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Hausner: "Von Nazis verfolgt"

Stefan Dege17. November 2014

Paranoide Wahnideen - die attestiert Gutachter Helmut Hausner Cornelius Gurlitt. Im DW-Interview beschreibt er, warum der Kunstsammler seiner Meinung nach nicht in der Lage war, sein Testament zu verfassen.

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Dr. Dr. Helmut Hausner
Bild: www.medbo.de

DW: Herr Dr. Hausner, war Cornelius Gurlitt am 9. Januar in der Lage, sein Testament abzufassen?

Helmut Hausner: Cornelius Gurlitt war sicherlich in der Lage, irgendein Testament abzufassen. Aber dieses spezielle Testament, dass er an diesem Tag abgefasst hat, dazu war er meiner Überzeugung nach nicht in der Lage.

Wie kommen Sie zu der Einschätzung?

Es gibt mehrere Gründe, die zu Testierunfähigkeit führen können, die bekanntesten sind Gedächtnisstörungen, Demenz, schwere Psychosen. Es gibt aber auch eine spezielle Gruppe von Gründen, die die Testierfährigkeit nicht allgemein aufheben, sondern lediglich bestimmte Verfügungen ausschließen. Dazu gehören wahnhafte Störungen. Die Rechtsprechung legt sich da fest und sagt: Lediglich solche Verfügungen, die mit dem Wahninhalt verbunden sind, sind nicht zulässig. Und genau diese Situation lag bei Herrn Gurlitt vor.

Wie entscheidend ist denn für Gurlitts Testierfähigkeit, dass er sich von Nazis verfolgt fühlte und glaubte, sie würden ihm seinen Kunstschatz rauben?

Diese Idee, von Nazis verfolgt zu sein, speziell von Münchener Nazis, immer wieder der Hinweis, die Tochter Himmlers lebte noch in München - diese Idee war zentral für seine Motivation, ein Schweizer Museum auszuwählen. Herr Gurlitt hatte großes Misstrauen gegenüber der bundesdeutschen Gesellschaft, gegenüber den staatlichen Einrichtungen, speziell auch in München. Das ging so weit, dass er sich zunächst keinesfalls von deutschen Anwälten vertreten lassen wollte, sondern nur Schweizer Anwälte akzeptiert hätte. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass er für seine Sammlung nur ein Schweizer Museum, das Kunstmuseum Bern auswählen konnte. Weil nur dort war seiner Überzeugung nach ein ausreichender Schutz seiner Bilder vor den verfolgenden Nazis gegeben.

Und daraus schließen Sie jetzt, als gutachtender Psychiater: Es hat Herrn Gurlitt an der Freiheit zur Willensbildung gefehlt?

Die Freiheit zur Willensbildung bemisst sich ja vor allem am Vergleich zum gesunden Menschen. Und Herr Gurlitt war aufgrund dieser Wahnerkrankung in einer realitätswidrigen, krankheitsbedingten Überzeugungsbildung gefangen. Und diese falsche Sicht der Welt beeinträchtigt die Freiheit der Willensbestimmung, weil wir davon ausgehen: Nur, wenn wir die Umgebung so wahrnehmen wie die meisten Mitmenschen, sind wir auch in der Lage, in diesem Kontext frei zu entscheiden.

Herr Gurlitt war schwer krank. Er hatte Angst vor lebensnotwendigen Operationen. Er stand unter Betreuung. Wieso kommt erst jetzt jemand auf die Idee, nachzuschauen, ob alles mit rechten Dingen zuging bei diesem Testament?

Auf die Idee ist man durchaus schon früher gekommen. Wenn man beispielsweise einen Blick in das Betreuungsgutachten - Anfang Januar 2014 erstellt - wirft, dann wurde auch schon darin die Frage diskutiert: Muss denn ein Einwilligungsvorbehalt erlassen werden? Das ist ein rechtlicher Vorbehalt, dass der Betreute keine Geschäfte mehr abschließen kann, ohne vorher seinen Betreuer um Erlaubnis zu bitten. Es wurde also genau diese Frage geprüft - mit dem Ergebnis: einen solchen allgemeinen Erlaubnisvorbehalt, den braucht es nicht. Denn Herr Gurlitt war durchaus in der Lage, beispielsweise Alltagsgeschäfte abzuwickeln. Nur diese spezielle Verfügung, über seinen Kunstschatz in Verbindung mit seiner Angst vor den Naziverfolgern, diese eine Angst, konnte er in einem freiheitlichen Sinne nicht mehr abwickeln. Und darauf bezieht sich diese Beschränkung.

