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Ägypten: Street.Art als Protestform

Manasi Gopalakrishnan
24. Januar 2021

Graffiti-Kunst half dabei, die Aufstände am 25. Januar 2011 in Ägypten in Gang zu bringen. Zehn Jahre später werden die Künstler aus dem Land vertrieben.

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Eine Wand zeigt Graffitis mit Köpfen von Männern und Frauen, die eine weiße Augenklappe tragen, weil sie bei den Protesten durch die Wasserwerfer blind geworden sind.
Durch Wasserwerfer erblindet: Graffiti über die Folgen des Aufstands in Ägypten Bild: Burak Akbulut/AA/picture alliance

Der sogenannte Arabische Frühling startete vor mehr als zehn Jahren in Tunesien. Damals zündete sich ein junger Obsthändler namens Mohamed Bouazizi auf offener Straße an, um gegen die Korruption der Polizei und die ständig zunehmende Arbeitslosigkeit im Land zu protestieren. Seine Verzweiflungstat setzte Massendemonstrationen in Tunesien in Gang, die sich bald auch auf das benachbarte Ägypten ausweiteten. Schon kurze Zeit später versammelten sich tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, um den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak zu fordern.

Genau zu dieser Zeit entstanden in den Straßen der ägyptischen Hauptstadt aufsehenerregende Kunstwerke: Street-Art. Dazu gehörten Graffitis von Künstlern wie Ammar Abo Bakr, Alaa Awad oder Ganzeer. Ihre künstlerischen Kommentare zum Zeitgeschehen verschafften ihnen Berühmtheit. Viele dieser Werke sind nun in Büchern wie "Revolution Graffiti - Street Art of the New Egypt" der schwedischen Journalistin Mia Gröndahl oder "Walls of Freedom: Street Art of the Egyptian Revolution" von Basma Hamdy und Don "Stone" Karl abgebildet.

Street-Art als Massenmedium

Auch Ganzeers Name ist mittlerweile bekannt in der Street-Art-Szene. Im DW-Interview erzählt er, dass mit dem Beginn der Revolution "eine Informationslücke zwischen dem, was auf den Straßen geschah, und dem, was in den Medien berichtet wurde" entstanden sei. Ganzeer hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau diese Lücke zu schließen: Viele Bewohner Kairos wussten überhaupt nichts von den Protesten und konnten deswegen auch gar nicht an ihnen teilnehmen. "Für mich war es eine Notwendigkeit, Street-Art zu diesem Thema zu schaffen", sagt Ganzeer.

In einer Unterführung ist ein Panzer an die Wand gemalt, der auf einen Fahrradfahrer zufährt. Das Gewehr des Panzerfahrer zielt auf den Fahrradfahrer.
Street-Art unter der Brücke: Ganzeers Graffiti zeigt die Brutalität des MilitärsBild: Ganzeer

Bewusst schuf Ganzeer seine Street-Art weit weg vom Tahrir-Platz. Er verbreitete sie in Gegenden, wo die Menschen kaum etwas vom Massenprotest mitbekamen. Anfangs war die Resonanz auf seine Werke jedoch nicht nur positiv. Als die Proteste immer stärker wurden, schlossen in Kairo die Geschäfte und auch viele Betriebe. Die Menschen waren verunsichert, übermalten Ganzeers Bilder. Doch dann drehte sich der Wind.

Ganzeer schuf Protest-Graffiti

Künstler wie Ganzeer nutzten Wände und Fassaden, um ihre Unzufriedenheit über das Regime auszudrücken. "Es war spannend zu sehen, wie Kairos Wände zu leben anfingen. An ihnen fand Austausch mit der Gesellschaft statt. Der Umbruch spiegelte sich auf vormals leeren Flächen wider", erzählt Ganzeer und fügt hinzu, dass diese Zeit für ihn "sehr aufregend" war.

"Wer nach Kairo kam und von von den Protesten nichts wusste, konnte einfach durch die Stadt gehen und sich auf den Wänden informieren", so Ganzeer. Besonders eindrucksvoll ist das Bild von einem Panzer, der auf einen Fahrradfahrer zufährt, der ein Brot auf dem Kopf trägt.

