Bayreuther Festspiele 2019: Ein guter Jahrgang
27. August 2019Sie waren im Nu vergriffen: Postkarten für die Aufführung mit Elena Zhidkova in ihrem Venus-Kostüm, einem enganliegenden Catsuit mit viel Glitzer. Wie andere Bayreuth-Motive des Jahres war sie vor dem Bayreuther Festspielhaus käuflich zu erwerben. Die Künstlerin selbst hatte die beiden letzten abgekriegt, so ihre Selbstauskunft.
Dabei ist das aus Sankt Petersburg stammende Cover-Girl des Wagner-Festivals 2019, von der deutschen Presse als schärfste "Tannhäuser"-Venus aller Zeiten gepriesen, erst auf den letzten Drücker für die Premiere des Jahres gecastet worden. Und zwar in höchster Not, als ihre für diese Rolle vorgesehene Kollegin Ekaterina Gubanova wegen eines ernsthaften Bühnenunfalls ihr Bayreuth-Debüt um ein Jahr verschieben musste. Zhidkova, eine weltweit gefragte Wagnersängerin, kam, sah und siegte auch in der in der Wagnerzentrale. Sie begeisterte mit vokaler Leistung, Charisma und Hingabe, indem sie in nur vier Probentagen nicht nur die Riesenrolle bewältigte, sondern auch den Neudreh der Videos, die in Tobias Kratzers "Tannhäuser"-Inszenierung eine zentrale Rolle spielen.
A star is born - nein, gleich zwei Sterne: Die junge Norwegerin Lise Davidsen nahm mit ihrer strahlenden Elisabeth in "Tannhäuser" schon ihre kommenden großen Wagner-Rollen vorweg, etwa die Brünnhilde. Für solche Stimmen lohnt es sich nach Bayreuth zu pilgern.
"Tannhäuser" in bester Gesellschaft
Auf die Premiere des Jahres sind in Bayreuth traditionell alle Blicke gerichtet. Diesmal, bei der 108. Ausgabe der Bayreuther Festspiele, war es nun eben "Tannhäuser" - erst die neunte Inszenierung des Werks in der Geschichte des Festivals. Als klug und fetzig, vor allem aber von der Partitur inspiriert empfand die Kritik die Interpretation des 39-jährigen deutschen Regiestars Tobias Kratzer.
Damit landet das Festival, nach den "Meistersingern" von Barrie Kosky 2017 und dem "Lohengrin" von Yuval Sharon, ausgestattet mit dem wegweisenden Bühnenbild von Rosa Loy und Neo Rauch, aus dem Jahre 2018 einen dritten Regieerfolg in Folge - eine derartige Erfolgsserie sucht man lange in der Geschichte des Festivals.
Höchst erfreulich ist auch, dass neben dem Orchester, das in Bayreuth auf höchstem Niveau musiziert, sich im letzten Jahrzehnt auch ein Sänger-Ensemble jenseits des Star-Kults herausgebildet hat, das seinesgleichen sucht - mit Markus Eiche, Daniel Behle, Günther Groissböck, Tansel Akzeybek oder Georg Zeppenfeld seien nur einige Namen genannt, die dafür stehen, das Bayreuth eben ein Wagner-Olymp ist und keine Gala-Veranstaltung.
"Causa Gergiev" und "Fall Netrebko"
Das Debüt von Valery Gergiev bei den Bayreuther Festspielen wurde mit großer Spannung erwartet. Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten war davon die Rede, dass der "Wagner-Zar" von Russland endlich auch auf dem Grünen Hügel dirigieren sollte. War doch Valery Gergiev derjenige, der in Russland in den letzten zwanzig Jahren als Erster seit der Oktoberrevolution 1917 den ganzen Wagner-Kanon an seinem Mariinski-Theater aufführte und einen regelrechten neuen Wagner-Kult in Russland auslöste. In einem DW-Interview sprach der Maestro 2012 sogar von seinem eigenen "Alternativ-Bayreuth" an der Newa.
