Briten betonen: Kein Exit vom Brexit
18. Juni 2017Die britische Regierung taumelt mehr oder weniger in die Verhandlungen über den Abschied aus der Europäischen Union. Die Strategie von Premierministerin Theresa May erscheint unklar, ihre Position in der eigenen Tory-Partei höchst gefährdet. "Harter" oder "weicher Brexit" - Anhänger und Gegner werben in Großbritannien bis zuletzt um ihre Meinungen. Angesichts einer der wichtigsten Entscheidungen für Europa seit dem Kollaps der Sowjetunion Anfangs der 90er Jahre erscheint Großbritanniens Zukunft ungewisser denn je.
May werde die Verhandlungen mit der EU selbst federführend leiten, versicherte am Sonntag die konservative Chefin des Unterhauses, Andrea Leadsom, in der BBC. Die oppositionelle Labour-Partei wiederum sprach der Premierministerin nach deren jüngster Wahlschlappe jegliche Befugnis ab, noch für die Briten zu sprechen.
Schatzkanzler Philip Hammond warnte eindringlich vor einer Vereinbarung, die die britische Wirtschaft "zerstören" könne. Großbritannien werde sowohl den EU-Binnenmarkt als auch die Zollunion verlassen, ohne dass die Konsequenzen im Detail absehbar seien. Zwar sei keine Vereinbarung ein "sehr, sehr schlechtes Ergebnis", schlimmer noch wäre laut dem Finanzminister eine Vereinbarung, die die "Lebenssäfte aus unserer Wirtschaft zöge".
Der britische Brexit-Minister David Davis malte im Gegensatz dazu die Perspektiven seines Landes in hellsten Farben. "Der Austritt gibt uns die Möglichkeit, eine positive neue Zukunft für Großbritannien zu gestalten - eine, in der wir frei sind, unsere Grenzen zu kontrollieren, eigene Gesetze zu verabschieden und zu tun, was souveräne Länder tun", so seine Stellungnahme.
Sein angekündigtes "großzügiges Angebot" soll laut Presseberichten beinhalten, dass alle EU-Bürger im Königreich ihre Rechte behalten können, die vor dem Tag eingereist sind, an dem die Londoner Regierung das EU-Austrittsgesuch in Brüssel offiziell übergab - also vor dem 29. März. Damit dürfte Davis aber in Brüssel kaum durchkommen.
EU verteidigt Rechte seiner Bürger
So meldete zum Beispiel der Chefunterhändler des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, entschiedenen Widerstand an. Es sei sicherlich gut, "dass sich die britische Regierung Gedanken über die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien" mache, sagte Verhofstadt der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag". "Befremdlich" sei aber, "dass der britische Verhandlungsführer Davis diese Rechte nur denen gewähren möchte, die vor dem 29. März eingereist sind", so der Liberale. Er verlangt, dass das Austrittsdatum der Briten aus der EU als Stichtag genommen wird, denn: "Solange die Briten noch Teil der EU sind, wird sich nichts an den Rechten der EU-Bürger in Großbritannien ändern".
Der Schutz der Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der britischen Bürger in der EU soll zu Beginn der zweijährigen Verhandlungen geklärt werden.
Verhofstadt hörte nicht auf, weiter um die Briten zu werben. Ihnen stehe "der Weg offen, ihre Meinung zu ändern und wieder Teil der Europäischen Union zu sein", meinte der Belgier. Das wäre dann "aber eine EU ohne Sonderwünsche, ohne Rabatte, ohne unnötige Komplexität, aber dafür mit mehr europäischen Kompetenzen."
Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wiederholte in der "Welt am Sonntag" allgemein die Hoffnung, die britische Regierung könnte ihren Kurs doch noch korrigieren. Weil dies derzeit nicht wahrscheinlich sei, setze er zumindest auf einen Kompromiss in den Verhandlungen.
Viele Vorbedingungen
"Vielleicht gibt es jetzt eine Chance, einen sogenannten 'weichen Brexit' hinzubekommen", sagte der SPD-Politiker. Ein Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt nach einem EU-Austritt bedeute aber auch eine Akzeptanz von Arbeitnehmerfreizügigkeit und des Europäischen Gerichtshofes oder zumindest eines gemeinsamen Gerichts, das aus Europäern und Briten besetzt sei und den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs im Prinzip folge. Das lehnt die britische Regierung bisher ab.
Gabriel warf Premierministerin May vor, sich "regelrecht verzockt" zu haben. Sie habe erst mit den Emotionen der Bürger in Großbritannien gespielt, "fake news" über Europa erzählt und die Menschen im Unklaren darüber gelassen, welche Konsequenzen das alles habe, monierte der deutsche Chefdiplomat.
SC/haz (APE, afpe, rtre, dpa)