Verbotene DDR-Filme auf der Berlinale
3. Februar 2016Als in Berlin die Mauer bröckelte, machten sie unter dem Namen "Kaninchenfilme" die Runde: Jene zwölf Filme, die die DDR-Behörden in den Jahren 1965/66 aus dem Verkehr zogen und die deswegen erst nach dem Fall der Mauer gezeigt werden konnten. Was war geschehen? In Ost-Berlin hatte Ende 1965 das 11. Plenum des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei (SED) getagt und beschlossen, dass insgesamt 12 Filme gegen die hehren Ziele des Arbeiter- und Bauernstaates verstießen. Sie wurden verboten und in die "Giftschränke" der Behörden verbannt.
Erst viele Jahre später, als die DDR erodierte und die Kulturgeschichte Ost-Deutschlands aufgearbeitet wurde, konnten sie aufgeführt werden. Den eigentlich unpassenden, weil verharmlosenden Begriff "Kaninchenfilme" hatten sie Kurt Maetzigs Filmtitel "Das Kaninchen bin ich" zu verdanken, einem der zwölf betroffenen Streifen.
DDR-Kulturkampf: Reformer gegen Stalinisten
Heute stellt sich natürlich die Frage: Wie konnte es geschehen, dass Filme, die ja mit einer längeren Vorlaufzeit geplant und gedreht worden waren, erst unmittelbar vor oder nach ihrer Premiere in das Visier der DDR-Zensoren gerieten? "Es gab in den Jahren nach 1961 in der DDR zwei Strömungen innerhalb der SED, die unterschiedlich waren", sagt Ralf Schenk von der Defa-Stiftung im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Das eine waren die Altstalinisten, die Dogmatiker, die auf der strikten Linie des Befehls-Kommunismus der 1950er Jahre agieren wollten."
Auf der anderen Seite hätten damals die Reformer gestanden, so Schenk, Reformer im Bereich der Ökonomie, aber auch diejenigen, die eine vorsichtige Liberalisierung der Kulturpolitik vorantrieben. Auf dem heute berüchtigten 11. Plenum des ZK setzten sich die Hardliner durch. Die DDR fiel in vielen Bereichen auf eine dogmatische Linie zurück - auch die Defa (Deutsche Film AG): Die zwölf Filme wurden verboten. Zehn davon sind nun in einer DVD-Edition digital restauriert wieder zugänglich. Vier Filme laufen während der Berlinale innerhalb der Retrospektive "Deutschland 1966 - Filmische Perspektiven in Ost und West".
Und das sind die zehn Filme der DVD-Edition:
"Das Kaninchen bin ich"
Das Verbot dieses Films kam überraschend. Schließlich handelte es sich bei Regisseur Kurt Maetzig um einen der Vorzeigefilmemacher der DDR, der vor allem seit seinen Ernst-Thälmann-Filmbiografien zu den bekanntesten DDR-Regisseuren gehörte. Doch Maetzig erzählte in "Das Kaninchen bin ich" von einer desillusionierten jungen Frau, deren Bruder, der wegen "staatsgefährdender Hetze" angeklagt wird, sowie einem Richter mit Doppelleben. "Der Film verbreitet Skeptizismus", urteilte die Abteilung Kultur im ZK der SED und zog ihn aus dem Verkehr. Da nutzte Maetzig auch sein Renommee nichts.
"Denk bloß nicht, ich heule"
Dass Frank Vogels Film "Denk bloß nicht, ich heule" verboten wurde, überraschte hingegen nicht. Vogel erzählt von einem jungen Paar, dass gegen die starre Denk-Welt der Erwachsenen aufbegehrt. Wie im Westen auch opponierte die DDR-Jugend Mitte der '60er Jahre gegen althergebrachte Konventionen. In der DDR musste das besonders irritieren. Der Film stelle die "sozialistische Erziehung und Charakterbildung junger Menschen in Frage", urteilte das ZK.
"Berlin um die Ecke"
Zwei Freunde begehren gegen die starren Richtlinien der DDR-Arbeitswelt auf. Dabei geraten sie auch in Konflikt mit der Presse. Für das ZK einer der "übelsten Filme" des Jahrgangs: "Dieser Film ist eindeutig in die Reihe jener Arbeiten einzuordnen, die wegen ihrer antisozialistischen, schädlichen Grundhaltung der Kritik unterzogen und ausgebucht werden mussten", hieß es im trockenen SED-Amtsdeutsch.
"Jahrgang 45"
Auch dieser Film zeigte die Jugend nicht so, wie sich das die sozialistischen Moralhüter vorstellten. "Jahrgang 45" blickt auf ein junges Paar vom Prenzlauer Berg - fragend und provokant in seiner Grundhaltung, schonungslos in seiner Zurschaustellung des Alltags. Den DDR-Behörden passte auch nicht, wo Regisseur Jürgen Böttcher seine Szenen ansiedelte: in Hinterhöfen und Kellerwohnungen. "Trist, unfreundlich, schmutzig und ungepflegt wirken die verschiedenen Gebäude", kritisierten die Zensoren.