Die Kunde drang bis nach Bayreuth, zur Festspielleitung wie auch zum einflussreichen Orchestervorstand. Bereits nach der plötzlichen Absage von Andris Nelsons vor drei Jahren war Gergiev ein heißer Kandidat für das "Parsifal"-Dirigat, das dann aus terminlichen Gründen nicht zustande kam. Es kam aber die Einladung für den neuen "Tannhäuser".
Die Begegnung des russischen Star-Dirigenten mit dem Bayreuther Orchester sei, so verlautet es nun aus internen Kreisen auf beiden Seiten, von großer Enttäuschung geprägt. Die Chemie habe nicht gestimmt - das klingt pauschal, ist wohl aber so. Gergievs Wagner-Vision blieb für die Bayreuth-Musiker vernebelt. Entsprechend fad war das musikalische Ergebnis, trotz großartiger sängerischer Leistung.
Valery Gergievs Tanz auf mehreren Hochzeiten
Für diesen Misserfolg dürfte der Zeitmangel nicht der Hauptgrund gewesen sein: Jeder in der Branche kennt Valery Gergievs für alle Beteiligten strapaziöse Art, zu Proben und sogar eigenen Premieren auf den allerletzten Drücker mit fliegenden und fahrenden Fortbewegungsmitteln anzudüsen. Auch seine Überlastung ist kein Geheimnis: Man muss nicht allzu umfassend recherchieren, um zu erfahren, dass der Maestro, parallel zu seinem Bayreuth-Engagement, nicht nur in Salzburg und Verbier probte und dirigierte, sondern auch etwa in Wladiwostok, mit Wagners "Parsifal". Bis dahin sind es von Bayreuth knapp 11.000 Kilometer Luftlinie. Das alles ist für Gergiev jedoch normal. Auch seine politischen Vorlieben dürften beim Wagner-Festival nicht im Vordergrund gestanden haben.
Ist dieses Scheitern von zu hohen gegenseitigen Erwartungen einer gewissen Schockstarre geschuldet? Auf jeden Fall wird Valery Gergiev kein zweites Mal nach Bayreuth kommen. Muss er auch nicht - Axel Kober übernimmt im kommenden Jahr das Dirigat von "Tannhäuser".
Eine noch größere Enttäuschung war die kurzfristige Absage von Anna Netrebko. Gesundheitliche Gründe waren die Erklärung dafür, dass der Opernstar nach Erfüllung diverser Verpflichtungen auf anderen Bühnen, etwa in Salzburg, sich nun eine Sommerpause gönnen musste, um eine Erschöpfung zu vermeiden. Der Instagram-Account der Sängerin belegt, dass die sich nun fleißig den schönen Seiten des Lebens an den Küsten des Kaspischen und Schwarzen Meeres im Kreise ihrer Familie widmet. Netrebko braucht also kein Bayreuth. Aber vielleicht braucht auch Bayreuth keine Netrebko? Dieses Festival hat ja einen nie vergehenden Star - Richard Wagner und seine Musik.
Bayreuth 2020: Der "Ring" kommt, die Frauen lassen auf sich warten
2020 wird es in Bayreuth einen neuen "Ring" geben - also eine Neuinszenierung der vier Opern des zentralen Wagner-Werks. Das ist an sich keine Sensation, wäre da nicht eine Roadmap-Änderung: Statt der deutschen Regisseurin Tatjana Gürbaca wird der Österreicher Valentin Schwarz, geboren 1989, Regie führen. Den Taktstock übernimmt der 39-jährige Finne Pietari Inkinen, der schon in diesem Jahr fleißig im Orchestergraben saß, um die Besonderheiten der Bayreuther Akustik zu erkunden - was Valery Gergiev niemals passieren würde, allein aus terminlichen Gründen nicht. Also, zwei Wagner-Newcomer, von denen man Einiges erwarten kann.
Dass der neue "Ring" nicht von weiblicher Hand inszeniert wird, was ebenso eine Premiere gewesen wäre, ist zwar schade. Die weiblichen Debüts werden aber auch in der Wagnerzentrale nicht mehr lange auf sich warten lassen, sogar am Dirigentenpult - soviel hat die Festspielleiterin Katharina Wagner bereits verraten.