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Pulverfass Bolivien

Vera Möller-Holtkamp12. September 2008

Von Zerreißprobe keine Spur - Bolivien ist bereits gespalten: Morales regiert nur noch in einem Teil des Landes. Ein einziger Funke könnte einen Flächenbrand auslösen - nicht nur national, sondern auch international.

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In Santa Cruz protestieren Studenten gegen die Zentralregierung (10.09.08, dpa)
In Santa Cruz protestieren Studenten gegen die ZentralregierungBild: picture-alliance /dpa
Strassenkämpfe in Santa Cruz, (10.08.09, AP)
Der Osten kämpft um Geld und GasBild: AP

Neun Tote in einer Woche - der innenpolitische Konflikt in Bolivien fordert immer höheren Blutzoll. Die Straßenschlachten vom Donnerstag (11.09.2008), die sich Gegner und Anhänger des Präsidenten Evo Morales in dem Ort Tres Barrancas lieferten, sind der jüngste Beweis für die Eskalation. In Bolivien schwelt seit Monaten der Konflikt zwischen der linksgerichteten Zentralregierung und fünf Regionen, die mehr Autonomie fordern.

Am Mittwoch haben Anhänger der Automiebewegung in der Stadt Santa Cruz, etwa 900 Kilometer östlich der Hauptstadt La Paz, Polizisten vertrieben, die die nationale Steuerbehörde bewachen sollten. Die Polizisten seien von der aufgebrachten Menge verprügelt worden und angesichts der Übermacht über die Dächer geflohen, berichteten nationale Medien. Der Mob habe die Abwesenheit der Sicherheitskräfte dazu genutzt, die Büros der staatlichen Telefonbehörde Entel und des nationalen Fernsehsenders Televisión Boliviana zu plündern. Computer, Telefone und Bürostühle seien davon geschleppt worden. Möbel und Autos seien auf der Straße in Brand gesteckt worden. Ähnliche Entwicklungen werden auch aus den Regionen Tarija, Beni und Pando gemeldet.

Es geht um Ressourcen

Bolivianische Gas-Pipeline (Archivbild 2006, AP)
Erdgas ist das wichtigste Exportgut des ärmsten Landes SüdamerikasBild: AP

Im Kern geht es in dem Konflikt um die Verteilung der Einnahmen aus der Erdgasförderung. Die reicheren Provinzen im Norden und Osten des Landes sitzen auf diesen lukrativen Ressourcen und möchten sie weitestgehend für sich behalten. Evo Morales, der erste indigene Staatspräsident in der Geschichte des Landes, hatte sich im Dezember 2005 mit den Stimmen der indigenen Bevölkerung der ärmeren Provinzen im Westen wählen lassen - und gab das Versprechen, Jahrhunderte alte Ungerechtigkeiten zu beseitigen. In diesem Sinne kürzte er direkte Steuereinnahmen aus dem Gasgeschäft, die bisher den ressourcenreichen Provinzen zu gute kamen. Das Geld fließt jetzt verstärkt in die ärmeren Regionen, um eine Mindestrente im ganzen Land zu garantieren. Morales hat den Energiesektor verstaatlicht, um mit den Einnahmen die extreme Armut im Land zu bekämpfen und die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung zu verbessern. Seitdem streben die rohstoffreichen Provinzen nach mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung.

Boliviens Präsient Evo Morales (rechts) mit seinem Vize Alvaro García (09.08.08, AP)
Boliviens Präsient Evo Morales (rechts) mit seinem Vize Alvaro GarcíaBild: AP

Erst am 10. August 2008 hatte sich der Staatspräsident wegen des innenpolitischen Konfliktes per Referendum im Amt bestätigen lassen. Aber nicht nur er ist aus diesem Kräftemessen als Sieger hervorgegangen. Auch die Präfekte der abtrünnigen Provinzen wurden klar im Amt bestätigt, was die Spaltung des Landes weiter vertiefte.

Daraufhin ordnete Morales eine zweite Volksabstimmung an, die allerdings vor wenigen Tagen von der zentralen Wahlbehörde abgelehnt wurde. In dem Referendum, das Morales am 7. Dezember abhalten wollte, sollte über seine neue Verfassung abgestimmt werden. Der Text sollte die Stellung der Indio-Mehrheit gegenüber den wohlhabenderen Nachfahren der europäischen Einwanderer im Norden und Osten des Landes verbessern. Gleichzeitig sollten die Bolivianer gefragt werden, wie viel Landbesitz für Privatpersonen zulässig sein solle. Morales wollte brach liegendes Land im Osten enteignen, das nach seinen Angaben lediglich für Bodenspekulationen genutzt werde.

Sicherheit des Präsidenten nicht überall garantiert

Die indigene Bevölkerung hofft auf Reformen (02.08.2008, AP)
Die indigene Bevölkerung hofft auf ReformenBild: AP

Die fünf wohlhabenderen der ingesamt neun Departamentos wehrten sich vehement gegen das neue Verfassungsprojekt. Ein Generalstreik legte im August zwei Tage lang Banken und den Öffentlichen Nahverkehr lahm. Sie kündigten sogar den Aufbau einer eigenen Polizei an. Ein reicher Unternehmer aus der Provinz Santa Cruz unterstützt die gewaltbereite Jugendorganisation Unión Juvenil Cruceñista, die sich mit der Staatsgewalt auf der Straße tagtäglich anlegt. Faktisch haben sich die fünf Regionen des Tieflands bereits aus dem Staatenverbund verabschiedet: Morales regiert nur in einem Teil des Landes.