"Karla"
Der vielleicht schönste Film des "verbotenen Jahrgangs". Karla, wunderbar gespielt von Jutta Hoffmann, ist frisch ausgebildete Lehrerin und tritt ihren ersten Job in einer Kleinstadt an. Sie ist unkonventionell und lebhaft - und verstößt so gegen die vermeintlichen Ideale sozialistischer Pädagogik. "Auch dieser Film propagiert ein falsches Ideal und muss deshalb den jugendlichen Zuschauer gegen notwendige Forderungen seiner Lehrer und Erzieher und gegen den politischen Charakter der sozialistischen Schule mobilisieren", zürnten die Zensoren.
"Wenn Du groß bist, lieber Adam"
Der ästhetisch und dramaturgisch radikalste Film aus jenen Jahren. Ein kleiner Junge bekommt von einem Schwan eine Taschenlampe mit magischen Fähigkeiten geschenkt: Lügner werden in ihrem Licht in die Luft geschleudert (siehe Artikelbild). "Der Film bedient sich eines lyrischen Symbols, das jedoch sehr zwielichtig ist", urteilte verunsichert die Hauptverwaltung Film. In den Akten stand aber auch: "Der 'Film' hat keine Fabel und damit auch keine zusammenhängende Idee, Gestaltung und Aussage."
"Der Frühling braucht Zeit"
Ein etwas trocken inszenierter Film um die Nöte eines Ingenieurs der Energieversorgung in der DDR. Regisseur Günter Stahnke fächert eine Episode aus dem real existierenden Sozialismus auf, zeigt die Kämpfe zwischen Reformern und Dogmatikern, zwischen aufgeschlossenen und verhärteten Charakteren. Doch Aussagen wie "man brauche in der DDR weder Meister noch Ingenieure, sondern eher 1000 Heinzelmännchen, die das ausführen, was die Leitenden sich gerade ausgedacht haben", waren den DDR-Kulturbürokraten natürlich ein Dorn im Auge.
"Der verlorene Engel"
Einer der unbekanntesten Filme der zwölf, eine echte Wiederentdeckung. Das nur knapp einstündige Werk von Regisseur Ralf Kirsten zeigt den Bildhauer Ernst Barlach 1937, unmittelbar nachdem die Nationalsozialisten seine berühmte Skulptur "Der Engel" aus dem Dom von Güstrow verbannt haben. Barlach (eindrucksvoll gespielt von Fred Düren) irrt durch Güstrow und Umgebung auf der Suche nach einer Haltung zu den Nazis, stellt sich Fragen nach dem Wert von Kunst in Zeiten der Diktatur. Das hätte der findige Zuschauer damals natürlich auch auf die neue sozialistische Diktatur beziehen können.
"Spur der Steine"
Der bekannteste und auch heute noch sehenswerteste Film der "Verbotenen Zwölf", ist zweifellos einer der besten deutschen Nachkriegsfilme überhaupt. Der fulminant aufspielende Manfred Krug ist Brigadier auf einer Großbaustelle und sprengt das sozialistische Einerlei. Der Film gebe "ein verzerrtes Bild von unserer sozialistischen Wirklichkeit" wider, so der Kommentar im "Neuen Deutschland". "Spur der Steine" von Frank Beyer lief sogar drei Tage im Kino - bevor er aus dem Verkehr gezogen wurde.
"Hände hoch oder ich schieße"
Die einzige Komödie unter den verbotenen Filmen, eine Räuberpistole mit klamottenhaften Zügen. Ein Volkspolizist verzweifelt am langweiligen, weil verbrecherlosen Dasein in der Ortschaft Wolkenheim. In der DDR gibt es keine Kriminalität - so die überspitzte Aussage des Films. Das passte den Zensoren natürlich auch nicht. Der Zuschauer könne nicht sicher sein, ob diese Aussage möglicherweise nicht ironisch gemeint ist - so die Stellungnahme der Hauptverwaltung Film.
Die DVD-Edition "Verboten" ist beim Anbieter "Icestorm" erschienen und enthält außer den zehn Filmen reichlich Bonusmaterial: Interviews mit den Regisseuren sowie anderen Beteiligten. Während der Berlinale-Retropektive laufen die Filme "Berlin um die Ecke", "Jahrgang 45", "Karla" und "Spur der Steine". Rainer Rother und Ralf Schenk sind auch Autoren des Retrospektive-Buches, das im Verlag Bertz + Fischer erschienen ist, ISBN 978-3-86505-245-2.