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Migration: Nancy Faeser will Kontrollen an allen Grenzen

10. September 2024

Immer heftiger streiten deutsche Politiker über schärfere Asylgesetze. Nicht alle Vorschläge sind umsetzbar. Die Konservativen wollen alle Flüchtenden schon an der Grenze zurückweisen.

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Eine Polizeikelle mit der Aufschrift "Halt" ist am Übergang nach Österreich in Walserberg zu sehen
An allen deutschen Grenzen finden künftig wieder Grenzkontrollen statt - vorübergehendBild: IMAGO/Revierfoto

Vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Grenzen und eine heftige Debatte darüber, ob Flüchtende an diesen Grenzen zurückgewiesen werden können: Das sind nur die zwei wichtigsten Forderungen und Maßnahmen, die derzeit die Diskussion in Deutschland über eine schärfere Asyl- und Migrationspolitik bestimmen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Positionen bekannt werden.

Ein Mord und zwei regionale Wahlen

Auslöser dafür war zum einen der Mord an drei Stadtfestbesuchern in Solingen am 23. August.  Hauptverdächtiger ist ein Asylsuchender aus Syrien, der in Untersuchungshaft sitzt. Und Auslöser waren auch die Landtagswahlen in den beiden ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen am 1. September, bei denen die zum Teil als rechtsextrem eingestufte Alternative für Deutschland (AfD) und das migrationskritische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hohe Stimmenzuwächse hatten.

CDU-Chef Friedrich Merz im DW-Interview
CDU-Chef Friedrich Merz will Asylsuchende schon an der Grenze zurückweisenBild: Michaela Küfner/DW

Merz: "Scholz engleitet das Land"

Vor allem die drei Berliner Regierungsparteien SPD (Sozialdemokraten), Grüne und FDP (Liberale) stehen unter Druck, weil sie bei den beiden Wahlen und in Umfragen extrem schlechte Ergebnisse erzielten und weiter erzielen. Und die konservative Opposition von CDU und CSU nutzt das Thema, um zusätzlichen Druck vor allem auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)  auszuüben. So sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nach dem Mord von Solingen: "Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land."

Pro Asyl für mehr Integrationsprojekte

Im Kern dreht sich die Debatte um diese Frage: Nimmt Deutschland zu viele Asylsuchende auf? Und kommen mit den Flüchtenden auch Gewalttäter und politische Extremisten ins Land? In vielen Umfragen wird deutlich: Die deutsche Bevölkerung sieht beim Thema Zuwanderung Änderungsbedarf, entsprechend hitzig ist die politische Debatte.

Die Organisation "Pro Asyl" hält wenig von solch einem Diskussionsklima. Deren Flucht-Experte Tareq Alaows sagte der DW: "Wir sehen eine hysterische Debatte, die auf einem Überbietungswettbewerb der Entrechtung geflüchteter Menschen basiert. Und ein Aspekt geht in dieser Debatte komplett unter: Die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Strukturen, etwa Demokratieprojekte und Projekte gegen Extremismus." Das Land müsse jetzt mehr für die Integration der hier lebenden Asylsuchenden tun und härter etwa gegen den gewaltbereiten Islamismus vorgehen.

Im Bild ist Tareq Alaows von der Organisation Pro Asyl zu sehen
Tareq Alaows von Pro Asyl hält Zurückweisungen an den Grenzen für nicht rechtensBild: Horst Galuschka/dpa/picture alliance

Innenministerin lässt an allen Grenzen kontrollieren

Solche Mahnungen gehen derzeit aber weitgehend unter. Am Montag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Grenzen ab. 16. September angeordnet. Die gab es bislang schon an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz. Bereits das hatte Folgen: Anfang September teilte die zuständige Bundespolizei mit, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mehr als die Hälfte der illegal eingereisten Menschen an den Landesgrenzen zurückgewiesen worden seien. Im gesamten Jahr 2023 seien es nur 28 Prozent Zurückgewiesene gewesen.

Konservative für vollständige Zurückweisung

CDU und CSU wollen aber jetzt, dass noch wesentlich mehr Menschen an den Grenzen abgewiesen werden. Bei einem Treffen am Dienstag im Bundesinnenministerium in Berlin fanden Vertreter von Regierung und Opposition allerdings (noch) keinen gemeinsamen Nenner. Obwohl auch in der Regierung, etwa bei Finanzminister Christian Lindner (FDP), derzeit scharfe Töne zum Thema Asyl und Migration zu hören sind.

Tareq Alaows stellt klar: "Grenzkontrollen und Zurückweisungen sind zwei unterschiedliche Sachen. Temporäre Grenzkontrollen sind rechtlich zwar möglich, aber sie stehen dem EU-Gedanken von Freizügigkeit massiv entgegen. Zurückweisungen sind von vornherein mit dem EU-Recht unvereinbar, denn Asylanträge, die an der Grenze gestellt werden, müssen überprüft werden, bevor eine Zurückweisung stattfindet." 

Migrationsrat spricht von gefährlichem Populismus

Tatsächlich besagt zurzeit europäisches und deutsches Recht: Wer an die Grenzen kommt und um Asyl nachsucht, hat das Recht darauf, dass sein Anliegen geprüft wird. Das sieht auch der Migrationsrat so, ein Zusammenschluss von rund 100 Organisationen der Fluchthilfe. In einer jetzt veröffentlichten Stellungnahme heißt es: "Die aktuell diskutierte Politik, schutzsuchende Personen an den Grenzen Deutschlands zurückzuweisen, stellt einen gefährlichen Populismus in der migrationspolitischen Debatte dar. Aus der geltenden Gesetzeslage ergibt sich unzweifelhaft, dass eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen rechtswidrig ist." 

Österreich hat bereits angekündigt, keine Geflüchteten aufnehmen zu wollen, die an der deutschen Grenze abgewiesen würden. Und Polens Regierungschef Donald Tusk nannte solche Pläne aus Deutschland "völlig inakzeptabel". Trotzdem machte Faeser bei einem Treffen mit der Opposition unter anderen dieses Angebot: Ab sofort wird bei einem Asylantrag an der Grenze geprüft, ob der Geflüchtete schon in einem anderen EU-Land registriert ist. Die Geflüchteten könnten dann nicht, wie bislang, erst einmal einreisen. Die Opposition brach die Gespräche dennoch ergebnislos ab, Merz sprach vom Ende des Asyl-Gespräche mit der Bundesregierung.

Nur noch 100.000 Asylsuchende pro Jahr?

CDU und CSU machen sich auch für eine Obergrenze der Zahl von Asylsuchenden stark. So sagte der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag: "Insgesamt muss die Zahl deutlich auf weit unter 100.000 auf Dauer reduziert werden, weil wir tatsächlich überfordert sind." Deutschland sei "mit den Folgen und der Integration überfordert - und zwar nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen. Sondern wir sind auch zum Teil kulturell überfordert. In vielen deutschen Städten fühlen sich auch die deutschen Einwohner gar nicht mehr zu Hause. Und die Wahrheit ist einfach: Es ist uns über den Kopf gewachsen." Zum Vergleich: 2023 stellten etwa 351.000 Menschen in Deutschland einen Antrag auf Asyl.