Gurlitt-Ausblick: Wie geht es weiter?
9. Januar 2015Die Münchener Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt ist nach wie vor in Deutschland – ihr Aufenthaltsort geheim. Lediglich drei Werke der 1600 umfassenden Gurlitt-Sammlung gehen vermutlich bald auf die Reise zu ihren früheren Besitzern beziehungsweise heutigen Erben: Max Liebermanns "Zwei Reiter am Strand", "Sitzende Frau" von Henri Matisse und "Das Klavierspiel" von Carl Spitzweg. Diese Arbeiten konnte die Taskforce unter 489 verdächtigen Werken nach einjähriger Recherche als Raubkunst identifizieren. Die Rückgabe sei nur noch ein Verwaltungsakt, so der Nachlassverwalter Stephan Brock.
Erbstreit denkbar
Abwarten und spekulieren heißt es dagegen für die restlichen Werke aus dem Kunstschatz - nichts Neues im Fall Gurlitt, sondern fast schon Routine. Trotzdem hat es überrascht, dass die 86-jährige Cousine des verstorbenen Kunsthändlersohns unmittelbar nach der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern und dem Kunstmuseum Bern Ende November 2014 einen Anspruch auf das Erbe stellte. Sie zweifelt am klaren Verstand ihres Verwandten, der den Schweizern seine Kunstsammlung vermachte und hat ein entsprechendes ärztliches Gutachten in Auftrag gegeben. Das Gericht prüft nun die Gültigkeit des Testaments. Im Moment sieht alles nach einem Erbstreit aus, und der könnte sich in die Länge ziehen. Der Anwalt von Gurlitts Cousine Uta Werner äußert sich nicht weiter dazu. Bis die Sache geklärt ist, bleibt die Sammlung vorerst in der Obhut des Nachlassverwalters.
"Entartete Kunst" könnte auf Wanderschaft gehen
Obwohl nach wie vor offen ist, ob die Sammlung und damit das Erbe in die Schweiz geht, stehen Deutsche Museen derweil schon in den Startlöchern. Sie spekulieren darauf, Kunstwerke aus der Sammlung Gurlitt als Leihgabe zu erhalten, die ihren Häusern einst von den Nazis als "entartete Kunst" entzogen wurden. "Wir haben 18 Werke entdeckt bei denen eine große Möglichkeit besteht, dass sie einmal Teil unserer Sammlung waren", erklärte Gabriele Holthuis vom Museum in Ulm im Gespräch mit der DW. Auch das Von der Heydt-Museum in Wuppertal und die Kunsthalle Mannheim haben in den vom Kunstmuseum Bern veröffentlichten Listen der Münchner und Salzburger Gurlitt-Sammlung einige ihrer verschollenen Werke wiederentdeckt: "Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass wie ein prioritäres Ausleihrecht haben werden, wenn das Erbe tatsächlich nach Bern geht, und davon werden wir dann auch Gebrauch machen", betont die Direktorin der Mannheimer Kunsthalle, Ulrike Lorenz.
Und die Direktorin Christiane Lange Staatsgalerie in Stuttgart bestätigte, dass auch sie in Gesprächen mit Bern steht - 38 Druckgrafiken aus der Gurlitt-Sammlung könnten der Staatsgalerie gehören: "Wir müssen jetzt erst einmal abwarten wie sich die Rechtslage entwickelt und dann gemeinsam mit anderen deutschen Museen eine Lösung suchen. Es bringt nichts, wenn hier jeder einzeln Ansprüche stellen würde."
Keine Dauerleihgabe
Eine Dauerleihgabe oder gar Rückgabe an die betreffenden Museen hatten Matthias Frehner und Christoph Schäublin vom Berner Kunstmuseum bereits ausgeschlossen. "Als die Sprache auf 'entartete Kunst' kam, habe ich Frau Grütters gefragt, ob sie die noch immer geltende Rechtslage ändern möchte. Sie hat klar Nein gesagt", so Schäublin in der "Neue Zürcher Zeitung". Das zugrunde liegende NS-Gesetz von 1938, das die Plünderungen nachträglich legitimiert, wurde bis heute nicht aufgehoben. Das Museum Bern wolle keinen Präzedenzfall schaffen und mit Dauerleihgaben oder gar Rückgaben eine Lawine mit unabsehbaren Folgen auslösen. Aber das Museum wäre bereit, Leihanfragen von deutschen, österreichischen oder polnischen Museen, die zuvor Besitzer der Werke waren, bevorzugt zu behandeln.
