Regisseur Tobias Kratzer und sein Tannhäuser
25. Juli 2019Richard Wagner gilt als Revolutionär des Musiktheaters. Um seine Utopien zu verwirklichen schuf er sein eigenes Theater in Bayreuth, das alljährlich zur Pilgerstätte für Wagnerfans wird. In diesem Jahr eröffnen dort auf dem grünen Hügel die Bayreuther Festspiele mit Wagners Oper "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg", neu inszeniert von dem preisgekrönten Schauspiel- und Opernregisseur Tobias Kratzer.
Zur Handlung: Der Minnesänger Tannhäuser ist verschwunden. Überdrüssig der Gesellschaft, die ihn als Genie feiert, sucht er sein Glück im "Venusberg" und gibt sich den sinnlichen Freuden der Göttin der Liebe hin. Wie aus einem Traum erwacht, erfährt er an der Wartburg durch den Sänger Wolfram, dass er das Herz von Elisabeth, der Nichte des Landgrafen, erobert hat. Bei einem Sängerwettstreit besingt Tannhäuser die Liebe. Allerdings nicht als reine Tugend, sondern er preist die sinnliche Liebe und die Göttin Venus. Anschließend bittet er beim Papst in Rom um Vergebung. Dieser lehnt sein Gesuch jedoch ab. Elisabeth opfert ihr Leben für den Geliebten. Erst als auch Tannhäuser stirbt, ist seine Seele gerettet.
Für Regisseur Tobias Kratzer geht es in Wagners Tannhäuser von 1845 allerdings um weit mehr als den Zwiespalt zwischen heiliger und profaner Liebe, die Hingabe an eine "Hure" oder "Heilige". Über die Besonderheiten seiner Inszenierung hat er im DW-Interview gesprochen.
DW: Wie erzählen Sie die Geschichte vom Tannhäuser im Jahr 2019?
Tobias Kratzer: Für mich ist wichtig, aus welchem biografischen Moment heraus Wagners Tannhäuser entstanden ist. Wenn man das berücksichtigt, erscheint die Oper umso aktueller und zeitgemäßer. Das war für mich die interessante Erkenntnis. Sein Stück entsteht in einer biografischen Phase, in der Wagner nicht wirklich weiß, wohin es mit seinem Leben geht; ob er als Revolutionär und Anarchist in den Brockhaus (Enzyklopädie, Anmerkung der Redaktion) Einzug halten würde oder wirklich als Komponist.
Ich glaube diese Unsicherheit und gleichzeitig dieses Zukunftsoffene, auch die sozialkritischen Aspekte, die dieses Stück beinhaltet, machen es viel aktueller als wenn man das Ganze beschränken würde auf eine "Hure-Heilige"-Problematik der Romantik.
Wenn man das Stück genau liest, stellt man fest, dass Wagner gar nicht so sehr ein Stück über Sexualität-Konzepte erzählt, sondern vielleicht ein Stück über zwei Lebensmodelle. Da ist natürlich Sexualität ein Teil, aber ich würde sagen, es ist nicht der bestimmende Teil. Mein Tannhäuser ist sicher einer, in dem Sie am wenigsten nackte Haut sehen werden.
Wer ist denn überhaupt dieser Tannhäuser?
Man könnte negativ sagen, dass er einer ist, der sich selbst zum Außenseiter stilisiert, der sich als Außenseiter fühlt. Die Tragik steckt aber vielleicht gerade darin, dass er im existenziellen Sinn gar kein Außenseiter ist, sondern jederzeit wieder zurück kann in die Gesellschaft. Ich glaube gar nicht, dass seine Zerrissenheit auf einem fundamentalen Außenseitertum basiert. Wagner erzählt viel eher von der Tragik eines Mannes, der anders sein möchte, aber dann doch zur Gesellschaft gehört.
Die Geschichte spielt ursprünglich in Thüringen an der Wartburg im 13. Jahrhundert. Wo haben Sie die Handlung jetzt verortet?
Verortet ist das Ganze 2019. Es beginnt im ersten Akt mit einer Art Reise an die Stätten deutschen Romantik und was daraus geworden ist. Im zweiten Akt kommt man dann direkt im Festspielhaus an, selbst eine Stätte der deutschen Romantik, die ein bisschen zwischen Vergnügungspark und Tempel hin und her changiert. Und im dritten Akt sehen wir einen gar nicht mehr so genau definierten Raum, eine Art von Schrottplatz, der Illusionen von den Hoffnungen und den Themen darstellt, die man in vorherigen Akten gesehen hat.
