Im Land der billigen Medikamente
22. Mai 2016"Sollte ich erneut an Krebs erkranken, kann mir nur noch Gott helfen“, sagt Daria D. Sie sagt es nicht, weil sie gläubig ist, sondern aus Verzweiflung. Vor fünf Jahren hat sie einen schweren Kampf gegen den Krebs geführt. Die 54-jährige Bulgarin möchte die Erinnerungen am liebsten aus ihrem Bewusstsein löschen. Dabei hatte sie noch Glück - die selbständige Architektin war damals in der Lage, etwa 2400 Lewa (umgerechnet 1200 Euro) für ihre Therapie aus eigener Tasche zu bezahlen.
Die Medikamente für ihre Chemotherapie, sowie einige Untersuchungen wurden nicht von der Krankenkasse übernommen. Heute könnte sie diese Summe nicht mehr ohne weiteres hinblättern. Die angespannte Wirtschaftslage im Land hat auch ihre Einnahmen deutlich geschmälert.
Mittlerweile übernimmt die bulgarische Nationale Gesundheitskasse zumindest die Kosten für Generika - das sind lizenzfreie Billigkopien von Originalpräparaten. Doch die Arzneimittelausgaben der Gesundheitskasse steigen derzeit sehr schnell. Allein 2015 wurden umgerechnet rund 450 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor ausgegeben. Die Ausgaben für Krebsmedikamente haben sich zwischen 2012 und 2014 sogar verdoppelt - eine kaum tragbare Belastung. Deshalb muss die Kasse nun sparen. Das tut sie notfalls mit allen Mitteln. So stellte der bulgarische Gesundheitsminister Petar Moskov im vergangenen Jahr den Pharmaherstellern ein Ultimatum: Entweder sie bieten höhere Rabatte an, oder ihre Produkte werden aus der Liste der erstattungsfähigen Medikamente herausgenommen.
Der Staat hat sich verkalkuliert
Doch der Schuss ging nach hinten los. "Von über 3000 Arzneimitteln, die früher ganz oder teilweise erstattet wurden, sind seit Anfang 2016 fast ein Drittel entfallen", sagte Stojtcho Katzarov, Leiter des Zentrums für den Schutz der Rechte im Gesundheitswesen, gegenüber der DW. Besonders betroffen seien Krebskranke, weil es für mindestens zwei der entfallenen zwölf Krebsmedikamente keine Alternative gebe. Sogar Antibiotika müssen Patienten komplett aus eigener Tasche zahlen, wie auch viele Schmerzmittel, Herz-und Kreislaufmedikamente und Psychopharmaka.
Dabei handeln die Krankenkassen in Bulgarien oder Rumänien mit den ausländischen Pharmaherstellern die niedrigsten Medikamentenpreise EU-weit aus. Paradoxerweise ist das nicht unbedingt von Vorteil für die Patienten. Wenn die Preisschere zwischen den ärmeren und reicheren europäischen Staaten immer weiter auseinandergeht, hat das spürbare Folgen: Manche Produzenten verlieren jegliches Interesse, ihre Produkte in Billigmärkten, wie Bulgarien oder Griechenland anzubieten.
Die Folge: In solchen Ländern verzichten Pharmakonzerne oftmals darauf, die neuen Medikamente anzumelden. So landen sie dann auch nicht im Katalog der Krankenkassen.
Konzerne wie Hoffmann-La Roche, Novartis, Eli Lilly, Astra-Zeneca oder Bayer auf die Einführung neuer Medikamente verzichten. In der deutschen Presse wird ein Pharma-Manager mit den Worten zitiert: "Wir würden gewisse osteuropäische Länder am liebsten gar nicht beliefern."
Bei wenig Gewinn Lieferschwierigkeiten
In Hochpreisländern wie Schweden, der Schweiz, Deutschland oder auch Finnland kommen neue Medikamente hingegen schnell auf den Markt. Patienten in weniger lukrativen Märkten wie Bulgarien, Polen, Rumänien oder im Baltikum müssen sich hingegen etwas einfallen lassen - zum Beispiel im Ausland einkaufen.
Auch bei bewährten, aber wenig gewinnabwerfenden Medikamenten gibt es in ärmeren Ländern öfter Lieferschwierigkeiten - denn sie werden von den Herstellern bewusst vernachlässigt. So etwa fehlt es schon seit Jahren in bulgarischen Apotheken an "Diazepam"-Zäpfchen. "Sie kosten nur wenige Cents, sind aber das beste Mittel um epileptische Anfälle bei Babys und Kleinkindern schnell und wirksam zu stoppen", sagt der Chef der neurologischen Abteilung im Kinderkrankenhaus in Sofia Iwan Litwinenko gegenüber der DW.
Der niedrige Preis mache es für die Firmen wohl uninteressant, damit zu handeln. Dadurch seien die Eltern oftmals gezwungen, größere Mengen von dem Medikament aus dem westlichen Ausland zu schmuggeln. "Mittlerweile gibt es in Bulgarien einen regelrechten Schwarzmarkt für mehrere neurologische Medikamente, die dann zu deutlich höheren Preisen unter den Eltern verkauft werden", sagt der Kinderarzt.
Veraltete Medikamente, geringere Überlebenschancen
Hinzu kommt, dass Bulgariens Krankenkasse nur das günstigste Medikament aus einer Gruppe von Arzneimitteln erstattet - in der Regel die Billigkopie von einem Original, das im Westen oftmals schon als veraltet gilt. Denn generell dürfen Generika erst zehn Jahre nach dem Erscheinen des Originalpräparats auf den Markt.
Wer an das Original möchte, der muss selbst bezahlen. In Deutschland wäre dies nicht notwendig, weil das Land so gut wie alle neu zugelassenen Medikamente in die Liste der Krankenkassen aufnimmt und das meist innerhalb von wenigen Monaten.
Die Unterschiede in der Versorgung mit Medikamenten zwischen Ost und West haben spürbare Folgen - nicht nur finanzieller Art: Eine neue Studie der Europäischen Vereinigung der Krebspatienten belegt, dass die Überlebenschancen von Krebskranken in Osteuropa rund vierzig Prozent geringer sind, als die von westeuropäischen Patienten.