Tapferkeit, Heldentum und die Bereitschaft zur Selbstaufopferung sind Werte, die schon seit der Antike in Europa hoch geschätzt werden. In Zeiten von Krieg und Gefahr haben sie sich auch bewährt. Zugleich aber wurden sie von den Machthabern immer wieder instrumentalisiert. Mit dem Verweis auf "ein höheres Ziel" (for the greater good) haben Könige und Ministerpräsidenten, Politiker und Geistliche, Revolutionsführer und Diktatoren von ihren Gefolgsleuten regelmäßig Tapferkeit und Opfer verlangt. Sei es, um das Vaterland oder den Glauben zu verteidigen, um eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen oder, ganz banal, um die eigene Macht zu sichern.
Seit einigen Jahrzenten ist allerdings ein Umdenken im Gange - zumindest in den meisten der entwickelten Demokratien mit hohem Wohlstandsniveau. Es seien die demokratischen Strukturen und ihre Institutionen, so die sich hier durchsetzende Überzeugung, die sich um "die höheren Ziele" kümmern sollten. Es sei ihre Verantwortung, den Frieden und die Sicherheit der Menschen zu garantieren. Mit anderen Worten: Der Staat und seine Einrichtungen sollen den einzelnen Bürger vom Zwang entlasten, selbst tapfer und aufopferungsbereit sein zu müssen.
Wer darf mich zwingen, mein Leben zu riskieren?
Parallel zu dieser Entwicklung hat sich auch die Achtung der Menschenrechte als ein Grundwert der demokratischen Gesellschaften durchgesetzt. So stellt sich zugleich die Frage: Wenn das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit das höchste Gut ist, das der Staat zu schützen hat, wie kann er dann gleichzeitig von seinen Bürgern Heldentum und die Bereitschaft zur Selbstaufopferung erwarten? Die logische Schlussfolgerung lautet: In modernen Gesellschaften kann von den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr grundsätzlich verlangt werden, ihr Leben für die Allgemeinheit zu riskieren. Es sei denn, sie haben sich freiwillig für einen Beruf entschieden, zu dem solche Risiken naturgemäß dazu gehören - zum Beispiel Soldaten, Polizisten, Rettungskräfte.
Natürlich gibt es Situationen, in denen jeder von uns vor eine existenzielle Wahl gestellt werden kann: das Leben zu riskieren, um beispielsweise das eigene Kind aus dem sprichwörtlich brennenden Haus zu retten, oder "nur", um einem fremden Menschen in Not zu helfen. Diese Wahl ist immer schwer, sie ist geradezu unmenschlich. Sie ist aber auch eine äußerst intime Entscheidung, die nur der einzelne Mensch aus der konkreten Situation und auf Basis seiner persönlichen Werte heraus treffen kann. Solche Entscheidungen werden meist spontan und unüberlegt getroffen - und nicht aufgrund eines gesellschaftlichen Zwangs. Zumal die meisten Menschen gar nicht unbedingt tapfer und aufopferungsbereit sind, sondern in erster Linie von ihrem Selbsterhaltungsinstinkt gesteuert werden. Es ist also schier unmenschlich, etwas von jemandem zu verlangen, das dieser mit Leib und Seele zu vermeiden sucht.
Heldentum oft nur auf Kosten anderer
In vielen Gesellschaften - zum Beispiel auf dem Balkan - genießen Tapferkeit und Selbstaufopferung bis heute immer noch eine hohe Wertschätzung. Oft ist dort dann auch von einer "heldenhaften Vergangenheit" die Rede. Es sind aber vor allem "Stammtischhelden", die lautstark das Heldenhafte besingen. Es sind vielfach Menschen, die ihr eigenes Leben nie riskieren würden, dafür aber der ganzen Gesellschaft eine archaische Wertvorstellung aufzuzwingen versuchen.
Und die "heldenhafte Vergangenheit", auf die sie sich beziehen, ist in vielen Fällen nicht wirklich heldenhaft. Denn die Helden der einen Nation sind oft die Henker des Nachbarvolkes. Deswegen sollte man das ganze Tapferkeits- und Heldengerede im Archiv der Geschichte ablegen und dem modernen Menschen das Recht zuerkennen, die dramatischen Entscheidungen über die bewusste Gefährdung des eigenen Lebens alleine zu treffen. Alles andere ist nicht mehr zeitgemäß. Und oftmals ohnehin nur verlogen.