Bürgerrechtler kritisieren Umgang mit der NSA-Affäre
3. Juni 2014"Die Vorgänge um die NSA und den NSU zeigen, dass es im Kernbereich des Grundrechtschutzes schlecht aussieht", sagte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2014 am Dienstag (03.06.2014). Als alternativen Verfassungsschutzbericht verstehen ihn die acht Bürgerrechtsorganisationen, die ihn seit 1997 jährlich herausgegeben. Die Verfasser liefern auch im Jahr 65 nach dem Beschluss des deutschen Grundgesetzes einen kritischen Blick auf die Verfassungswirklichkeit in Deutschland. Dokumentiert haben sie in dem Bericht Fälle, in denen Gesetzgeber, Verwaltung, Justiz oder Privatleute Grundrechte eingeschränkt haben.
Die Mängelliste der Bürgerrechtler ist lang - 42 Beiträge finden sich im Grundrechte-Report. Besonders im Fokus: Die NSA-Affäre und die Ausspähung von Personen durch die Geheimdienste. "Ein freiheitlicher Rechtsstaat kann es nicht dulden, dass die im Geheimen agierenden Dienste den einzelnen Menschen zum bloßen Objekt ihrer Informationsbegehrlichkeiten entwürdigen", kritisierte Leutheusser-Schnarrenberger.
Schwerpunkt: NSA-Affäre und Geheimdienstaktivitäten
Gut ein Jahr ist es her, dass Whistleblower Edward Snowden erstmals über die schrankenlose Überwachung durch westliche Geheimdienste aufgeklärt hat. Die deutsche Politik und Justiz hätten seither jegliche rechtspolitischen Konsequenzen verweigert, kritisieren die Bürgerrechtler.
Die Bundesregierung und ihre Vorgängerregierungen hätten es sträflich unterlassen, die Bevölkerung vor Massenausforschung und damit verbundenen Straftaten und Bürgerrechtsverstößen zu schützen, sagt der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, im Gespräch mit der DW. "Es kommt zu massenhafter Verletzung von Persönlichkeitsrechten und das stellt letzten Endes verbriefte Grundrechte und die Demokratie insgesamt infrage". Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung hätten sich gesetzliche Verschärfungen und Möglichkeiten insbesondere für Polizei und Geheimdienste entwickelt, bei denen es sich teilweise um "Angriffe auf die Substanz der freiheitlichen Demokratie handelt", so Gössner. "Das sind Angriffe, die nicht etwa von außen, von sogenannten extremistischen oder terroristischen Kräften kommen, sondern aus dem Inneren des Systems."
Der ehemalige Richter am Bundesverwaltungsgericht Dieter Deiseroth stellt in dem Report sieben Forderungen als rechtspolitische Konsequenzen aus der NSA-Affäre. Dazu gehören unter anderem ein wirksamer Schutz für Whistleblower wie Edward Snowden, die Offenlegung aller Geheimverträge gegenüber dem Parlament, eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte und ein Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA.
De Maizière verteidigt Ausspähung
"Für die Abwehr im Inneren gibt es strenge gesetzliche Regeln", sagte der für den deutschen Inlandsgeheimdienst zuständige Innenminister Thomas de Maizière der ARD. "Wir wollen sie auch verschärfen, etwa im Blick auf die Nachrichtenübermittlung an Drittstaaten zum Beispiel, die USA."
Der Bundesinnenminister verteidigte die Ausspähung des Datenverkehrs in Netzwerken wie Facebook und Twitter durch deutsche Nachrichtendienste. "Die Nutzung verlagert sich stark vom klassischen Telefon in soziale Netzwerke und wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und nur wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, warum soll dann nicht ein Dienst auch auf diese Dienste zugreifen dürfen?", sagte de Maizière. Allerdings müssten der Richtervorbehalt, die Zustimmung einer Kommission "und ähnliches" beachtet werden.
Beim Thema Auslandsaufklärung gehe es hingegen nicht um den Schutz deutscher Staatsbürger, "sondern da geht es um das Erkenntnisinteresse der Bundesregierung und Deutschlands an dem, was in der Welt passiert. Da sind die Anforderungen natürlich nicht so hoch", so der CDU-Politiker.
Medienberichten zufolge will Deutschlands Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), technisch aufrüsten, um mit der amerikanischen NSA und dem britischen GCHQ gleichzuziehen. Künftig will man soziale Medien wie Facebook und Twitter offenbar stärker unter die Lupe nehmen.
"Wenn man Geheimdienste, die nicht oder nur schwer kontrollierbar sind, noch weiter aufrüstet, hat man ein großes Problem", kritisiert hingegen der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner, der auch Mitherausgeber des Reports ist. "Geheimdienste sind Fremdkörper in der Demokratie, weil sie demokratischen Prinzipien der Transparenz und der Kontrollierbarkeit widersprechen." Er hoffe, dass der Grundrechte-Report dazu beiträgt, dass sich die Bevölkerung mit den Problemen befasse und insbesondere von der Politik einen Kurswechsel einfordere.
Nachholbedarf auch in anderen Bereichen
Neben Grundrechtsverletzungen durch Geheimdienste kritisiert der 240-seitige Report auch Verstöße gegen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie Verfehlungen im Fall der Morde der rechtsextremen NSU. Zudem beklagen die Herausgeber in mehreren Beispielen einen problematischen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten, Obdachlosen und psychisch auffälligen Menschen.
Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie betonte anlässlich der Präsentation: "Der Zustand der Verfassungswerte zeigt sich gerade am Umgang mit den Schwächsten in der Gesellschaft. Wie schlecht es darum bestellt ist, zeigen zahlreiche Fallbeispiele des aktuellen Reports."