabei ist die Sicherheit von Roma in ihrer jeweiligen Heimat ganz und gar nicht gegeben.
Eines der größten Probleme ist für Heiming, dass sich deutsche Behörden mit einer Vielzahl an Flüchtlingen überhaupt nicht auseinandersetzen. Die in der Europäischen Union geltende Dublin-Verordnung legt fest, dass Menschen in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie zuerst ankommen. Für viele Flüchtlinge sind das Staaten an den EU-Außengrenzen wie Italien, Malta oder Griechenland.
Wenn Deutschland herausfindet, dass ein Flüchtling bei seiner Ankunft in der EU in einem anderen Land registriert wurde, wird sofort ein Verfahren eingeleitet, um ihn dorthin zurückzuschicken. Die Ankunftsländer sind aber überfordert damit, die wachsende Anzahl an Flüchtlingen unterzubringen. "Die Bedingungen werden immer schlimmer", sagt Heiming, der unter anderem auf Flüchtlingsrecht spezialisiert ist.
Aufmerksamkeit der Politiker erregen
Eine Veränderung zum Besseren könnte mit einem einfachen Schritt beginnen: Menschen mit Entscheidungsmacht sollen den Bericht lesen, fordert Heiming. "Sie sollen sehen, was passiert und wo es schiefläuft. Den Behörden muss gesagt werden, dass das nicht geht. Der Staat muss sich ans Grundgesetz halten."