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Wie Deutschland im Sahel umdenken muss

9. Oktober 2022

Anti-westliche Demonstrationen im Niger und ein Putsch in Burkina Faso stellen den deutschen Militäreinsatz im Sahel weiter infrage. Doch es gibt auch Stimmen, die sich dafür aussprechen, zu bleiben.

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Mali Bamako | Deutsche Anti-Terror-Mission ausgesetzt
Kompletter Rückzug - oder eine veränderte Strategie? Der Mali-Einsatz der Bundeswehr wird heftig diskutiert.Bild: DW

Es ist ein hartes Urteil, das Sevim Dagdelen angesichts der Entwicklungen in Mali und den angrenzenden Sahel-Ländern fällt. "Der Einsatz der Bundeswehr wird immer mehr zum völligen Desaster", sagt die Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für internationale Beziehungen und Abrüstung der Fraktion Die Linke auf Anfrage der DW. "Weder die Rettungskette noch ausreichender Schutz aus der Luft ist gesichert." Es sei "unverantwortlich", die Bundeswehr dort weiter zu belassen. 

Tatsächlich hatte der Bundestag im Zuge der turnusmäßigen Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für die Mission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) eine Art Ausstiegsklausel beschlossen. Sollten Versorgung und Schutz der deutschen Soldatinnen und Soldaten nicht mehr ausreichend gewährleistet sein, seien "Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags einzuleiten bis hin zur Beendigung des Einsatzes", heißt es dort. Spielraum lässt der Beschluss somit bei der Schärfe der zu ergreifenden Maßnahmen und bei der Bewertung der Lage im Sahel. 

Russische Flaggen in Ouagadougou 

Unterdessen liegt die Aufmerksamkeit in der Region ganz auf dem kleinsten Sahel-Staat Burkina Faso, der seit Jahresbeginn von Putschisten regiert wird - und wo Ende September erneut geputscht wurde. Seit Mittwoch heißt der neue Staatschef nun Ibrahim Traoré, demokratische Wahlen soll es frühestens 2024 geben. Erklärtes Ziel: den Islamisten die Stirn bieten, die inzwischen - der neunmonatigen Militärregierung zum Trotz - rund 30 Prozent des Staatsgebiets unter ihrer Kontrolle haben. 

Lage in Burkina Faso I 2. Oktober 2022
Anhänger von Putschistenführer Ibrahim Traoré nach dem Putsch in Ouagadougou mit russischer FlaggeBild: Sophie Garcia/AP/picture alliance

Um dies zu erreichen, schließt Traoré neue Bündnisse etwa mit Russland nicht aus, auch in der Bevölkerung gibt es dafür Sympathien. Er habe am Wochenende nach dem Putsch "nur russische Flaggen genäht", berichtet der Schneider Alassane in der Hauptstadt Ouagadougou der Nachrichtenagentur AFP. "Da gab es einige Großbestellungen." 

Harte Debatten in der Ampelregierung 

Auch die Junta, die sich in Mali an die Macht geputscht hat, pflegt gute Russlandkontakte - Anführer Assimi Goita telefonierte erst in dieser Woche mit Russlands Präsident Wladimir Putin über eine vertiefte Partnerschaft. Putin stellte dem armen Sahelstaat zudem 300.000 Tonnen Kunstdünger als Geschenk in Aussicht. Gegenüber Deutschland und den Truppenstellern der Vereinten Nationen zeigt man sich in Bamako weiter kühl, was die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr zunehmend erschwert hat.  

Außenministerin Annalena Baerbock besucht Mali
Außenministerin Annalena Baerbock besuchte den malischen Machthaber Assimi Goita im AprilBild: Florian Gaertner/Auswärtiges Amt/Photothek/dpa/picture alliance

In dieser angespannten Lage mehren sich auch Stimmen in der deutschen Regierungskoalition, den Einsatz zumindest in Mali schleunigst zu beenden. Derartige Äußerungen gab es zuletzt etwa von Joe Weingarten (SPD) und Marcus Faber (FDP) in der Zeitung "Welt". Doch Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Grüne) hält weiter am Einsatz fest.  

Jetzt nicht einfach gehen  

"Aktuell müssen wir die Lage Tag für Tag beobachten und intensiv diskutieren", sagt Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, im DW-Interview. Das sei im Bundestag und im Verteidigungsausschuss seit Monaten Realität. Den Zeitpunkt für einen Abzug sieht sie aber nicht gekommen und hält einen solchen auch aus außenpolitischen Erwägungen nicht für sinnvoll: Damit nehme man in Kauf, dass das russische Engagement zu einer weiteren Verschärfung der Menschenrechts- und Sicherheitslage führe. 