Omar Fathy schuf eine Protest-Ikone 

Auch der ägyptischer Street-Art-Künstler Omar Fathy schuf Werke, die im Gedächtnis blieben. Auf dem Tahrir-Platz malte er ein Gesicht, das zur Hälfte aus Hosni Mubarak und zur Hälfte aus Mohamed Hussein Tantawi, dem Chef der ägyptischen Streitkräfte im Jahr 2011, bestand. Außerdem entstanden viele weitere Werke in der Mohamed-Mahmoud-Straße in Kairo, die schließlich zum Inbegriff für die Zusammenstöße zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften wurden.

Streetart in Kairo zeigt den Kampf des arabischen Frühlings in Ägypten.
Solche großen Graffitis, wie das von Ammar Abo Bakr, stehen inzwischen unter StrafeBild: picture-alliance/dpa/G.Mayer

Sarah Awad, Co-Autorin des Buchs "Street Art of Resistance", und Lehrbeauftragte für Kommunikation und Psychologie an der Universität Aalborg in Dänemark, beschreibt Street-Art, wie sie im Januar 2011 entstand, als Möglichkeit einer besonderen Kommunikation unter den Beteiligten. "Die Bilder hatten eine starke Wirkung sowohl auf Passanten als auch auf internationale Beobachter, die die Ereignisse damals mitverfolgten."

Durch Street-Art konnten sich die Demonstranten nicht nur künstlerisch ausdrücken, sondern auch Falschdarstellungen seitens der lokalen Medien korrigieren. Die Wandbilder halfen auch dabei, das Mubarak-Regime bloßzustellen. "Diese Bilder sind wichtige Zeitdokumente", sagt Awad, "sie sind ein Teil des kollektiven Gedächtnisses der Revolution."

Ägyptens Siege und Verluste

Seit Hosni Mubarak 2011 gestürzt wurde, hat das Land mehrere Veränderungen durchgemacht. 2012 kam der Muslimbruder Mohammed Mursi an die Macht. Erneute Demonstrationen und Unruhen führten zu einem Putsch unter der Führung vonMilitärchef Abdel Fattah al-Sisi, der seit 2014 neuer Präsident des Landes ist. Inzwischen leben viele Straßenkünstler nicht mehr in Kairo. Wie Ganzeer haben sie die Hauptstadt verlassen oder sind gleich ins Ausland gezogen. Ganzeer nennt die Situation in Ägypten nur noch "deprimierend". Die Dinge seien nicht so gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Doch es sei nicht alles schlecht gelaufen. "Immerhin wurde Mubarak tatsächlich nach 30 Jahren an der Macht abgesetzt - ein großer Sieg. In den ersten Jahren danach gab es eine noch nie dagewesene Freiheit. Die Menschen haben sich frei äußern können. Und sie hatten eine freie Presse, die nicht vom Staat diktiert wurde."

Mittlerin zwischen Menschen und Kulturen

Mit Mohammed Mursi verschlechterte sich die Lage

Nach dieser anfänglichen Aufbruchphase wurden unter dem Mursi-Regime ab 2013 erneut Menschen ins Gefängnis gesteckt und sogar ermordet, so Ganzeer. Mursis Anhänger gingen während der Militärdiktatur brutal gegen Widersacher vor.

Das habe dazu geführt, dass immer weniger Street-Art im öffentlichen Raum zu sehen sei, sagt Buchautorin Sarah Awad. Inzwischen stehen die Wandbemalungen in Kairo unter Strafe. Wenn überhaupt, tauchen nur noch kleinere Gemälde in der Öffentlichkeit auf, deren Urheber nur schwer zu identifizieren sind. Awad hat in den vergangenen Jahren viele ägyptische Künstler, die während der Revolution aktiv waren, gesprochen. Auf ihre Frage, ob sie weiterhin Street-Art machen würden, antworten sie resigniert: "Im Moment lieber nicht."

Adaption: Sabine Oelze