Deutsche Exporteure fürchten Chaos-Brexit
17. Oktober 2018DW: Herr Bingmann, von Juli auf August haben sich die deutschen Exporte leicht verringert. Doch noch erscheint die Lage relativ stabil. Allerdings ist die Rede von trüben Aussichten. Sie selbst haben ihre Jahresprognose drastisch zurückgeschraubt. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Gefahren für den deutschen Export?
Erstmal sind wir natürlich in der guten Lage, dass wir immer noch ein Wachstum von 3,5 Prozent für das zweite Halbjahr oder für das Gesamtjahr prognostizieren können. Das finde ich schon mal sehr beachtlich für die deutschen Außenhändler und die deutschen Firmen. Die Gefahr, darauf haben wir in der Vergangenheit schon hingewiesen und das scheint sich jetzt leider zu bewahrheiten, ist, dass die Unsicherheit und die Unzuverlässigkeit, die aus Richtung USA in den Welthandel getragen wurde, nun tatsächlich zu wirken beginnt. Das hat handfeste Auswirkungen, siehe Iran, andererseits gibt es eine Zurückhaltung, ein stärkeres Angstgefühl bei den Unternehmen: Mache ich jetzt lieber etwas oder mache ich doch lieber nichts. Also die Unsicherheit schlägt jetzt in faktische Verunsicherung um.
In Brüssel verhandeln die EU und Großbritannien einmal mehr um einen geordneten Ausstieg der Briten aus der EU. Von einer Lösung scheint man weit entfernt, nun wird als neue Option ein zeitlicher Aufschub ins Spiel gebracht. Wir beurteilen Sie die Situation aus Sicht der deutschen Exportwirtschaft?
Für uns ist der Brexit insgesamt eine Katastrophe. Wenn sie allein sehen, was für ein wesentlicher Bestandteil innerhalb des europäischen Handels der Handel mit England ausmacht. Wir reden da von über fünfzig Milliarden Euro. Ich glaube auch nicht, dass die Briten so entschieden hätten, wenn wir vor zwei Jahren gewusst hätten, wie viel Unsicherheit in unser Handelssystem gebracht wird durch die US-Handelspolitik mit den Strafzöllen und Sanktionen. Aber zurück zum Brexit: Die Lage ist wie sie ist, wir leiden natürlich darunter, dass es keine klaren Vorgaben gibt. Das heißt, meine Hoffnung ist, dass heute etwas entschieden wird, damit Händler und Hersteller wissen, woran wir ab März sind. Meine Sorge ist, dass es nur zu einer weiteren Übergangsfrist kommt und wieder weiter diskutiert werden wird. Gleichzeitig steigt eben das angesprochene Level der Unsicherheit. Und damit kriegen sie einfach ein Stück Unwohlsein.
Welche Forderung haben Sie in Sachen Brexit an die Politik?
Unsere Forderung besteht schlicht und einfach darin: Gebt uns sobald wie möglich Sicherheit. Denn schauen sie, wir sind ja nur noch ein paar Monate bis Ende März, dem Austrittsdatum. Wenn man bedenkt, was alles noch passieren muss, alleine was die Zoll-Formalitäten und ähnliches betrifft, dann ist es schon fast nicht mehr wahrscheinlich, dass noch ein positives Verhandlungsergebnis erreicht wird. Und das muss dann noch alles ratifiziert werden.
Neben dem Brexit gibt es ja auch noch weitere Problemfälle wie Italiens Schuldenpolitik oder auch die Abschwächung der Weltwirtschaft, die der IWF jüngst prophezeit hat. Bleibt die deutsche Exportwirtschaft auch mittel- und langfristig der Wachstumsmotor der deutschen Konjunktur?
Ganz bestimmt. Da mache ich mir keine Sorgen. Auch wenn die Geschwindigkeit abnimmt, wie wir ja nun auch attestieren müssen wegen der zunehmenden Unsicherheit. Aber ich bin mir sicher, dass der Export eine wesentliche Stütze bleiben wird. Deutschland ist führend bei hochspezialisierten Produkten. Wir sind ein wesentlicher Bestandteil in der internationalen Handelskette. Insofern: Handel hat immer Menschen zusammengebracht und das wird auch hier wieder der Fall sein. Es wird uns momentan etwas abbremsen, aber definitiv nicht ausbremsen.
Dr. Holger Bingmann ist Unternehmer und Geschäftsführer des Medien- und Logistik-Dienstleisters MELO Group. Seit 2017 ist er Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA).