Serbien: Kein leichter Weg in die EU für Burundier
3. November 2022Assu ist 16 Jahre alt. Der Burundier lebt im Brüsseler Transitzentrum für Migranten. Wie viele seiner Landsleute hat auch er die bisher visafreie Reisepolitik Serbiens genutzt, um nach Europa zu gelangen - in der Hoffnung auf ein besseres Leben. "Ich kam nachts in Serbien an, und am nächsten Morgen ging ich zu einem Ort, wo es Schmuggler gab. Die halfen uns, von dort nach Bosnien zu gelangen. Jeder musste 250 Euro bezahlen, wenn er von einem Land ins andere wollte", erinnert sich Assu an seine gefährliche Reise, die ihn schließlich nach Belgien führte.
3000 Euro für die Westbalkanroute
Die westliche Balkanroute ist riskant und teuer: Bis zu ihrem endgültigen Bestimmungsort müssen Flüchtende bis zu 3000 Dollar aufbringen, wie die DW in Gesprächen erfuhr. Sie durchqueren Bosnien, Kroatien, Slowenien, Italien, die Schweiz, schließlich Deutschland oder Frankreich, bevor sie in Belgien ankommen.
Assu hat sich für Brüssel entschieden, weil es dort schon eine große Gemeinschaft von burundischen Migranten und Asylbewerbern gibt. Doch die Flucht durch den Balkan hat ihn traumatisiert: Er war mit einer Gruppe von jungen Leuten unterwegs, durch Wälder und unwegsames Gelände, schlief in verlassenen Gebäuden und litt unter starker Kälte. "Wer auf der Strecke bleibt, wird zurückgelassen", sagt Assu im DW-Interview.
"Als wir in Kroatien ankamen, wurden wir von der kroatischen Polizei verprügelt, bevor sie uns die Einreise in ihr Land erlaubte. Wir hielten durch. Als wir in Slowenien ankamen, gingen wir auf der Zugstrecke, und ich sah die Leichen mehrerer Menschen, die dort zurückgelassen worden waren, ich ging einfach zur Seite, es war beängstigend."
Asylantrag: Warten auf Anhörung
Noch wartet Assu auf eine Anhörung. Belgien ist seit der vermehrten Ankunft von syrischen, afghanischen und neuerdings ukrainischen Flüchtlingen mit der Bearbeitung der Asylanträge überfordert - es hapert an der Bereitstellung von Unterkünften, an Verpflegung und Rechtsbeistand, sagen Geflüchtete zur DW.
Die belgische Bundesagentur für die Aufnahme von Asylbewerbern räumt diese Mängel auf DW-Anfrage ein und erklärt, dass das Budget nach wie vor problematisch sei: Trotz der Einrichtung von Tausenden Transitzentren reiche deren Kapazität nicht aus. Frauen, Kinder und unbegleitete Jugendliche würden daher bevorzugt in den Zentren untergebracht.
Viele Asylbewerber finden keinen Unterschlupf und schlafen im Freien, im Herzen der europäischen Hauptstadt. So auch Tony: Er lebt seit zwei Monaten in einem Park nahe dem Bahnhof Brüssel-Nord. Jetzt fürchtet er die Kälte des kommenden Winters.
"Ich bin hier, weil ich in meinem Land viele Probleme habe, auch Angst um meine Sicherheit. Ich möchte meine berufliche Laufbahn in Brüssel fortsetzen", sagt Tony. Er sei noch zu keiner Anhörung eingeladen worden, dürfe sich nur im Park aufhalten. Ab und zu würden Mitarbeiter einiger Hilfsorganisationen vorbeikommen. Tony hofft weiter auf einen Platz im Auffanglager.
Mehr Migranten drängen in die EU
Burundi ist eines der ärmsten Länder der Welt. Seit 2015 hat sich die Situation im Zuge einer politischen Krise rapide verschlechtert. UN-Organisationen berichten zudem von Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Die Bevölkerung ist konfrontiert mit extremer Nahrungsmittelknappheit, kaum sauberem Trinkwasser und einer unzureichenden Gesundheitsversorgung.