So konnte Evo Morales im Wahlkampf mehrere Städte nicht besuchen, weil seine Sicherheit dort nicht garantiert war. Im August musste sogar ein Gipfeltreffen mit dem venezolanischen Staatschef und der argentinischen Präsidentin in der Stadt Tarija kurzfristig abgesagt werden, weil Morales-Gegner das Hotel und den Flughafen blockiert hatten.

Wirtschaftliche Auswirkungen des Konflikts

Der Konflikt hat mittlerweile auch wirtschaftliche Konsequenzen. Morales-Gegner haben Gas-Förderanlagen besetzt, Pipelines beschädigt und damit die so wichtigen Gaslieferungen nach Brasilien ins Stocken gebracht.

Südamerika-Experte Michael Radseck vom GIGA-Institut in Hamburg sieht die Gefahr eines Bürgerkrieges in Bolivien gegeben. "Aus Sicht der Zentralregierung sind die Krawalle in den fünf Provinzen nichts anderes als ein Putsch gegen die Einheit des Landes", sagt er. Die Regierung scheue sich aber noch, den Ausnahmezustand auszurufen, weil das einen Bürgerkrieg sehr wahrscheinlich mache. Der Grund: Das Militär in Bolivien spiegele die Kräfteverhältnisse im Land wieder und werde sich daher nicht geschlossen hinter den Präsidenten stellen, so Radseck. Der Versuch, durch den Ausnahmezustand die Kontrolle im Land zurück zu erhalten - zu gefährlich für Morales.

Eskalation über Landesgrenzen hinweg

Mit freundlichen Minen - Morales und Philip Goldberg im September 2007 (22.09.08, AP)
Mit freundlichen Minen - Morales und Philip Goldberg im September 2007Bild: AP

Aber damit nicht genug: Der bolivianische Konflikt eskaliert nun auch auf internationaler Ebene. Am Mittwoch (11.09.2008) hat Morales den US-amerikanischen Botschafter Philip Goldberg zur Persona non grata erklärt und ihn ausgewiesen. Der Vorwurf: Der Diplomat unterstütze die Opposition und treibe die Spaltung des Landes voran. Im Gegenzug haben die USA den bolivianischen Botschafter in Washington ausgewiesen. Diese diplomatische Eiszeit blieb aber nicht nur auf diese bilateralen Beziehungen beschränkt. Der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez, ein ideologischer Freund Morales', erklärte sich einen Tag darauf solidarisch und verwies seinerseits den US-Botschafter des Landes. "Fahrt zur Hölle, Scheiß-Yankees", waren seine Worte bei einer Kundgebung in Caracas.

Der linksgerichtete venezolanische Präsident hat die Lage damit weiter verschärft, und das ist der Einschätzung Michael Radsecks nach "der gefährlichste Punkt in diesem Konflikt". Chávez warnte am Donnerstag vor einem Sturz der Regierung Morales und drohte mit einem Eingreifen. "Ohne mich in die Angelegenheiten einmischen zu wollen, appelliere ich an die Militärs in Bolivien: Wenn Evo gestürzt wird, wenn Evo getötet wird, dann glaubt mir, dass ich in diesem Fall grünes Licht haben werde, um jede bewaffnete Bewegung zu unterstützen." Diese Aussagen Chávez' stützen ein im Mai 2006 geschlossenes Sicherheitsabkommen zwischen Morales und seinem venezolanischen Amtskollegen, in dem sie sich gegenseitig militärische Hilfe zusichern.

Warnung vor "regionalem Flächenbrand"

Hugo Chávez kündigt Seemanöver mit Russland an (07.09.08, AP)
Hugo Chávez kündigt Seemanöver mit Russland anBild: AP

Aber wann ist wirklich ein Putsch gegeben? "Das ist in der derzeitigen Lage reine Auslegungssache", sagt Radseck. Wenn Venezuela wirklich ernst macht und militärisches Gerät oder Truppen nach Bolivien schicken sollte, würde das einen "regionalen Flächenbrand auslösen und die ganze Region in Alarmbereitschaft versetzen".

Es gibt keine Sicherheitsarchitektur in Südamerika. Die südamerikanischen Staaten sind auf einen solchen Fall nicht vorbereitet. Radseck schließt nicht aus, dass bolivianischen Anrainerstaaten wie Chile, Peru und Paraguay ihre Truppen teilmobilisieren könnten, sollten tatsächlich venezolanische Truppen in Bolivien intervenieren.

Schon jetzt liefern sich viele südamerikanische Staaten einen neuen Rüstungswettlauf. Venezuela, Brasilien und Chile allen voran. Jetzt, da Venezuela mit Russland gemeinsame U-Bootmanöver plant, und dem russischen Präsidenten Medwedew angeboten hat, in Venezuela einen Militärstützpunkt zu installieren, weht wieder der eisiger Wind des Kalten Krieges über den sonnenverwöhnten Subkontinent. Ideologien, Ressourcen-Gier und Machtpolitik vermengt sich zu einem gefährlichen Gemisch.

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