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Musik

Multimedialer Wagner-Ring in Bayreuth

Gaby Reucher
30. Juli 2021

Wagners "Ring der Nibelungen" ist der längste Opernzyklus der Welt. In Bayreuth wird er dieses Jahr multimedial an nur einem Aufführungstag erlebbar.

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Ein Mann schmeißt rote Farbe auf den Boden. Eine Figur steht und hält eine Art Pokal in der Hand.
Farben-Schlacht bei der "Walküre": In der Inszenierung von Hermann Nitsch dominierte die Farbe rotBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Es ist immer ein großes Medienereignis, wenn Richard Wagners "Ring der Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen in einer Neuinszenierung geboten wird. Schließlich ist es mit rund 16 Stunden Gesamtlänge einer der längsten Opernzyklen der Welt. Das Werk ist aufgeteilt in die vier Opern "Das Rheingold", "Die Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung".

Menschen in Weißen Kleidern gießen rote Flüssigkeit über einen gekreuzigten Körper. Im Hintergrund rinnt gelbe und rote Farbe von den Wänden.
Farbe oder echtes Blut? Hermann Nitschs Kreuzigungsszene bei der Oper "Walküre"Bild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Diesmal stürzten sich die Medien vor allen Dingen auf den 82-jährigen, österreichischen Aktionskünstler Hermann Nitsch, dessen Assistenten während der Aufführung der Oper "Walküre" unter der musikalischen Leitung des Finnen Pietari Inkinen Farben aus dem Regenbogenspektrum von den Wänden regnen ließen, und große Farbeimer geräuschvoll auf dem Bühnenboden entleerten.

Am Ende von jedem Akt dominierte immer die Farbe Rot. Das Publikum war zwiegespalten. Bei der konzertanten Aufführung gab es am Ende viele Buh-Rufe für die Inszenierung von Nitsch.

Der Ring, eine Gesellschaftsparabel

Portrait Katharina Wagner
Intendantin Katharina Wagner will 2022 wieder einen große Ring-Inszenierung auf die Bühne bringenBild: Nicolas Armer/picture-alliance/dpa

Der Ring beruht auf deutschen Sagen und ist eine groß angelegte Gesellschaftsparabel, für die Richard Wagner 1876 eigens sein berühmtes Festspielhaus in Bayreuth erbaut hatte. Die geplante Neuinszenierung für 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie auf 2022 verschoben. Ganz auf den "Ring" verzichten wollte Festspielleiterin Katharina Wagner in diesem Jahr aber nicht und hat Musiker, Dramaturgen, Künstler und Puppenspieler engagiert, um die vier Opern in kleinerem Rahmen auf ganz unterschiedliche Weise zu interpretieren. Ein Novum in Bayreuth.

Das gesamte Wagner Epos kurz in Worte zu fassen ist nicht einfach, denn es gibt viele Verstrickungen zwischen Göttern, Halbgöttern, Riesen, Zwergen und Menschen mit nahezu undurchschaubaren Verwandtschaftsverhältnissen. Gerade wenn es um Geld und Reichtum, aber auch um die Liebe geht, gönnt keiner dem anderen, was er selbst begehrt. Neid und Gier, Korruption und Diebstahl, Lüge und Vertrauensbruch enden in Tod und Verzweiflung - und am Ende im Untergang der bis dahin gültigen Ordnung der Götterwelt.

Geld verdirbt den Charakter

Symbolisch für den Reichtum steht der Ring, geschmiedet aus dem Gold, das die Rheinnixen bewachen. Er verleiht dem, der ihn besitzt, Macht und besiegelt sein Schicksal. Wer das Gold raubt, den erwartet ein böses Ende, so prophezeit es Mutter Erde in Gestalt von Erda. Und genau das passiert, der Schatz wird geraubt.

Selbst Gott Wotan, der bei Richard Wagner eigentlich nach Gesetz und Vertrag regiert, will den Ring besitzen. An seiner Seite ist zeitweise der hinterhältige Halbgott Loge, dem es gelingt alle Parteien im Streit um den Ring immer wieder auszutricksen. Er gilt als Brandstifter, der am Ende für das Feuer verantwortlich ist, das Wotans Schloss Walhall zerstört.

"Das Rheingold - Immer noch Loge"

Genau nach diesem Untergangsszenario beginnt das Stück "Rheingold - Immer noch Loge", die diesjährige Auftragskomposition der Bayreuther Festspiele an Gordon Kampe. Nach dem Text von Paulus Hochgatterer hat er eine einstündige Opernfassung komponiert. 

Puppe auf einem Steg im Rollstuhl, Schauspieler als Nixen verkleidet schwimmen im See
Erda und die Wassernixen halten Halbgott Loge in einem Käfig gefangenBild: Enrico Nawrath

Unter der Regie von Puppenspieler Nikolaus Habjan sitzt Erda als lebensgroße Puppe im Rollstuhl. Der Klappmund und die Arme der alten Dame im Pelzmantel werden von Nikolaus Habjan passend zum Gesang geführt.Gemeinsam mit den drei Rheinnixen klagt Erda am See des Festspielgeländes Loge als Verräter und Brandstifter von Walhall an, zu murmelnden oder jaulenden Klanggeräuschen, Sprechgesängen und einschmeichelnden Melodien von Gordon Kampe. 

Erda fragt immer wieder, ob Freitag ist, der Tag, um Gericht zu halten. Das sei kein Zufall, sagt Paulus Hochgatterer im Programmheft. "Dieser Tag hat gegenwärtig eine ganz spezifische Bedeutung, was die Schutzwürdigkeit unserer Erde betrifft." Damit spielt Hochgatterer auf die "Fridays for Future"-Bewegung an, die immer Freitags gegen eine drohende Klimakatastrophe demonstriert.