Laut der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex wurden in den letzten neun Monaten mehr als 228.000 irreguläre Einreisen von Flüchtlingen in die Europäische Union verzeichnet, rund 70 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der größte Anteil entfällt mit mehr als 106.000 Einreisen auf die Balkanroute - hier gibt es demnach einen Zuwachs von 170 Prozent.
In der Europäischen Union haben diese Zahlen zuletzt für heftige Debatten gesorgt. "Wir haben einen deutlichen Anstieg der Zahl der Migranten auf der Balkanroute festgestellt", sagte Ylva Johansson, Kommissarin für innere Angelegenheiten der Europäischen Union im Oktober und wies dabei vor allem auf diejenigen hin, "die ohne Visum in die Länder des westlichen Balkans reisen, auch in den Raum der Europäischen Union. Und das ist natürlich etwas, das uns Sorgen bereitet."
Serbien reagiert auf Kritik an Visa-Freiheit
Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser machte zuletzt deutlich, dass sie nicht viel von Serbiens Visa-Politik halte. Diese orientiere sich daran, welche Staaten das Kosovo nicht anerkennen. Das finde sie "nicht akzeptabel", so Faeser.
Tatsächlich revanchierte sich Belgrad mit seiner Visa-Politik in vergangenen Jahren bei Ländern, die die seit 2008 unabhängige, ehemalige serbische Provinz Kosovo nicht anerkannten. Burundi nahm 2018 seine Anerkennung des Kosovo zurück. Daraufhin schaffte Serbien die Visapflicht für Bürgerinnen und Bürger des Landes ab.
Dieses Vorgehen sorgte in Brüssel für Verstimmungen, wie die politische Analystin Jakša Šćekić in Serbien im DW-Gespräch ausführt. "Als die EU dies erkannte, drohte sie Serbien damit, die Visa-Pflicht für seine Bürger wieder einzuführen, falls die Flüchtlinge weiterhin kommen würden", sagt Šćekić. Das wäre ein herber Rückschritt für das Land, das seit 2014 in Beitrittsverhandlungen für eine EU-Mitgliedschaft ist.
Unter dem Druck der EU beschloss Serbien jetzt, für einige afrikanische Länder eine Einreise ohne Visa zu stoppen: Am 21. Oktober teilte das serbische Außenministerium mit, Reisende aus Burundi und Tunesien müssten fortan ein Visum für die Einreise beantragen.
Vorzeitige Rückkehr nach Burundi
"Der serbische Präsident Aleksandar Vučić funktioniert nur unter Druck, und wenn er erpresst wird, bin ich mir sicher, dass er bis zum Ende des Jahres die Visumspflicht für all diese Länder wieder einführen wird", beurteilt Šćekić die Entscheidung Serbiens im DW-Gespräch. "All diese armen Menschen werden versuchen, in die EU auszuwandern. Serbien ist ein Transitland, denn diese Menschen wollen nicht hier bleiben, sie wollen hier nicht für 500 Euro im Monat arbeiten, sondern in der EU für 2000 Euro."
Nikola Kovačević, Rechtsanwalt und Flüchtlingsaktivist in Belgrad, betont: Einerseits habe Serbien das souveräne Recht, mit jedem Land nach eigenem Interesse eine Visa-Regelung zu treffen. "Aber Serbien ist nicht in der Lage, den Migrationsstrom zu kontrollieren, der damit einher geht." Die Folgen seien jetzt nicht nur dort, sondern in vielen EU-Ländern zu sehen.
Inzwischen sind nach DW-Informationen mehr als 100 Burundier in ihr Heimatland zurückgekehrt: Weil die Einreise ohne Visa für sie nun nicht mehr möglich war, ging es von Flughäfen in Istanbul, Doha und Belgrad zurück nach Bujumbura.