Salzburger Fund wird untersucht
Das Erbe von Cornelius Gurlitt umfasst Geld und Immobilien in Deutschland und Österreich sowie 1600 wertvolle Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken aus dem Kunstfund in München und Salzburg."Das Salzburger Konvolut ist von französischen Bildern dominiert und sicher mit Abstand der interessantere und wertvollere Teil der Gurlitt-Sammlung", meint Provenienzforscher Willi Korte. Darunter sind Werke von Paul Cézanne, Edouard Manet, Claude Monet, Pablo Picasso, Auguste Renoir, Ernst Ludwig Kircher, Paul Klee, Edvard Munch, Emil Nolde und Max Liebermann - alles Werke mit offenen Provenienzen. Bisher konnte nur das Gemälde "Paris Kathedrale" von Camille Pissarro aus dem Jahr 1902 eindeutig als Raubkunst identifiziert werden; es gehörte einst der jüdischen Familie Heilbronn in Frankreich.
Raubkunst ist nicht gleich Raubkunst
Der ausgeklügelte Vertrag zwischen Bund, Bayern und Bern sieht vor, dass das Kunstmuseum beim Salzburger Teil selbst entscheiden kann, wann und ob es die deutsche Taskforce einschaltet. Und hier wird es wieder kompliziert. Zwar gehört die Schweiz - wie auch die Bundesrepublik Deutschland - zu den Unterzeichnerstaaten des Washingtoner Abkommens von 1998,das zur Rückgabe von Raubkunst verpflichtet, interpretiert sie jedoch anders: Schweizer Museen verstehen unter Raubkunst Werke, die von den Nazis beschlagnahmt wurden. Die Deutschen fassen den Begriff weiter und beziehen hier auch Kunst ein, die jüdische Besitzer unter Druck verkauften, weil sie vor den Nazis flüchten mussten und dringend Geld brauchten. Das sogenannte "Fluchtgut" gilt in Deutschland als "verfolgungsbedingter Verlust".
"Es ist durchaus denkbar, dass die Taskforce des Berner Kunsmuseums ein Werk vom Verdacht auf Raubkunst freispricht, das die deutsche Taskforce wiederum sehr wohl als Raubkunst identifiziert hätte", so Provenienzforscher Willi Korte. Das sei Unsinn, so Museumsdirektor Matthias Frehner im Schweizer "Tages-Anzeiger". "Wir bekommen den schriftlichen Nachlass von Hildebrand Gurlitt für sechs Jahre ins Kunstmuseum und werden die Quellen aufarbeiten, um die ganze Provenienzkette zu eruieren."
Gurlitt-Erbe bleibt Büchse der Pandora
Das Berner Expertenteam ist der Öffentlichkeit bisher noch unbekannt, es soll jedoch nach Informationen des Kunstmuseums innerhalb des ersten Quartals 2015 seine Arbeit aufnehmen - finanziert durch die anonyme Spende "einer Freundin des Hauses" von mindestens einer Million Franken (rund 830.000 Euro).
Der Kunstkrimi geht also auch 2015 weiter und lässt erneut jede Menge Spielraum für Spekulationen: Muss etwa die Schweiz ihren Raubkunst-Begriff ausweiten, wenn das Erbe an das Kunstmuseum in Bern geht? Gibt es dann womöglich Ansprüche auf "Fluchtgut-Bilder", die schon länger in Schweizer Museen hängen und bisher nicht hinterfragt wurden? Und inwieweit kann eine Forschergruppe des Kunstmuseums Bern die Werke des Salzburger Funds unabhängig auf Raubkunst untersuchen? Was wenn das Erbe Gurlitts Verwandten zugesprochen wird? Alles in allem bleibt das Gurlitt-Erbe eine hochkomplexe Angelegenheit.