BRICS-Staaten profilieren sich gegen G7
11. April 2023"Die Gründungslegende der aufstrebenden Volkswirtschaften ist verblasst, die BRICS-Staaten erleben gerade ihren geopolitischen Moment", erklärt Günther Maihold, Politikwissenschaftler und Lateinamerikaexperte an der Freien Universität Berlin, im DW-Gespräch. Man versuche, sich in einer Sprecherrolle für den globalen Süden zu positionieren, "als Gegenmodell zu den G7".
Die Abkürzung "BRIC" geht auf den ehemaligen Chefökonom der Großbank Goldman Sachs, Jim O'Neill, zurück. Sie umfasst die vier Länder Brasilien, Russland, Indien und China, die Anfang der 2000er über einen längeren Zeitraum hinweg hohe wirtschaftliche Wachstumsraten aufwiesen. Die Abkürzung sollte Schwellenländern bei ausländischen Investitionen mehr Aufmerksamkeit verschaffen.
Aus der damaligen finanzpolitischen Marketing-Maßnahme erwuchs eine zwischenstaatliche Kooperationsplattform. 2009 fand der erste Gipfel der vier Schwellenländer im russischen Jekaterinburg statt. 2010 wurde Südafrika eingeladen, der Gruppe beizutreten.
NDB und CRA als Konkurrenz für die Weltbank
2014 gründeten die BRICS-Staaten die "New Development Bank" (NDB) mit einem Startkapital von 50 Milliarden US-Dollar als Alternative zur Weltbank und dem Internationalem Weltwährungsfonds (IWF). Zusätzlich wurde ein Liquiditätsmechanismus geschaffen, der Contingent Reserve Arrangement (CRA), der Mitglieder in Zahlungsschwierigkeiten unterstützt.
Nicht nur für die BRICS-Staaten selbst, auch für viele Entwicklungs- und Schwellenländer, die mit den Strukturanpassungs- und Sparprogrammen des IWF leidvolle Erfahrungen gemacht haben, sind diese Angebote attraktiv. Denn sie wären dann in Krisenzeiten nicht mehr ausschließlich auf Weltbank und IWF angewiesen. Viele Länder haben deshalb Interesse an einem Beitritt zur BRICS-Gruppe signalisiert.
Die BRICS-Bank NDB hat sich bereits für neue Mitglieder geöffnet. So zeichneten 2021 Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Uruguay und Bangladesch Anteile an der Institution. Diese liegen allerdings deutlich unter den jeweils zehn Milliarden US-Dollar Einlagen der Gründungsmitglieder.
BRICS auf Expansionskurs
Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor bestätigte ein "weltweit riesiges Interesse" am Club der BRICS-Staaten. "Auf meinem Schreibtisch liegen Anfragen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten, Algerien, Argentinien, Mexiko und Nigeria", erklärte sie in einem TV-Interview.
Insgesamt 23 Länder haben mittlerweile Interesse bekundet, dem informellen Bündnis beizutreten. Zu den neuen Interessenten gehören Äthiopien, Indonesien und auch Belarus.
Laut Südafrikas Außenministerin Pandor seien die BRICS-Staaten bereit, über eine Expansion der Gruppe zu sprechen, allerdings müssten vorher die Aufnahmekriterien dafür diskutiert werden. Das Thema werde auf dem nächsten Gipfel im August in Südafrika auf der Agenda stehen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der BRICS-Staaten hat mit dem Gründungsmythos der aufstrebenden Schwellenländer mittlerweile nur noch wenig zu tun. Denn von den fünf Mitgliedsstaaten verzeichnet lediglich China ein kontinuierliches und expansives Wachstum (siehe Grafik).
Während China zwischen 2010 und 2021 sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von sechs Billionen auf knapp 18 Billionen US-Dollar steigerte, stagnierte im gleichen Zeitraum in Brasilien, Südafrika und Russland die Wirtschaft. Indien gelang eine knappe Verdoppelung seiner Wirtschaftsleistung von 1,7 auf 3,1 Billionen US-Dollar.
Keine Sanktionen gegen Russland
Angesichts des Ukrainekrieges hat sich die Distanz der BRICS-Staaten zum Westen erhöht. Denn weder Indien, noch Brasilien, Südafrika oder China beteiligen sich an den Sanktionen gegen Moskau. Dies zeigt sich in zum Teil historischen Handelsbeziehungen zwischen Indien und Russland, oder der Abhängigkeit Brasiliens von Düngemitteln aus Russland.
"Der Ukrainekrieg hat zu einer diplomatischen Trennung zwischen dem Westen und den Ländern, die Russland unterstützen, geführt", schreibt der britische Politikwissenschaftler Matthew Bishop von der Universität Sheffield in der Zeitschrift Economics Observator. Allerdings verschleiere dies Komplizenschaft westlicher Finanzinstitutionen und Eliten mit Putin über lange Jahre.
Experte Maihold betrachtet das Bündnis nicht als antiwestliche Konstellation, sondern als eine Plattform für die Umsetzung eigener nationaler Interessen. "Südafrika, Indien und Brasilien wollen sich zwischen den Welten bewegen", erklärt er. "Sie wollen aus einer Situation der Distanz die besten Optionen für ihre nationale Entwicklung realisieren."
Es gehe darum, im "Kampf der Giganten das Beste für sich herauszuholen, und da sagen sich diese Länder, es nicht falsch, sich auch in den BRICS zu engagieren, dann hängt man nicht nur von Weltbank und Weltwährungsfonds ab, wenn man in einer Finanzkrise ist."
China hingegen, so Maihold, nutze die Plattform für seine weltpolitischen Ambitionen. Dazu passten die Vermittlungsangebote im Ukrainekrieg und die gemeinsamen militärischen Manöver von Russland und China in Südafrika.
Im Westen habe man den Strategiewechsel erkannt und versuche gegenzusteuern, meint Maihold. "Da wird sehr genau hingeguckt", sagt er. "Beim G7 Gipfel 2022 in Deutschland hat man Südafrika und Indien explizit eingeladen, um zu verhindern, dass es zu einer G 7-versus-BRICS-Sichtweise in der Weltpolitik kommt".
Dieser Artikel wurde am 17.8.2023 aktualisiert.