"Wir beobachten schon lange, dass Staaten wie China, aber vor allem Russland, auch in der Sahelzone versuchen, ihren Einfluss auszuweiten", sagt Brugger. Offenkundig stünden die Anliegen und Bedürfnisse der Zivilbevölkerung dabei nicht an erster Stelle. Aber gerade vor diesem Hintergrund mahnt sie, mit Bedacht vorzugehen. "Wir können jetzt schon beobachten, dass die russischen Operationen im Norden von Mali mit einer sehr hohen Rücksichtslosigkeit stattfinden." Gemeint sind die Aktivitäten der kremlnahen russischen Söldnergruppe Wagner, die unter Goita auch offiziell zum Sicherheitsdienstleister ohne internationales Mandat aufgestiegen ist. Mit einem Abzug der Bundeswehr überlasse man diesen Kräften das Feld, glaubt Brugger. 

Eigene Arbeit in den Fokus stellen 

"Die MINUSMA leistet einen großen Beitrag zur Stabilisierung Malis und des Sahel", sagt der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Wendyam Sawadogo in Ouagadougou. Natürlich habe man nach neun Jahren internationaler Präsenz deutlichere Ergebnisse erwartet - hier habe aber auch die ablehnende Haltung der Militärregierung die Sache nicht einfacher gemacht. Im DW-Gespräch warnt der beim niederländischen Thinktank Clingendael beschäftigte Experte, das Erstarken des russischen Einflusses im Sahel - das in Berlin bisweilen als Grund für Abzugsforderungen angeführt wird - werde bei einer Beendigung des deutschen Einsatzes noch zunehmen.  

Niamey, Niger | Kanzler Scholz besucht den Niger
Die eigene Rolle finden: Bundeskanzler Scholz besuchte auf seiner ersten Afrikareise im Mai auch NigerBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

"Die internationalen Entwicklungspartner sollten vermeiden, mit Blick auf die russische Präsenz eine impulsive Haltung einzunehmen. Vielmehr sollte sich die Europäische Union darauf konzentrieren, ihre Beziehungen mit Ländern wie Mali und Burkina Faso zu verbessern," sagt Sawadogo. Beziehungen, die jahrelang von den französischen Interessen geprägt gewesen waren. 

Zuletzt stand gerade das französische Engagement im Sahel unter massiver Kritik, im Zuge derer das Land sich militärisch aus Mali zurückgezogen hat. Der Vorwurf: Die ehemalige Kolonialmacht decke mit ihrem militärischen Vorgehen - jetzt vor allem im Niger - vor allem eigene Wirtschaftsinteressen. 

Aus dem französischen Schatten treten 

Auch die Linken-Abgeordnete Dagdelen hat scharfe Töne für das französische Auftreten im Sahel. Als Beispiel führt sie an, dass Frankreich seine Atomkraftwerke mit nigrischem Uran betreibe, während die Bevölkerung des Sahelstaats Hunger leide. "Deutschland droht immer mehr als Helfershelfer der schmutzigen französischen Kolonialpolitik wahrgenommen zu werden." 

NIger Niamey Protest gegen französisches Militär
Weiß-Blau-Rot statt Bleu-Blanc-Rouge: Auch in Niger gibt es zunehmend pro-russische, antifranzösische ProtesteBild: BOUREIMA HAMA/AFP/Getty Images

Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger räumt Versäumnisse ein: Gerade eine umfassende Bewertung des französischen Engagements in Mali sei in Berlin und Brüssel lange Zeit nicht erfolgt. "Das ist etwas, was wir auf europäischer Ebene viel früher, viel klarer hätten miteinander besprechen müssen", so die grüne Verteidigungsexpertin. "Und wir hätten eine gemeinsame europäische Strategie gebraucht und auch ein stärkeres Engagement Deutschlands statt des Aussitzens bestimmter, auch schwieriger Fragen." 

Dass ein Umdenken im Sahel nötig ist, steht auch für Brugger außer Frage. Als besonders wichtig erachtet sie, dass begleitend zum militärischen Vorgehen die zivilen Prozesse noch stärker unterstützt werden. "Es muss klar sein, dass man Sicherheitskräfte nur in einem stabilen politischen Umfeld ausbilden kann, mit verlässlichen Akteuren, die auch an politischen Reformen interessiert sind", so Brugger. "Sonst kann es schnell zum Putsch kommen und am Ende erreichen unsere Beiträge nicht das, was wir ursprünglich wollten, sondern richten im schlimmsten Fall auch Schaden an." 

Nicht ohne Grund hat die Europäische Ausbildungsmission (EUTM) ihre Arbeit in Mali eingestellt und arbeitet jetzt in Niger. Dort ist eine Regierung an der Macht, die an ihrer pro-westlichen Haltung festhält - zumindest bislang.