Assad kann humanitäre Hilfe juristisch nicht verweigern
6. Mai 2014Lastwagen voller Hilfsgüter, denen die Durchreise verweigert wird. Fahrer, die an mehreren Checkpoints jeweils mehrere Stunden warten oder fehlende Papiere nachreichen müssen. Mobile Ärzteteams internationaler Hilfsorganisationen, die Kranke und Verwundete so lange wie möglich versorgen, bis sie von Regierungs- und Oppositionstruppen wieder vertrieben werden. Ein stets knappes Kontingent von medizinischer Ausrüstung, damit der Schaden nicht allzu groß ist, sollte es bewaffneten Kämpfern in die Hände fallen.
So ähnlich schildern Vertreter internationaler Hilfsorganisationen erst unter Zusicherung von Anonymität die Schwierigkeiten, mit denen sie bei ihrer Arbeit in Syrien Tag für Tag zu tun haben. Immer wieder, berichten sie, stießen sie an Grenzen, würden schikaniert und an der Arbeit gehindert, müssten neue Routen oder gar neue Ziele suchen, um Menschen helfen zu können. Der oberste Grundsatz humanitärer Hilfe - der Schutz von Zivilisten bei gleichzeitiger politischer Neutralität - werde von den Konfliktparteien nicht mehr durchweg honoriert.
Viele Hilfsorganisationen versorgen die Zivilbevölkerung darum vor allem von den Nachbarstaaten aus. Aus dem Libanon, Jordanien, dem Irak und der Türkei fahren sie über die Grenze nach Syrien, um die Menschen zu versorgen - oft genug ohne Zustimmung der Regierung von Baschar al-Assad. Denn diese verlangt von den humanitären Helfern, ihre Aktionen in Damaskus autorisieren zu lassen - und zwar auch dann, wenn die Regierung die Gebiete, die die Hilfslieferungen ansteuern, gar nicht mehr unter ihrer Kontrolle hat. Helfern, die sich dieser Anordnung nicht fügen, droht die Regierung damit, ihnen auch die Lizenz für humanitäre Hilfe über das Drehkreuz Damaskus zu entziehen.
Fehlende rechtliche Handhabe
Eine internationale Gruppe prominenter Juristen hat in einem weltweit verbreiteten offenen Brief nun die rechtlichen Grenzen der Hindernisse und Schikanen aufgezeigt, die die Regierung Assad den Vereinten Nationen und beteiligten Hilfsorganisationen aufzuzwingen versucht. Initiiert wurde der Brief von der internationalen gemeinnützigen Organisation "Crisis Action", deren Ziel der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten ist. Er stützt sich unter anderem auf eine Studie des Frankfurter Völkerrechtlers Michael Bothe, deren Ergebnis im Kern lautet: Die Assad-Regierung hat für ihre Vorgaben keine rechtliche Handhabe. Vor allem für ihren Anspruch, die Arbeit der Hilfsorganisationen auf dem gesamten syrischen Staatsgebiet zu autorisieren, könne sie sich nicht auf das geltende Völkerrecht berufen. Die Zustimmung zu humanitärer Hilfe müsse nur von jener Konfliktpartei erteilt werden, die das fragliche Gebiet de facto kontrolliere. Doch die Regierung Assad habe die Kontrolle über Teile des Landes verloren, so Bothe im Gespräch mit der DW. Darum könne sie auch nicht den Anspruch erheben, allein die Hilfe im gesamten Land autorisieren zu dürfen: "Wenn die Aktionen nicht durch ein Gebiet gehen, das von einer Partei beherrscht wird, dann hat diese Partei damit nichts zu tun, und ihre Zustimmung ist auch nicht rechtlich erforderlich." Außerdem hätten die Hilfsbedürftigen Anspruch auf Hilfe. Den Zugang zu ihnen dürfe eine Konfliktpartei nicht willkürlich verweigern. Ebenso wenig dürfe eine Konfliktpartei humanitären Helfern willkürliche Hindernisse in den Weg stellen. "Willkürlich sind sie aber dann, wenn eine Regierung die Herrschaft über das Gebiet, in dem Hilfe zu leisten ist, verloren hat, aber dennoch behauptet, die Hilfeleistung hänge von ihrer freien Zustimmung ab. Dazu hat die Regierung kein Recht."
Der offene Brief, so Bothe, artikuliere einerseits die Sorge der Autoren angesichts der sich Tag für Tag ausweitenden humanitären Katastrophe in Syrien. Zugleich verstünden die Autoren ihn als juristischen Appell: "Er fordert die Leiterin des UN-Büros für die Koordination humanitärer Hilfe, Valerie Amos, auf, sich rechtlich gesehen auf einen etwas mutigeren Standpunkt zu stellen - nämlich aktiv zu vertreten, dass solche Hilfeleistungen auch ohne die Zustimmung der Regierung in Damaskus von den Nachbarstaaten an Bestimmungsorte gelangen müssen, die nicht von Damaskus kontrolliert werden."
Praktische Wirkung nicht ausgeschlossen
Dass der rechtliche Appell praktische Wirkung entfalten könnte, hält Bothe für durchaus denkbar. Er selbst und die übrigen Autoren sähen ihn als "Teil eines politischen Druckpotenzials". Zwar glaube niemand, dass Assad sich von einer juristisch korrekten Argumentation beeindrucken und dann auch leiten ließe. Es geht aber zunächst um ein politisches Gesamtbild und die Entwicklung politischen Drucks. Die Studie trage zu jenem politisch-juristischen Bewertungsprozess bei, den der Sicherheitsrat hinsichtlich Syriens seit geraumer Zeit durchlaufe. "Vor dem Sicherheitsrat spielt das juristische Argument natürlich eine Rolle. Ich will nichts sagen, dass es allein ausschlaggebend ist. Aber es spielt eine Rolle." Damit sei es ein Element, das den politischen Druck auf Assad und die anderen syrischen Konfliktparteien erhöhe. Dieser Druck könne umso größer werden, je mehr den Verantwortlichen der beiden Kriegsparteien klar werde, dass es ein Kriegsverbrechen sei, den Hunger der Zivilbevölkerung als Waffe einzusetzen. Das könne für sie erhebliche persönliche Konsequenzen haben: "Wenn ein syrischer Verantwortlicher in die Bundesrepublik gelangen sollte, so wäre der Generalbundesanwalt verpflichtet, ihn strafrechtlich zu verfolgen."