Richard Wagner bezieht sich immer wieder auf die Sagenwelt der Götter. Wie kann man das Mythische in Wageners Tannhäuser ins Heutige übersetzen?
Wagner beschreibt ja selbst den Gründungsmythos des Stückes. Die Inspiration hatte er auf einer Kutschfahrt von Paris nach Dresden, als er am Höselberg vorbeifuhr und sagte, das ist mein Venusberg. Die Idee kam ihm also unterwegs "on the road". Anders als die Wartburg ist gerade der Venusberg nicht nur ein imaginärer, sondern vor allem ein geografisch nicht festlegbarer Ort. Und deswegen ist der erste Akt ein Roadmovie bei uns. Tannhäuser ist gerade nicht sesshaft, also auch sozusagen "on the road" und dafür steht imaginär der Venusberg. Um das mit verschiedenen Bühnenmitteln zu unterstützen, gibt es bei dieser Inszenierung eine starke Video-Ebene, in der man mit Tannhäuser auf diesem Trip unterwegs ist und wo man in einer sehr schönen Liveszene Venus und Tannhäuser bei einem großen Streit im Auto auf der Autobahn erlebt.
Der korrekte Titel heißt der "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg". Was ist das für ein Krieg?
Es ist natürlich erst mal nur ein Sängerwettstreit, bei dem auch wirklich die Charaktere aufeinander prallen. Und dabei geht es natürlich auch zur Sache. Wir haben quasi eine zweigeteilte Bühne, die unten ganz klassisch dreidimensional eine Wartburg zeigt, und oben sieht man auf einer Leinwand eine Backstagegeschichte. Bei uns funktioniert dieser Krieg auf zwei Ebenen. Man kommt sehr nah an die Figuren heran. Zum Beispiel dort, wo Elisabeth und Tannhäuser ihr Verhältnis verhandeln. Da kann man sehr genau sehen, was das Wiedersehen zwischen Tannhäuser und Elisabeth backstage bei Wolfram an Gefühlen auslöst.
Der Einsatz von Videos ist für Sie ein wichtiges Mittel in der Inszenierung?
Das Video ist ein Mittel, die Guckkastenbühne zu erweitern. Ich versuche nie Video für etwas zu verwenden, was die Bühne besser könnte oder was ich durch Inszenierung nicht hinkriege. Mir ist es wichtig, dieses spannende Mittel in einer sehr spezifischen Weise einzusetzen.
Sie haben schon an vielen Opernhäusern gearbeitet. Was ist im Bayreuther Festspielhaus anders?
Der Geist Wagners ist mir noch nicht erschienen. Aber die Campus-Atmosphäre hier auf dem Grünen Hügel erinnert mit den vielen Proben eher an ein klassisches Filmstudio. Die Reihenfolge ist ganz anders als an normalen Opernhäusern. Man beginnt damit, erst einmal das Licht zu machen im Bühnenbild, das ist sehr ungewöhnlich. Üblicherweise inszeniert man zuerst und beleuchtet dann alles. Hier lernt man die Welt kennen, bevor man die Vorgänge erarbeitet hat und dann beginnt man bei Neuinszenierungen mit den Sängern direkt auf der Bühne zu arbeiten. Also es ist ein bisschen verkehrte Welt, aber das hat auch seine Vorzüge, wenn man auf einer ganz pragmatischen Arbeitsebene schon einen anderen Spirit im Ensemble erzeugen kann.
Sie haben hier ein Spitzen-Ensemble, darunter den erfahrenen Heldentenor Stephen Gould. Er singt den Tannhäuser ja nicht zum ersten Mal.
Ich wusste, dass er ist ein Sänger ist, der kurz vor dieser Aufführung seinen Hundertsten Tannhäuser gefeiert hat. Und dann ist man natürlich als Regisseur schon ein bisschen skeptisch. Lässt er sich auch auf etwas Neues ein, wenn er das Erfolgsrezept schon hundert Mal gekocht hat? Was will er davon übernehmen? Gibt's da schon Vorgespräche, Verhaltensmuster oder auch Denkformen? Da hat er mich extrem überrascht, weil das bei ihm alles nicht der Fall war. Er hat sich vollständig neu, als wäre das Stück für ihn vollständig jungfräulich, darauf eingelassen, noch einmal mit mir auf diese Erkundungstour in dem Werk zu gehen. Das fand ich eine der schönsten Erfahrungen in dieser Produktion.
Das Gespräch führte Hans von Bock