Aussicht auf ein Wrack
24. August 2013"Man hätte die Costa Concordia sofort nach dem Unglück bergen müssen", ärgert sich Giuseppe und schiebt missbilligend die Unterlippe vor. "So wäre das Risiko einer Verschmutzung des Meerwassers vermieden worden und man hätte hier nicht die Gegend verschandelt mit diesem Wrack." Der Unternehmer aus Mailand macht mit seiner Familie einen Tagesausflug auf die Insel Giglio und schaut demonstrativ zur Seite, als die Costa Concordia am Horizont auftaucht. Wie ein gestrandeter Wal liegt das Kreuzfahrtschiff rostend im Wasser.
An Deck entsteht Bewegung. Etwas verlegen kommen die ersten an die Reling, um besser sehen zu können. "Wir sind zum ersten Mal hier, um Urlaub zu machen und auch, um zu sehen, wie es um dieses Schiff steht", erzählt Niccolò aus Padua: "Dieser Anblick stimmt nachdenklich und wütend. Ich frage mich wirklich, wie der Kapitän das fertig gebracht hat. Man kann sich nur für ihn schämen."
Schwierige Bergungsarbeiten
Um das im Januar 2012 gestrandete Wrack des Kreuzfahrtschiffes herum herrscht Betrieb. Schiffe und Boote mit Arbeitern fahren hin und her, neben dem Schiffsrumpf ist eine blaue, fest installierte Plattform mit Kran zu sehen - eine Baustelle auf dem Wasser. Ein Arbeitsplatz für mehr als 500 Menschen. Im Schichtdienst wird Tag und Nacht an der Bergung des Wracks gearbeitet. Zu Beginn des Projekts im Mai 2012 waren Kosten von 236 Millionen Euro veranschlagt worden, doch nach drei Monaten ist klar: die Bergung wird fast doppelt so teuer. Projektleiter Franco Porcellacchia von der Reederei Costa Crociere nennt die Bergung der Concordia eine "einzigartige Aktion". Im September soll das Schiff aus seiner Schieflage befreit und aufgerichtet werden.
Der Kapitän der Fähre ist skeptisch: "Vielleicht wird es ihnen gelingen, das Wrack aufzurichten, aber ich glaube, es wird bei dem Versuch auseinanderbrechen. Das wäre eine zusätzliche Katastrophe." Kapitän Gino ist ein stattlicher Mann, Anfang 50, sonnengebräunt, in weißer Uniform. Kerzengerade steht er auf der Kommandobrücke seines Fährschiffes.
Wer ist schuld?
Gino kratzt sich nachdenklich am Kinn: "Schuld hat nicht nur Francesco Schettino, auch wenn rechtlich gesehen der Kapitän verantwortlich ist. Aber auf der Kommandobrücke standen noch mehr Leute. Das haben mehrere zu verantworten." Kapitän Gino steuert den Hafen von Giglio an. Jetzt sieht man, wie nah das Wrack an der Küste liegt. Keine hundert Meter trennen es vom Strand.
Mehrmals täglich fährt Gino mit seiner Mannschaft das Boot voll mit Touristen daran vorbei. Vor allem in der Sommersaison. "Das ist die menschliche Neugier. Hier sind 32 Menschen ertrunken und ein paar Meter weiter planschen die Leute im Wasser", sagt er. Tatsächlich. Neben der Anlegestelle öffnet sich eine Badebucht mit feinem Sandstrand und verstreut liegenden Felsen. Ideal für Familien mit Kindern. Wie ein Flickenteppich breiten sich bunte Badetücher aus, dazwischen Kühltaschen und Sonnenschirme. Ein paar Jugendliche essen Pizza, Kinder werden mit Sonnencreme eingeschmiert, eine Frau sonnt sich auf einem der Felsen - Badeferien mit Blick auf ein Wrack.
Alles ausgebucht dank der Costa Concordia
In Giglio spielt sich das Leben am Hafen ab. Hier gibt es Cafés, Boutiquen, Geschäfte mit Artikeln für Taucher und Angler, Eisdielen und Restaurants. Sie sind gut besucht. Von der Wirtschaftskrise ist nicht viel zu spüren. Sergio lacht. Der Restaurantbesitzer ist einer der erfolgreichsten auf der Insel, und hält sein Lokal ganzjährig offen. "Dank der Costa Concordia ist die Insel wieder gut besucht. Mir tut es leid wegen der Toten, aber ich muss sagen, wir leben gut von diesem Wrack." Denn neben den Sommerurlaubern befinden sich derzeit auch Hunderte von Bergungsarbeitern auf der Insel. Und sie werden nicht in zwei Wochen wieder abreisen.
Der Bürgermeister von Giglio hält die Costa Concordia dagegen für einen Schaden für die Insel. Zwar reisten mehr Tagesausflügler an, aber die Zahl der Übernachtungen sei im vergangenen Jahr um 28 Prozent zurückgegangen. Die Gemeinde verlangt daher vor Gericht 80 Millionen Euro Schadenersatz.
Tagesausflüge für Einwanderer
Durch die Gassen der Insel schieben sich nicht nur italienische Badeurlauber. Unter der Woche kommen täglich zwei, drei Fähren, auf denen fast nur chinesische Einwanderer sind. Sie kommen vom toskanischen Festland. Vor allem aus Prato, der italienischen Metropole der Textilindustrie. Dort leben und arbeiten inzwischen Zehntausende. Die Kinder wollen im Sommer ans Meer, so wie die italienischen Klassenkameraden. Und die Eltern sind neugierig auf das Wrack, lassen sich mit der Costa Concordia im Rücken fotografieren. Giglio kennen sie alle aus dem Fernsehen, und eine Reiseagentur mit chinesisch-stämmigem Personal bietet ein Paket aus Busfahrt-Schiffsreise und Mittagessen an.
Abends kehren sie der Insel Giglio wieder den Rücken zu. Kapitän Gino bringt sie mit seinem Fährschiff zurück aufs Festland. Am Strand wird es still. Die Sonne sinkt hinter den Felsen und das Wrack der Costa Concordia ist nur noch als Umriss zu erkennen. Rita arbeitet in einer der Strandbars. Sie löscht die bunten Lichter auf der Terrasse und hält einen Moment inne. "Ich gewöhne mich nicht an diesen Anblick. Man könnte meinen, das Wrack sei Teil der Umgebung geworden, aber für mich ist es das nicht." Ein entschiedenes Kopfschütteln, dann macht sich Rita auf den Heimweg.