Asylstreit: Rüstet die CSU jetzt ab?
29. Juni 2018Nach zwei Tagen in Brüssel ist Angela Merkel sichtlich zufrieden. "Die Zeit habe ich, glaube ich, maximal ausgeschöpft", so die Bundeskanzlerin nach dem Ende des EU-Gipfels auf die Frage, ob sie die von der CSU gesetzte Frist für eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise genutzt habe.
Griechenland und Spanien seien bereit, bei ihnen bereits registrierte Migranten von der deutschen Grenze direkt zurückzunehmen, verkündet Merkel. Dies gelte, wenn die Migranten in der Fingerabdruckdatei Eurodac gespeichert seien. Mit Italien hat Merkel ein solches Abkommen allerdings nicht erreicht. Vor dem Hintergrund, dass viele Migranten aus Nordafrika in Italien landen, sei für die italienische Regierung zurzeit die sogenannte Primärmigration wichtiger.
Asylpolitik wird deutlich verschärft
Zu den bilateralen Vereinbarungen kommen die gemeinsamen Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschefs. In der Nacht auf Freitag haben sie sich darauf geeinigt, dass gerettete Bootsflüchtlinge künftig in geschlossenen Aufnahmezentren in der EU untergebracht werden sollen. Ähnliche Lager in Nordafrika werden geprüft. Die Grenzschutzagentur Frontex soll schon bis 2020 verstärkt, die EU-Außengrenzen sollen stärker abgeriegelt werden.
Aufnahmezentren? Das klingt verdächtig nach den vom CSU-Vorsitzenden und Bundesinnenminister Horst Seehofer vorgeschlagenen Ankerzentren. "Anker" steht als Abkürzung für "Ankunft, Erfassung, Rückführung". Flüchtlinge sollen zentral untergebracht, ihre Asylanträge geprüft und entschieden werden, ob sie in der EU bleiben dürfen oder nicht. Wer abgelehnt wird, soll so schnell wie möglich in sein Herkunftsland abgeschoben werden. So soll es in Zukunft auch auf europäischer Ebene laufen, hat man in Brüssel vereinbart.
Weber: "Merkel hat geliefert"
Das gefällt der CSU, die das Erreichte umgehend auch für sich reklamiert. Der EU-Gipfel sei "ein großer Schritt" gewesen, sagte CSU-Vize Manfred Weber dem "Münchner Merkur". Er fand lobende Worte für die Kanzlerin: "Sie hat geliefert." Europa bleibe "der Kontinent der Humanität, aber wir sorgen an der Außengrenze für Ordnung. Da lese ich viel CSU-Politik heraus". Dies habe Merkel in Brüssel umgesetzt.
Soll das heißen, dass der erbitterte Asylstreit zwischen CDU und CSU nun beigelegt ist? Dass der Bundesinnenminister darauf verzichten will, Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, aber nach Deutschland kommen wollen? Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende sieht durch die Ergebnisse des Gipfels die Forderungen der CSU im Asylstreit erfüllt. "Das ist mehr als wirkungsgleich", betonte Merkel und griff damit eine Formulierung ihres Kontrahenten Horst Seehofer auf.
Eher zurückhaltend äußerte sich Webers Parteikollege Hans Michelbach - allerdings zu einem Zeitpunkt, als von den bilateralen Abkommen mit Griechenland und Spanien zur Flüchtlingsrücknahme noch nichts bekannt war. In Brüssel sei lediglich ein Kurswechsel in der Asylpolitik beschlossen worden, der aber erst einmal praktisch umgesetzt werden müsse, so der Vize-Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. "Ich denke, dass wir diesen Kurswechsel dahingehend unterfüttern müssen, dass bis zu diesem Zeitpunkt natürlich auch nationale Handlungen stattfinden."
Mit nationalen Handlungen meint der CSU-Politiker die Zurückweisung an der deutschen Grenze, die Horst Seehofer in seinem umstrittenen Masterplan Migration fordert. Allerdings hat der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz in Brüssel sehr deutlich gemacht, dass er eine nationale, also unilaterale Zurückweisung an der bayerischen Grenze für problematisch hält, da sie das Problem nur in sein Land verlagern würde. Damit ist er auf die Argumentationslinie von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschwenkt.
Entscheidung am Wochenende
Merkel hat am Freitagabend in Berlin die Partei- und Fraktionsvorsitzenden über die Brüsseler Ergebnisse informiert. Am Samstag wollen sich Angela Merkel und Horst Seehofer persönlich austauschen. Am Sonntag wollen die Schwesterparteien die Ergebnisse des Europäischen Rats in getrennten Sitzungen diskutieren.
