Sichere Schifffahrt?
14. April 2012Die Titanic galt in ihrer Zeit als "praktisch unsinkbar". Das Unglück vom 15. April 1912, bei dem etwa 1.500 Menschen starben, zeigte, dass dies eine Illusion war. Die Schiffskatastrophe rüttelte die Regierungen der wichtigsten Staaten der Welt wach: Als Reaktion verabschiedeten sie im November 1913 die Internationale Konvention zur Sicherheit des Lebens auf der See (SOLAS). Noch heute richtet sich der Bau und Betrieb von Schiffen nach der SOLAS-Konvention, die über die Jahrzehnte immer wieder an den Stand der Technik angepasst wurde. Die Probleme des Schiffsbaus sind aber im wesentlichen dieselben geblieben.
Zu schweren Schiffsunglücken kommt es meist aus einem von drei Gründen: Wie bei der Titanic kollidiert das Schiff mit einem Hindernis oder es läuft auf Grund und Wasser dringt in den Rumpf ein. Oder es kommt im Schiff zu einem Brand beziehungsweise zu einer Explosion. Auch schwere See oder riesige Monsterwellen können ein Schiff zum Kentern bringen oder beschädigen.
Schotten dicht!
Für alle drei Szenarien gilt: Die Folgen sind nur dann zu kontrollieren, wenn das Schiff aus möglichst vielen in sich geschlossenen und wasserdichten Abteilungen besteht. Denn reißt der Rumpf an einer Stelle auf, muss die Flutung des Schiffes auf diesen Bereich begrenzt bleiben. "Das erfordert eine Unterteilung sowohl in Querrichtung, in Längsrichtung als auch in vertikaler Richtung", erklärt Peter Bronsart, Professor für Schiffbau an der Universität Rostock. Der Aufbau eines Schiffsrumpfes entspreche dann zwangsläufig einer Doppelhülle.
Zwischen den einzelnen Abteilungen gibt es zwar Türen und Tore, sogenannte Schotten, sie müssen aber von der Brücke aus schnell zu schließen sein, falls es zu einem Unfall kommt. In der Titanic gab es fünfzehn solcher Schotten und damit sechzehn getrennte Abteilungen. Die fünf vorderen wurden durch die Kollision mit dem Eisberg geflutet. Weil das Schiff dadurch am Bug absank und die Trennwände oberhalb der normalen Wasserlinie nicht hoch genug waren, konnte das Wasser auch in die anderen Bereiche eindringen.
Die Aufteilung des Schiffes in abgetrennte Bereiche hilft auch Feuer einzudämmen. Deshalb entsprechen die festgelegten Feuerzonen eines Schiffes fast immer den Flutungssektoren. "Das dient dazu, dass man geordnet Lösch- oder Evakuierungsmaßnahmen durchführen kann", so Bronsart.
Panoramafenster auf Kosten der Sicherheit
Trotz der Unterteilung der Schiffe gibt es aber nach wie vor viele Schwachstellen – auch bei modernen Schiffen. Insbesondere die Gefahr des Kenterns bereitet Schiffsbauingenieuren heutzutage Sorgen - unter anderem, weil Passagierschiffe immer höher werden.
"Meine persönliche Ansicht ist, dass heutige Kreuzfahrtschiffe nicht so gut gebaut und sicher sind, wie es die Titanic war", bedauert Olle Rutgersson, der an der Universität Chalmers im schwedischen Göteborg neue Konzepte für Schiffssicherheit entwickelt. "Bei der Titanic wurde der große Fehler gemacht, die wasserdichten Wände nicht höher gebaut zu haben. Hätte man es so gemacht wie heute, hätte das Schiff den Unfall wahrscheinlich überlebt."
Der Fall der Costa Concordia, die am 13. Januar im Mittelmeer auf ein Riff auflief und kenterte, ist für Rutgersson hingegen ein Hinweis darauf, dass moderne Kreuzfahrtschiffe instabiler sind als es die Titanic war. Diesen Schiffen falle es ebenso schwer wie der Titanic, einen Riss im Rumpf zu überstehen. Allerdings sei die Costa Concordia sehr viel schneller und auch in gefährlicherer Weise gesunken als die Titanic, nämlich weil sie gekentert war.
Rutgersson plädiert deshalb dafür, bei modernen Schiffen die Bordwände höher zu ziehen und die Außenseiten der Schiffe aus geschlossenen und schwimmfähigen Einheiten zu bauen. Man könne sie dann ähnlich stabilisieren wie Schwimmdocks, die genutzt werden, um Schiffe aus dem Wasser zu heben. Dem stünden allerdings oft wirtschaftliche Interessen entgegen: Reeder wollen auf Kreuzfahrtschiffen möglichst viele Räume mit großen Panoramafenstern an der Außenseite unterbringen. Bei Frachtschiffen befürchten sie, dass die Ladekapazität abnimmt.
Computerunterstütztes Notfallmanagement
Schiffssicherheit beginnt aber schon lange bevor es zu einem Unfall kommt. Aufgrund moderner Navigationstechnik und globaler Wettervorhersagen geraten Schiffe nur selten in eine gefährliche Lage. Sie gehören zu den sichersten Verkehrsmitteln schlechthin. Kommt es trotzdem zu einem Unglück, ist nach Schätzung des Rostocker Professors Bronsart in etwa 80 Prozent der Fälle der Mensch schuld.
Damit Kapitäne, Offiziere und die Crew moderner Schiffe im Notfall die richtigen Entscheidungen treffen, entwickelt Dirk Dreissig von der Rostocker Ingenieursgesellschaft für Maritime Sicherheitstechnik und Management (MARSIG) computergestützte Systeme: Sie führen die Informationen von Sensoren, Kameras und Messgeräten im gesamten Schiff zusammen und berechnen daraus, was nach einem Unfall voraussichtlich als nächstes passieren wird.
Aus den gesammelten Informationen ermittelt das System zum Beispiel, wie der Kapitän und die Crew vorgehen sollen, wenn ein Brand im Maschinenraum oder im Laderaum ausbricht. Es berechnet außerdem, wie stabil das Schiff nach einer schweren Beschädigung ist und was passieren wird, wenn Wasser an bestimmten Stellen eindringt. Daraus ergeben sich wichtige Hinweise für die Evakuierung, zum Beispiel, in welcher Richtung die Menschen in Sicherheit gebracht werden müssen.
Das Computersystem gibt diese Handlungsempfehlungen an die Brücke. Die endgültige Entscheidungen kann aber nur der Kapitän treffen. "Das internationale Seerecht legt fest, dass der Kapitän die letzliche Autorität an Bord ist. Er muss alle Entscheidungen treffen und wird hinterher auch in die Verantwortung genommen, wenn sie falsch waren", betont Dreissig.