Bundestag: Haushalt, Asyl und ein aufgebrachter Olaf Scholz
11. September 2024Olaf Scholz ist ein Mensch, der nur schwer aus der Ruhe zu bringen ist. Aus der Haut fahren, laut oder gar emotional werden? Es kommt selten vor, dass der SPD-Kanzler von seiner ruhigen, sachlichen und nüchternen Linie abweicht.
Anders sein Auftritt in der sogenannten Generaldebatte des Bundestags. Die findet stets in der Haushaltswoche statt, also wenn das Parlament über den Etat für das kommende Jahr spricht. Regierung und Opposition nutzen diese Gelegenheit traditionell für einen allgemeinen Schlagabtausch über die Arbeit der Bundesregierung.
Scharfe Attacken
Die Bilanz fiel aus Sicht der Opposition erwartungsgemäß miserabel aus. "Ist Deutschland heute sicherer als 2021? Nein. Ist Deutschland heute wettbewerbsfähiger als 2021? Nein. Ist Deutschland heute politisch stabiler als 2021? Nein", eröffnete Alexander Dobrindt, der Chef der konservativen bayerischen CSU-Abgeordneten, die Debatte. "Ihre Koalition ist keine Koalition des Fortschritts, sondern des Abstiegs in diesem Land."
Hauptthema der Debatte war die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Bundesregierung und Union (CDU und CSU) lieferten sich der Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz einen von scharfen persönlichen Angriffen geprägten Schlagabtausch. Gegenseitig wiesen sie sich die Verantwortung für den Fehlschlag bei dem Versuch zu, gemeinsam eine Antwort auf das Problem der irregulären Migration zu finden.
Asyl-Pläne gehen der Union nicht weit genug
Nach dem islamistischen Messer-Attentat in Solingen im August hatte die Regierung Vorschläge für eine Verschärfung der Migrations- und Sicherheitsgesetze vorgelegt. Im Kern geht es darum, Asyl-Schnellverfahren in Grenznähe einzuführen. Geflüchtete sollen dabei bis zur absehbaren Ablehnung ihres Asyl-Antrags nahe der Grenze festgehalten werden.
Diese Pläne würden "weit hinter den Notwendigkeiten" zurückbleiben, kritisierte Merz im Bundestag. Die Union will Flüchtlinge an den Grenzen abweisen, weil Deutschland mit der Aufnahme und Integration inzwischen überfordert sei. Die Menschen müssten gemäß den Dublin-Regelungen dort einen Asyl-Antrag stellen, wo sie das Gebiet der Europäischen Union zuerst betreten hätten.
Die Macht Deutschlands endet an den Grenzen
Merz wiederholte im Bundestag unmissverständlich: "Nach unserer festen Überzeugung sind und bleiben umfassende Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen rechtlich zulässig, praktisch möglich und im Lichte der gegenwärtigen Lage sogar politisch geboten."
Doch das lehnt die Regierung mit Verweis auf europäische Gesetze ab. "Einige von Ihnen sind ja jetzt ganz verwundert, dass die Nachbarländer auch noch da sind, dass sie sagen, oh, das finden wir ja gar nicht toll", sagte der Kanzler wütend an die Unionsfraktion gewandt. "Weil ja so viele Frauen und Männer mit großer Hybris dasitzen, sage ich ausdrücklich: Die Macht der Bundesrepublik Deutschland endet an der Grenze der Bundesrepublik Deutschland."
War es der Union ernst mit der Zusammenarbeit?
Scholz zog in Zweifel, dass es der Union mit der Zusammenarbeit überhaupt ernst gewesen sei. Er sprach von "Theateraufführungen" und fehlendem Willen, die Migrationsfrage wirklich zu lösen. Die Union habe von vornherein keine Einigung angestrebt und sich dann "in die Büsche geschlagen".
An Merz gewandt, rief er: "Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der 'Bild am Sonntag' hätte er schon die Migrationsfrage gelöst. Kaum dass Sie die Redaktionsräume verlassen haben, vergessen Sie, was Sie gerade vorgeschlagen haben, weil Sie niemals vorhatten, sich darum zu kümmern."
CDU/CSU nicht ausländerfeindlich
Es waren ungewöhnlich persönliche Angriffe, der Tonfall der Reden streckenweise gereizt. Merz empörte vor allem der Vorwurf, die Union habe in den Migrationsgesprächen von vornherein auf ein Scheitern abgezielt: Die Behauptung, "dass dies eine Inszenierung" gewesen sei, sei "infam", sagte der CDU-Chef.
Er wies zudem den Vorwurf zurück, die Union sei ausländerfeindlich. "Deutschland muss ein offenes und ausländerfreundliches Land bleiben." Die Union stehe "klar und unmissverständlich gegen jede Form von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit".
AfD liegt auch in Brandenburg vorne
Im weiteren Verlauf seiner Rede ließ Merz an der Regierungspolitik kein gutes Haar. Eine "überwältigende Mehrheit der Bundesbürger" traue SPD, Grünen und FDP nicht mehr zu, "das Land auf Kurs" zu bringen, fasste der CDU-Chef die Stimmung im Land zusammen. Aktuellen Umfragen zufolge sind Dreiviertel der Deutschen unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung.
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen waren für die Ampel-Parteien ein Desaster. Die in Teilen rechtsextreme AfD hat mehr als doppelt so viel Zustimmung bekommen wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Am 22. September wird in einem dritten ostdeutschen Bundesland gewählt, in Brandenburg. Auch dort liegt die AfD vorne.
Die Tür soll für die Union offen bleiben
Änderungen in der Asyl- und Migrationspolitik werden von einer großen Mehrheit der Bundesbürger gefordert. Kanzler Scholz machte im Bundestag deutlich, dass er für eine Zusammenarbeit mit der Union weiter offen sei. "Führung ist nicht, dass man auf eine Barrikade steigt und wilde Gesten zeigt", sagte er, an Merz gerichtet. "Führung ist, die eigenen Leute zu einem Kompromiss zu bewegen."