Als Arzt können Sie vermutlich nicht so offen über den Zustand eines Patienten sprechen, aber als ärztlich-juristischer Gutachter schon?

So ist es. Ich habe in diesem Fall von den Angehörigen die Entbindung von der Schweigepflicht. Ich habe Herrn Gurlitt ja nicht behandelt. Sondern es geht darum, in seinem Interesse aufzuklären, ob seine Willensäußerungen rechtsgültig sind oder nicht. Es ist im tiefsten Interesse jedes Erblassers, dass im nachhinein geklärt wird, war sein Wille noch frei und gültig? Oder war sein Wille bestimmt durch Erkrankungen?

Der Rechtsanwalt, der Uta Werner und einen Teil der Familie vertritt, hat bei Ihnen das Gutachten in Auftrag gegeben. Wissen Sie, aus welchem Grund?

Aus einem erstaunlichen Grund: Es war mit Abstand der erstaunlichste Gutachtensauftrag meiner bisherigen Berufslaufbahn als Psychiater. Normalerweise werde ich vor Gericht tätig. Und Gutachtensaufträgen von Privatpersonen, die im Streit stehen, begegne ich sehr misstrauisch und lehne sie ab. Die Familie Gurlitt war von Anfang an ganz anders gestrickt. Die Gurlitts wollen die Wahrheit wissen. Und es war von Anfang an klar: Egal, welches Ergebnis mein Gutachten erbringt, die Familie will dieses Ergebnis akzeptieren. Es geht ihnen nicht in erster Linie - meiner Wahrnehmung nach - um eine Anfechtung des Testaments. Es geht darum zu verstehen, warum hat Cornelius Gurlitt sich so entschieden? Und was bedeutet das für die Familie?

Einen Erbschein wollen die Verwandten dennoch nicht beantragen und damit die Gültigkeit des Testaments gerichtlich überprüfen lassen. Warum?

Ich gehe davon aus, dass die Familie den öffentlichen Streit und die wirtschaftliche Auseinandersetzung scheut. Sie hat jetzt ihre Antwort, die sie haben wollte - warum Cornelius Gurlitt so verfügt hat, wie er es tat. Ich kann mir gut vorstellen, daß die Gurlitts die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass zu einem späteren Zeitpunkt diese Frage noch einmal aufgerollt wird.

Die Öffentlichkeit hat auch eine Antwort bekommen. Wie sollte jetzt mit Ihrem Gutachten umgegangen werden?

Mein Gutachten ist zunächst mal ein sachlich fundierter Diskussionsbeitrag. Aber kein vernünftiger Gutachter würde von sich behaupten, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Aus meiner Sicht wäre es vernünftig, wenn das Nachlassgericht jetzt im Verfahren einen gerichtlichen Gutachter bestellt, sodass man eine gewisse Breite an Gutachten zur Verfügung hat und dann in der Abwägung entscheiden kann, welche Argumente überzeugen: Wie sieht die Testierfähigkeit des Cornelius Gurlitt aus, sodass man zu einer Entscheidung kommt, die seiner Person und dieser historisch bedeutsamen Entscheidung - auch für Deutschland - gerecht wird.

Dr. med. Dr. jur. Helmut Hausner ist Chefarzt am Zentrum für Psychatrie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg und wurde vom Juristen Wolfgang Seybold, der einen Teil der Familie Gurlitt vertritt, damit beauftragt, ein Gutachten über die Testierfähigkeit von Cornelius Gurlitt zu verfassen. Dabei hat er sich auf Dokumente und Briefe des im Mai dieses Jahres Vestorbenen berufen.

Das Interview führte Stefan Dege