Kein Arabischer Frühling für freie Meinung
7. April 2013Der ägyptische Satiriker Bassem Jussif (Foto) nimmt kein Blatt vor den Mund. In seiner TV-Show Al-Barnameg witzelte er über das ungelenke Englisch seines Präsidenten Mohammed Mursi. Außerdem bezeichnete Jussif den mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestatteten Staatschef spöttisch als "Super-Mursi".
Deshalb musste sich der beliebte Kabarettist jüngst vor Gericht verantworten; der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Beleidigung des Präsidenten und der Religion - unter anderem. Zwar ist diese Klage am Samstag (06.04.2013) von einem Kairoer Verwaltungsgericht abgewiesen worden, da der Kläger sei zu dieser Klage gar nicht berechtigt gewesen sei. Doch gegen Jussif schweben noch weitere Verfahren, ebenfalls wegen Beleidigung - Ausgang ungewiss.
Wie Jussif geht es vielen Künstlern, Bloggern, Journalisten oder Oppositionspolitikern in Ägypten und Tunesien. Der Sturz diktatorischer Regime im Arabischen Frühling brachte keine dauerhafte Meinungsfreiheit. Vielmehr schränken die neuen Machthaber die freie Rede wieder ein.
Vor allem in den letzen Monaten haben Menschenrechtler einen Zuwachs an Gerichtsverfahren wegen angeblicher Diffamierung festgestellt. Beleidigung von Staatsorganen oder der Religion sind zwei der Vorwürfe, mit denen Kritiker in Nordafrika mundtot gemacht werden. Die Ägypten-Referentin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Diana Eltahawy, sieht die Entwicklung mit Sorge. Binnen zwei Wochen seien 33 Aktivisten, Blogger und Politiker angeklagt worden. "Sie sind rechtlichen Schikanen durch die ägyptischen Behörden ausgesetzt, nur weil sie die Menschenrechtlage unter der Regierung kritisch sehen", sagt Eltahawy der Deutschen Welle.
Meinungsfreiheit gilt nicht bei Beleidigung
Eigentlich garantiert die neue ägyptische Verfassung die Meinungsfreiheit. Doch bei vermeintlicher Beleidigung drohen Gefängnisstrafen. Auf sachliche oder humoristische Kritik reagieren nicht nur Staatsinstanzen allergisch. Viele Anzeigen kommen laut Eltahawy von Privatpersonen oder islamistischen Anwälten. Diese werden aktiv, wenn sie glauben, dass mit kritischen Äußerungen über Religionsvertreter oder religiöse Praktiken der Islam beleidigt werde. Aber auch in diesen Fällen ist es Eltahawy zufolge Sache der Staatsanwaltschaft, die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Staatsanwälte könnten Klagen mit Verweis auf die Meinungsfreiheit ablehnen, sagt die Londoner Amnesty-Referentin. Die Regierung in Kairo müsse solche Verfahren unterbinden.
In Tunesien sorgt der Haftbefehl gegen den Rapper Weld El 15 für Schlagzeilen. Weld El 15 – mit bürgerlichem Namen Âla Yaâkoubi - stellte einen Rap mit dem Titel "Polizisten sind Hunde" ins Internet. Der Videoclip prangert Willkür und Gewalt der Sicherheitskräfte an. Am 10. März tauchte der Sänger ab, nachdem ein Mitproduzent und eine Tänzerin aus seinem Team wegen Beleidigung der Polizei festgenommen wurden. Mittlerweile ist Weld El 15 in Abwesenheit zu zwei Jahren Haft verurteilt worden.
Politische Graffitis als schweres Vergehen
Zwei Jahre Haft drohen auch einer Bloggerin, die Veruntreuungsvorwürfe gegen den früheren tunesischen Außenminister im Web postete. Zwei Sprayern der Straßenkünstlergruppe Zwewla (die Armen) drohen sogar fünf Jahre Gefängnis für ihre Graffitis. Eine ihrer Parolen war: "Unsere Revolution gehört den Armen." Ihre Graffitis sind laut Anklage zwar auch - vergleichsweise harmlose - Sachbeschädigung, vor allem aber eine Störung der öffentlichen Ordnung durch falsche Angaben.
Auch in Tunesien gilt laut Gesetz die Meinungs- und Pressefreiheit. Nach dem Sturz von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali 2011 sollten zwei Regierungsdekrete die Arbeit der Medien schützen. Doch dieser Schutz werde nun durch eine Flut von Diffamierungsklagen unterlaufen, sagt Maha Ouelhezi vom tunesischen Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Derzeit leiden die Journalisten unter fortdauernden Attacken von Seiten der Politiker", beschreibt Ouelhezi die Prozesse. Darüber hinaus gebe es auch handgreifliche Angriffe auf Medienvertreter.
Die drastischen Strafen schüchtern ein. Eine vermeintliche Beleidigung ist in solchen Prozessen keine zivilrechtliche Streitsache, sondern wird zur schweren Straftat. Das machen sich Behörden zunutze, um Kritiker zu knebeln und auch die Massenmedien zu warnen. Im Fall des Satirikers Jussif prüfen die ägyptischen Behörden nun, ob dieser mit Beleidigungen und sexuellen Anspielungen gegen die Lizenz des Senders verstoßen habe. Damit könnte die ganze TV-Station vor dem Aus stehen.
Unterstützung für angeklagte Kritiker
Gegen die Knebelung der Meinungsfreiheit formiert sich Widerstand. "Die Leute sind nicht auf die Straße gegangen, um ein Ende der Unterdrückung, Toleranz und das Recht auf Widerspruch einzufordern, nur um das Gleiche mit einem gewählten Präsidenten noch einmal zu erleben", sagt Menschenrechtlerin Eltahawy.
Wenn in Ägypten prominente Künstler wie Jussif zur Vernehmung kommen, stehen ihre Anhänger solidarisch vor dem Gericht. Andere Medien berichten darüber. Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei kritisierte das Verfahren gegen Jussif scharf. Über Twitter erklärte der Oppositionsführer, ein solches Vorgehen gebe es sonst nur in "faschistischen Regimen".
Auch das US-Außenministerium äußerte sich besorgt über den Fall. Der gelernte Mediziner Jussif wehrt sich auf seine Weise. Auf dem Weg zum Gericht parodierte er den Präsidenten erneut. Dabei trug er eine überdimensionierte Nachbildung jenes Hutes, den Ägyptens Staatschef für eine Ehrendoktorwürde in Pakistan erhalten hatte. Jussif wurde zunächst auf Kaution freigelassen.