Loge wird am Ende durch einen Sprengstoffgürtel in die Luft gejagt. Die starken Frauen, Erda und die Rheinnixen, überleben als Einzige.

Die Walküre

Die "Walküre" Brünhilde, die Tochter von Wotan, ist ebenfalls eine starke Frau. In der gleichnamigen Oper fällt sie allerdings bei ihrem Vater in Ungnade, weil sie Siegmund (ein menschlicher Sohn Wotans) gegen den Willen ihres Vaters vor dem Tod bewahren will. Zur Strafe wird sie am Ende der Oper von Wotan dazu verdammt, als Mensch auf der Erde weiterzuleben. Sie muss sich dem Helden anschließen, der sie aus einem Feuerring rettet.

Portrait Hermann Nitsch sitzend
Gespaltenes Zuschauerecho: Einige waren von Hermann Nitschs Farbschauspiel berührt, andere buhten ihn ausBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Festspielintendantin Katharina Wagner hat in diesem Jahr dem 82-jährigen Hermann Nitsch den großen Lebenstraum erfüllt, eine Oper in Bayreuth zu inszenieren. Bekannt wurde Nitsch als Skandalkünstler mit Tierblut-Orgien in Mysterienspielen. Eigentlich wollte er sein Orgien-Muster auch auf die konzertante Walküren-Aufführung mit Farbe übertragen, hat sich aber dann anders entschieden, wie er im Programmheft schreibt.

"Obwohl ursprünglich nicht daran gedacht war, direkt auf die Oper einzugehen, bewirkt die Gewalt und Pracht der Musik, dass meine theatralisch verstandene Aktionsmalerei doch auf die Musik direkt Bezug nimmt." So beginnt der erste Akt im Gewitter mit blauen, grünen und violetten Farben. Rot steht als Farbe der Blutschande, als sich Siegmund mit seiner Zwillingsschwester Sieglinde vermählt - gesungen von Lise Davidsen, die übrigens vom Publikum den meisten Applaus bekam. Am Ende sind es die Farben Gelb, Orange und wieder Rot, die symbolisch für den Feuerring stehen, der Brünhilde umgibt. Ihr rettender Held wird später Siegfried sein.

Ein Mann schmeißt rote Farbe auf den Boden. Eine Figur steht und hält eine Art Pokal in der Hand.
Farben-Schlacht bei der "Walküre": In der Inszenierung von Hermann Nitsch dominierte die Farbe rotBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Siegfried, der Drachentöter

Siegfried kommt in der gleichnamigen Oper auf Umwegen an das Schwert "Nothung", das seinem Vater Siegmund gehört hat und übermächtige Kräfte verleiht. Mit diesem Schwert gelingt es ihm, den Drachen Fafner zu töten, der den Ring bewacht. 

Der animierte Drache im Bayreuther Schauspielhaus
In der virtuellen Welt muss der Zuschauer den Drachen tötenBild: Jay Scheib/Bayreuther Festspiele

Die Aufgabe für den US-amerikanischen Video- und Peformancekünstler Jay Scheib und sein Team bestand darin, die vierstündige Oper virtuell über eine 3D-Brille in vier Minuten zu vermitteln. Das war natürlich unmöglich, und Scheib hat sich bei seiner Animation bewusst auf die Drachenszene konzentriert. "Mir war die Stelle wichtig, wo Siegfried Fafner mitten ins Herz trifft, denn wir leben in einer Zeit, in der wir gerade viele Drachen besiegen müssen, wie etwa Donald Trump", sagte Scheib im Gespräch mit der DW.

Wer die Brille aufsetzt, kämpft im Bayreuther Konzertsaal virtuell mit dem Drachen. Ein Holografie-Figur vor der Bühne gibt Anweisung und dirigiert zu Wagners Musik. "Der Mann ist der afroamerikanische Geiger Marcus Thompson. Er dirigiert dich, den Drachen zu töten", erläutert Jay Scheib. Es ist eine Anspielung auf die "Black Lives Matter"-Bewegung in den USA.

Der Schicksalsfaden der Götterdämmerung

Wagners Oper "Die Götterdämmerung" beginnt mit drei Nornen, die den roten Schicksalsfaden spinnen. Die Halbgottwesen repräsentieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vor diesem Hintergrund hat die japanische Künstlerin Chiharu Shiota sechs Meter große Ringe aufgestellt und mit rotem Faden spinnennetzartig verwoben. Der Ring hat sie dabei als Symbol für die Macht des Schicksals fasziniert. Das Werk nennt sie "The Thread of Fate" (Schicksalsfaden).

 Gebilde aus Ringen mit roten Fäden umgarnt im Park.
"The Thread of Fate": Die Fäden und Ringe des Schicksals von Chiharu ShiotaBild: Gaby Reucher/DW

Die Fadenkünstlerin hat Japan 2015 bei der 56. Biennale von Venedig vertreten und bereits Bühnenbilder für Wagner-Opern gestaltet. Der Faden hat für sie als Material etwas ganz Besonderes. "Er kann eng sein, sich zusammenziehen oder dehnen, genau wie menschliche Beziehungen", schreibt sie im Programmbuch. Und er ist in ihrem Kunstwerk mindestens so verwoben, wie die Beziehungen der Charaktere in Wagners Opern Zyklus "Der Ring des Nibelungen".