Ein Rettungspaket für Flüchtlinge!
29. September 2013Es war die Angst, die Abdul Khaliq vor einem Jahr aus Syrien trieb. Der syrische Lehrer hatte Bilder von Soldaten gesehen, die vom Assad-Regime als Deserteure exekutiert worden waren. Sie hätten sich geweigert, sagt er, auf ihre Landsleute zu schießen. Hinzu kamen die vielen Geschichten, die man ihm zuraunte: "Bekannte von mir sind einfach verschwunden", erzählt Khaliq. Vielleicht schmachteten sie in den Gefängnissen des Assad-Regimes, vielleicht seien sie tot. Er macht eine kurze Pause: Er wisse es einfach nicht.
Um nicht selbst als Deserteur zu sterben, flüchtete der heute 33-Jährige zusammen mit einem Freund nachts über die Grenze in den Nordirak. Wie er fliehen immer mehr Syrer vor dem Krieg, der seit mehr als zwei Jahren das Land verwüstet. Anfang September meldete das UN-Flüchtlingswerk, dass bereits mehr als zwei Millionen Syrer in Flüchtlingslagern im Libanon, Syrien und Jordanien leben. Täglich werden es mehr.
Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Pro Asyl fordern deshalb anlässlich der anstehenden Koalitionsverhandlungen die zukünftige Bundesregierung auf, sich vermehrt für den Schutz syrischer Flüchtlinge einzusetzen - und diese auch ins Land zu lassen. "Wir fordern die ganze Zeit, dass die Nachbarländer die Grenzen offenlassen - genauso offen müssen wir unsere Grenzen auch machen", sagt Franziska Vilmar von Amnesty International (AI).
"Akt der Solidarität" gefordert
Deutschland und Europa, so die Asylexpertin, müssten mehr Syrern Asyl gewähren. "Das wäre ein echter Akt der Solidarität." Denn die humanitäre Hilfe, die Deutschland vor Ort in den Flüchtlingslagern leiste, sei zwar begrüßenswert - doch angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme nicht ausreichend. So seien die Nachbarländer Syriens bereits jetzt überfordert. Vilmar fordert deshalb, das Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge auszubauen. Deutschland hat sich Anfang des Jahres zur Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftigen Syrern verpflichtet. "Angesichts der Zahlen vor Ort wünschen wir uns mehr."
Vilmar begrüßt die Ankündigung einiger Bundesländer, die Einreise von Familienangehörigen von in Deutschland lebenden Syrern zu erleichtern. "Aber die Voraussetzungen sind derart hoch, dass der Vorstoß an finanziellen und bürokratischen Hürden scheitern wird." So dürften in Deutschland lebende Syrer nur ihre Kernfamilie, also nur Kinder und Ehepartner, ins Land holen. Auch müssten Familienmitglieder zum Teil Monate auf Termine bei den deutschen Botschaften vor Ort warten, um ein Visum zu erhalten. Und wer Verwandte ins Land holen möchte, müsse sich verpflichten für den Flug, die Unterkunft und die Krankenkasse aufzukommen - und das auf unbestimmte Dauer, kritisiert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.
Legaler Weg zu teuer
Der legale Weg sei nur für die Syrer eine Option, die über genügend Geld verfügten, sagt er. Vielen bleibe deshalb oft nur der illegale Weg, meist über Griechenland. Doch das Land sei völlig überfordert, das Asylverfahren fast völlig zusammengebrochen. "Griechenland verstößt in eklatanter Weise gegen die Menschenrechte von Asylsuchenden und Migranten", sagt auch Franziska Vilmar. So habe Amnesty International Berichte dokumentiert, wonach die griechische Küstenwache Bootsflüchtlinge abfange "und Menschen in manövrierunfähigen Booten auf offener See zurücklässt". Darunter seien auch immer wieder syrische Flüchtlinge.
Deshalb müsse die neue Bundesregierung sich zukünftig mehr auf EU-Ebene für den Schutz von Flüchtlingen einsetzen. Es sei Zeit für ein Rettungspaket für die Flüchtlinge in Griechenland, sagt Vilmar. Und Günter Burkhardt von Pro Asyl fügt hinzu: "Deutschland muss entschieden auf die Mitgliedsstaaten an der EU-Außengrenze einwirken, die Grenzen Europas für Flüchtlinge zu öffnen."
Forderungskatalog an die Regierung
Burkhardt und Vilmar präsentierten außerdem einen Forderungskatalog für die Behandlung von Asylbewerbern in Deutschland, etwa die Abschaffung des Flughafenverfahrens, wonach Flüchtlinge im Transitbereich eines Flughafens untergebracht werden, bis ihr Asylverfahren entschieden ist. Dort aber, so Burkhardt, könnten sie sich kaum auf das Verfahren vorbereiten. Die beiden Menschenrechtler sprachen sich außerdem gegen das Arbeitsverbot für Asylbewerber, Massenunterkünfte sowie die Residenzpflicht aus, die Flüchtlingen verbietet, ihr Bundesland zu verlassen.
Der syrische Flüchtling Abdul Khaliq hat seinen eigenen Forderungskatalog: Mehr humanitäre Hilfe vor Ort im Nordirak - vor allem bessere Unterkünfte. "Die Flüchtlingscamps bestehen doch nur aus Zelten. Die sind völlig unzureichend für den harten Winter, der jetzt ansteht, den Regen und auch Schnee." Nach Europa möchte er nicht, sagt er: Denn er habe Arbeit als Übersetzer gefunden. "Warum sollte ich weg?" Aber seine 10-jährige Nichte habe starkes Asthma. "Es gibt doch kaum Medikamente hier - und dann auch noch der Winter." Wenn sie nach Europa dürfte, sagt er: "Das wäre schön."