Bundesinnenminister Horst Seehofer blieb den ganzen Freitag über in der Deckung und ließ seinen Sprecher mitteilen, er werde sich aktuell nicht äußern. Man wolle die Ergebnisse nicht anhand von Pressemitteilungen und Abschlusserklärungen bewerten, sondern dazu zunächst das Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel und weiteren Beteiligten führen, hieß es aus dem Bundesinnenministerium.
So wortkarg geben sich andere nicht
Für die SPD ergriff Parteivize und Vizekanzler Olaf Scholz am Freitagmorgen als erster Redner im Bundestag das Wort. Er lobte den Beschluss und sprach von einem "guten Erfolg für uns alle". Das meint er vor allem innenpolitisch. Die SPD verfolgt den eskalierten Streit zwischen ihren Koalitionspartnern CDU und CSU mit allergrößter Sorge. Sollte es zu einem Bruch der Regierung kommen, im schlimmsten Fall sogar zu Neuwahlen, träfe das die Sozialdemokraten zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die Umfragewerte der SPD sind nach wie vor im Keller. Die anstehende Neuausrichtung der Partei steckt noch in den Startlöchern fest, die zukünftige Richtung ist keineswegs klar.
SPD-Chefin Andrea Nahles forderte die Union daher erneut auf, ihren "unseligen" Streit über die Migration zu beenden, wie sie formuliert. CDU und CSU sollten den Impuls des EU-Gipfels aufnehmen und zur Sacharbeit zurückkehren. Die vereinbarten asylpolitischen Verschärfungen begrüßt Nahles. Sogar die Einrichtung von geschlossenen Lagern außerhalb der EU. Das überrascht, denn es entspricht nicht der bisherigen Parteilinie. Es müsse allerdings Qualitätsverbesserungen geben, "was die humanitären Standards angeht, bei der Unterbringung und der Versorgung der Menschen, die dort ankommen". Innerhalb der Aufnahmezentren müsse es "rechtsstaatliche und zügige Verfahren" geben. Der Gipfel sei auch "eine Chance, um eine fairere Verteilung innerhalb der EU" zu erreichen.
Tatsächlich eine Chance?
Nach den Brüsseler Beschlüssen sollen die Innenminister das Problem der Sekundärmigration in die Hand nehmen und auf europäischer Ebene Vorschläge machen und die Ausarbeitung gestalten. Angela Merkel hatte in ihrer Regierungserklärung vor dem Gipfel betont, wer in Europa Schutz suche, könne sich nicht aussuchen, in welchem Land dies geschehe.
Tatsächlich wurde in Brüssel "Freiwilligkeit" bei den vereinbarten Maßnahmen vereinbart. Daran stößt sich FDP-Chef Christian Lindner. "Mit vagen Ankündigungen, mit abstrakten Zielbeschreibungen und mit der Methode der Freiwilligkeit wird man nicht die Ordnung in Europa erreichen, die wir brauchen, um unsere Freiheit ohne Schlagbäume auf diesem Kontinent zu sichern." Was in Brüssel vereinbart worden sei, habe man zudem so schon in den letzten zwei Jahren in Papieren lesen können. "Dieser Gipfel ist für uns leider kein Durchbruch."
Kritik auch von AfD und Grünen
So beurteilt es auch die AfD. Die Ergebnisse seien "so halbgar, wie das erwartet werden konnte", so Fraktionschefin Alice Weidel. "Ein echter Grenzschutz soll bis 2020 durch Frontex geleistet werden, sodass die EU weitere zwei Jahre wie ein Scheunentor offen steht." Über Flüchtlingslager in Nordafrika werde lediglich nachgedacht, statt Fakten zu schaffen. Statt "Formelkompromisse mit teuren Zusagen auf Kosten der deutschen Steuerzahler zu erkaufen, muss Deutschland daher die Grenzen schließen, illegale Einwanderer selbst und konsequent zurückweisen", fordert Weidel.
Das sehen die Grünen ganz anders. Für sie sind die Brüsseler Ergebnisse eine Abkehr von einer humanitären Flüchtlingspolitik und die geplanten Rückführungen auf See in Internierungslager ein Bruch mit dem Völkerrecht. "Die EU ist dabei, ihren Wertekompass aufzugeben, denn der Rat hat bewusst auf ein grundsätzliches Bekenntnis zum Schutz von Flüchtlingen verzichtet", erklärte die grüne Parteichefin Annalena Baerbock in Berlin. Die EU mache einen weiteren Schritt "in Richtung Ausgrenzung und Entrechtung von Flüchtlingen".