Nemzow: Der Mann, der Putin beschimpfte
27. Februar 2020Boris Nemzow ging mit seiner jungen ukrainischen Freundin nach einem Restaurantbesuch über die Große Moskwa-Brücke - den Kreml in unmittelbarer Sichtweite - gerade nach Hause, als ein Auto mit vier Insassen kurz hinter ihm anhielt. Ein Killer schoss ihm mehrmals in den Rücken. Das war am 27. Februar 2015.
Der Schock in der russischen Gesellschaft nach dem demonstrativen Mord an einem prominenten Politiker vor einer symbolischen Kulisse saß tief. Nemzow, zu dem Zeitpunkt eines der bekanntesten Gesichter der russischen außerparlamentarischen Opposition, war zugleich schärfster Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er scheute auch vor übelsten Beschimpfungen nicht zurück.
Politstar der 90er Jahre
In seiner politischen Laufbahn durchlief Boris Nemzow mehrere Stationen und Wandlungen. In den 90er Jahren gehörte er zu den "jungen Wilden" der russischen Politik: ein leidenschaftlicher Reformer ohne kommunistischen Hintergrund. Mit gerade 32 Jahren wurde er 1991 der jüngste Gouverneur des neuen Russlands.
In der bis dahin wegen militärischer Produktion stark abgeschotteten Region Nischni Nowgorod führte er liberale Reformen durch, die später in der russischen Regierung als vorbildhaft galten. Mit 36 Jahren wurde er Vizepremier und galt als möglicher Nachfolgekandidat von Boris Jelzin, des ersten Präsidenten Russlands.
Es kam bekanntlich anders. Zunächst suchte Nemzow Schulterschluss mit dem Jelzin-Nachfolger Wladimir Putin. Doch schon bald ging er mit seiner Partei "Union der rechten Kräfte" in die Opposition. 2004 unterstützte Nemzow die "Orangene Revolution" in der Ukraine und wurde danach Berater des liberalen Präsidenten Wiktor Juschtschenko - sehr zum Ärger der russischen Führung um Putin.
Putins Protegé, Wiktor Janukowitsch, verlor gegen Wiktor Juschtschenko in Folge der ukrainischen Massenproteste. Nemzow kritisierte die Krim-Annexion und bezeichnete den unerklärten Krieg in der Ostukraine als Aggression Moskaus gegen das Nachbarland.
Auftraggeber weiterhin unbekannt
Die Ermittlungen nach dem Mord an Boris Nemzow führten schnell nach Tschetschenien: fünf Personen wurden festgenommen, einer tötete sich dabei mit einer Granate. Der 35-jährige Saur Dadajew, Offizier der sogenannten Inlandstruppen des Innenministeriums, gab zu, dass er die Schüsse abgegeben hatte. Der Todesschütze wurde 2017 zu 20 Jahren Straflager verurteilt, seine vier Komplizen bekamen Gefängnisstrafen zwischen elf und 19 Jahren.
Die angeblichen Auftraggeber - es gab zwei Verdächtige aus Tschetschenien - die den Killern mindestens 15 Millionen Rubel (umgerechnet über 210.000 Euro) versprochen haben sollen, wurden nie gefunden. Weder die Hintermänner noch das Motiv sind bis heute geklärt, sagte die Tochter des ermordeten Politikers, Zhanna Nemzowa.
Die Spur in einer autokratisch geführten Teilrepublik Tschetschenien könnte weiter nach oben führen, doch sie wurde nicht verfolgt, monierten Kritiker. Auch die OSZE, wie zuvor der Europarat, kritisierten angesichts des fünften Jahrestags des Mordes an Nemzow die Ergebnisse der Ermittlungen und riefen zu einer unabhängigen internationalen Untersuchung des Falles auf. Diese Aufrufe lehnten die russischen Behörden jedoch immer strikt ab.
Überhaupt würdigte der Kreml den ehemaligen Vizepremier und zuletzt Abgeordneten einer regionalen Duma, Boris Nemzow, kaum eines Wortes. Bitten, eine Nemzow-Gedenkstätte in Moskau einzurichten oder die Moskwa-Brücke in "Nemzow-Brücke" umzubenennen, wurden abgelehnt.
Die Moskauer Behörden ließen immer wieder die Blumen von der Stelle, an der der Oppositionspolitiker ermordet wurde, entfernen, begleitet teils von gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Aktivisten. Dennoch werden dort seit fünf Jahren jeden Tag frische Blumen aufgestellt. Erst nach viel Gerangel wurde privaten Initiativen erlaubt, Gedenktafeln an zwei Gebäuden anzubringen, in denen der Politiker gewohnt hatte.
Gedenkmarsch in Moskau
Einen Boris-Nemzow-Platz gibt es seit kurzem in Prag. Die offizielle Feier zur Umbenennung des Platzes, an dem sich die Botschaft der Russischen Föderation in der Tschechischen Republik befindet, ist für den 27. Februar geplant. Zhanna Nemzowa begrüßte die Entscheidung der Prager Behörden, das Gedenken an ihren Vater aufrechtzuerhalten, sagte sie in einem Gespräch mit der DW. Ihrer Meinung nach hat die internationale Initiative "durchaus Wirkung auf die russischen Behörden, vor allem auf städtische".
"Während in Russland die politische Verfolgung zunimmt, begreifen die Behörden, dass man nicht zu einer physischen Vernichtung eines Oppositionsführers greifen kann", betonte Nemzowa. Denn die russische Führung habe nicht mit einer solchen "Welle der Unzufriedenheit und Entrüstung" gerechnet, die der Mord an ihrem Vater damals ausgelöst habe.
An Boris Nemzow erinnern heute Plätze in Washington, Vilnius und Kiew, die nach ihm benannt sind. Auch in anderen Städten gibt es ähnliche Überlegungen. Am 29. Februar findet in Moskau ein genehmigter Gedenkmarsch für den ermordeten Oppositionspolitiker statt. In St. Petersburg hatten die lokalen Behörden zwei Anträge auf ähnliche Aktion abgelehnt. Erst der dritte Antrag der Organisatoren ist am Donnerstag genehmigt worden.