Bulgarien zwischen Ost und West
4. November 2016Ein Mann und eine Frau - er ein orthodoxer Linker, sie eine Rechtskonservative. Beide sind ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei. Die Parlamentspräsidentin Zezka Zatschewa von der regierenden GERB-Partei (EVP) und der Kandidat der Sozialisten, General a. D. Rumen Radew, haben derzeit die besten Chancen, in die Residenz des Staatsoberhauptes auf dem Dondukov-Boulevard Nr. 2 in Sofia einzuziehen.
Die Beobachter sind sich einig, dass sich beide beim ersten Wahlgang ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern und dann in die Stichwahl am 13. November gehen. Zur Zeit gehen Meinungsforscher davon aus, dass sich Zatschewa bei der Stichwahl durchsetzen und damit als erste bulgarische Präsidentin in Dondukov Nr. 2 ziehen wird. Ihr prominenter Nachbar wäre übrigens der Ministerpräsident Borissow – seine Residenz steht direkt gegenüber – an der Dondukov Nr. 1.
Der Boulevard mit dem unübersehbar sozialistischen Charme trägt den Namen des russischen Fürsten Alexander Dondukov-Korssakov. Der Russe spielte eine Schlüsselrolle im russisch-türkischen Krieg 1877-1878 und anschließend bei der Wiederherstellung des bulgarischen Staates. Heute meldet sich die Geschichte zurück: Russland und die Türkei stehen wieder im Mittelpunkt der außenpolitischen Debatte Bulgariens. Eine weitere Portion Brisanz dabei: Der Präsidentschaftskandidat und Nato-General a. D. verteidigt die Annektierung der Krim. In einem Interview sagte er: "Auf dem Papier ist die Krim ukrainisch, de facto aber weht über Krim die russische Flagge. Das Volk (auf der Krim – Anm. d. Red.) entscheidet über seine Zukunft."
Bulgarien – geopolitisch zwischen den Fronten
Als EU- und Nato-Mitglied befindet sich Bulgarien in einem besonderen geopolitischen Spannungsfeld. So entpuppen sich die traditionell guten Beziehungen zu Russland und das geschichtlich belastete Verhältnis zu dem Nachbarland Türkei als Herzstück des Wahlkampfes.
Der bulgarische Präsident wird zwar direkt vom Volk gewählt, hat jedoch fast nur repräsentative Funktionen. Die zwei einzigen Ausnahmen: seine Rolle als Oberbefehlshaber der Armee und seine Befugnisse in der Außenpolitik. Könnte es also heißen, dass es mit dem neuen Präsidenten oder Präsidentin zu einer Abkühlung gegenüber der EU und der Nato bzw. einer Erwärmung der Beziehungen zu Moskau kommt? So lautet wohl die interessanteste Frage in diesem Wahlkampf.
Die Flüchtlinge kommen aus der Türkei
Als Kandidatin der regierenden Mitte-Rechts-Partei von Regierungschef Boiko Borissow steht Zezka Zatschewa eigentlich für das Fortführen der bisherigen Politik, also für die feste Anbindung in den EU- und Nato-Strukturen. Wichtiger Aspekt dabei, dass Bulgarien als Türkei-Nachbar von der Flüchtlingskrise betroffen ist. Bis zu 20.000 sollen bis zu Ende des Jahres illegal nach Bulgarien gekommen sein. Im Unterscheid zu den Visegrad-Staaten akzeptiert Sofia die EU-Quotenregelung und bekommt massive EU-Unterstützung in Sachen Grenzsicherung und Betreuung der Eingereisten.
So dominierte auch dieses Thema den Wahlkampf. Beide Kandidaten sind sich in einem Punkt einig: man müsse die Schleuserbanden noch härter bekämpfen. Ansonsten spricht Zatschewa oft und unverbindlich über eine notwendige gesamteuropäische Regelung der Flüchtlingskrise, während Radew die Quotenregelung kritisiert und sich für eine Obergrenze und für die Rückführung der Eingereisten einsetzt.
Auch die Angst, dass Bulgarien mit Flüchtlingen aus der Türkei überflutet werden könnte, findet sich in den Aussagen beider Kandidaten bezüglich ihrer künftigen Türkei-Politik. Zatschewa verteidigt die Entscheidung der Regierung, die schon zweimal angebliche Güllen-Sympathisanten an Ankara ausgeliefert hat, während Radew gegen jegliche Zusagen an Ankara ist. Die Türkei ist zwar Nato-Partner, driftet aber in Sachen Menschenrechte und europäische Standards langsam ab. Die Bulgaren interessiert dabei vor allem, ob Ankara an dem so genannten "Flüchtlingsdeal" mit der EU festhält – oder eben die Schleusen öffnen könnte. Deswegen halten sich die Anwärter für den Präsidentenamt in Sachen Türkei möglichst bedeckt.
Aus Russland kommt viel Geld
Höchste Vorsicht auch bei ihren Aussagen zu Russland. Kurz vor der Wahl wurde ein NGO-Bericht unter dem Titel "Kremls Handbuch" veröffentlicht, in dem behauptet wird, dass die russischen Investitionen und Immobilien in Bulgarien sowie der bilaterale Außenhandel insgesamt 25 Prozent des bulgarischen BIPs ausmachen. Damit wäre Bulgarien im europäischen Vergleich viel zu sehr wirtschaftlich von Russland abhängig.
Vor diesem Hintergrund versuchen die Kandidaten einen Spagat: ihre Aussagen sollen EU-konform, aber auch Russland-freundlich wirken. Beide - Radew und Zatschewa - positionieren sich dabei klar gegen die Sanktionen und relativieren damit ihre EU-Bekenntnisse. Der General, der de facto die Annektierung der Krim durch Russland anerkennt, gießt er noch mehr Öl ins Feuer. Als wollte er um die russlandfreundliche Wählerschaft werben sagt er, dass die Bedingungen der bulgarischen EU- und Nato-Mitgliedschaft geändert werden müssen, da sie das Land teilweise "erniedrigen" würden.