Frankreich, der Rentenstreik und die Wirtschaft
24. Januar 2020Das Restaurant Extérieur Quai am Pariser Ostbahnhof ist normalerweise zur Mittagszeit ausgebucht. Doch an diesem Mittag bleiben die Kunden praktisch aus. Nur ein Mann um die 50 nippt an der Bar an einem Bier. Und an einem Tisch sitzen vier Männer in Arbeitsanzügen und warten auf ihr Essen.
Seit dem 5. Dezember ist das der neue Normalzustand. Denn durch den Streik ist der Umsatz des Restaurants im Vergleich zum Vorjahr um vier Fünftel eingebrochen. Einige Branchen leiden besonders stark unter dem Ausstand. Doch die Gewerkschaften sagen, das Opfer lohne sich.
"Bei so einem Chaos nehmen die Leute sich nicht mehr die Zeit, etwas zu essen", erklärt Marcel Bénezet, Besitzer des Extérieur Quai. "Sie müssen ja schon zusehen, dass sie irgendwie zur Arbeit und wieder nach Hause kommen. Wir haben auch viele Kunden aus der Vorstadt, die hier den Zug nehmen. Aber es fuhren kaum noch Züge. Zudem kommen kaum noch Touristen. Daher hat der Streik uns extrem getroffen."
Präsident Emmanuel Macron will mit seiner Rentenreform Frankreichs chaotisches Rentensystem, das 42 Einzelsysteme hat, vereinheitlichen. Außerdem soll eine Milliarden schwere Finanzierungslücke, die voraussichtlich zwischen 2025 und 2030 entstehen wird, gefüllt werden.
Eine Anhebung des Alters, ab dem man eine volle Rente beziehen kann, hat die Regierung dafür nach den Streiks zunächst ausgeschlossen. Eine andere Lösung will man auf einer Finanzierungskonferenz in den nächsten Monaten finden. An diesem Freitag brachte das französische Kabinett das Gesetz für die Reform auf den Weg, es könnte in den nächsten Monaten im Parlament verabschiedet werden.
"Der Streik bringt Jobs in Gefahr"
Gastwirt Bénezet versucht, den Umsatzeinbruch so gut wie möglich auszugleichen. Einige befristete Arbeitsverträge hat er bereits nicht verlängert. Aber er verlangt auch Hilfe von der Regierung: "Wir müssen so viele Abgaben leisten. Die sollte uns der Staat erlassen - sonst wird es für uns sehr schwer werden," meint er.
Auch bei Pariser Hotels hat sich der Streik niedergeschlagen - vor allem als die Touristen an den Festtagen ausblieben. Emmanuel Sauvage ist Direktor von vier Hotels der Gruppe Evok Hotels Collection in Paris. Als Folge des Streiks ist sein Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gesunken. "Wir werden weniger investieren und weniger Leute einstellen können," sagt er. "Die Streikenden sollten nicht vergessen, dass ihr Streik schwere Auswirkungen auf die Wirtschaft hat und Jobs in Gefahr bringt. Es ist wirklich nervenaufreibend, dass sie das nicht zu kümmern scheint."
Bénezet und Sauvage sind keine Ausnahmen. Hotels und Restaurants haben seit Beginn des Streiks bis zu einer Milliarde Euro Umsatzeinbußen erleiden müssen, so Franck Touret, Sprecher des Pariser Verbands unabhängiger Hotels und Restaurants GNI.
"Dieser Streik macht sich bei Geschäftsleuten mehr bemerkbar als vorherige wie zum Beispiel der in den 1990er Jahren, denn heutzutage können die Arbeitnehmer durch das Internet leichter von zuhause aus arbeiten," erklärt er. "Und Taxen zu bekommen, um abends doch auszugehen, ist teilweise sehr schwer wegen der hohen Nachfrage."
Auch Textilbranche, Einzelhandel und Kinos sind betroffen
Insgesamt wird der Streik nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Bruno Le Mairedas das Wirtschaftswachstum wohl um 0,1 Prozent senken. Die Eisenbahngesellschaft SNCF und die Pariser Metro haben bereits über 800 Millionen Euro verloren. Und auch in anderen Sektoren habe der Streik drastische Auswirkungen, vor allem in und um die Hauptstadt Paris, so Michel Ruimy, Ökonomie-Professor an der Pariser Universität Science Po.
"Die Textilbranche hat den Streik stark zu spüren bekommen," sagt er. "Beim Einzelhandel rechnen wir mit einem Einbruch von 30 Prozent und auch Kinos, Theater oder auch die Oper leiden darunter. Viele Branchen werden diese Verluste auch nicht ausgleichen können, vor allem wenn es sich um einmalige Käufe handelt wie Weihnachtsgeschenke oder bestimmte Kinovorstellungen."
Zum andauernden Streik kommen die regelmäßigen Demonstrationen hinzu, während derer viele Läden zumachen müssen. Auch für diesen Freitag haben die Gewerkschaften zu Demos im ganzen Land aufgerufen, zum siebten Mal seit Beginn der Streikwelle.
Nathalie Verdeil von der Gewerkschaft CGT gibt zwar zu, dass der Ausstand wirtschaftliche Auswirkungen habe, aber für sie lohnt sich das Ganze. "Die Streikenden sind doch die ersten Leidtragenden - schließlich verdienen sie nichts," sagt sie. "Außerdem entdeckt man bei so einem Streik, und das ist auch gut so, dass eben ohne die Arbeiter nichts produziert wird. Und dieser Streik ist wichtig, es geht ums Ganze - diese Reform würde unseren Sozialstaat komplett aushöhlen."
Schlecht für Frankreichs Image?
Restaurantbesitzer Bénezet kann eine solche Sichtweise schwer verstehen. Er macht sich Sorgen um das Image Frankreichs. "Das Ganze macht mich traurig," meint er. "Ausländische Kunden sagen mir, dass sie vielleicht nicht mehr kommen wollen. Irgendein Problem gibt es hier immer - Streiks, Demos etc. Wir müssen wirklich aufpassen. Die Menschen mögen Frankreich zwar - auch wegen seiner tollen Museen - aber wenn wir immer nur Ärger machen, fahren sie vielleicht bald in andere Länder, die ja auch schön sind."
Auch wenn es am Freitag wieder neue Protestaktionen gab, scheint sich dieser Streik seinem Ende zu nähern. So sollte das Restaurant auch bald zur Mittagszeit wieder viele Gäste haben.