Hat der Arabische Frühling Afrika inspiriert?
15. Dezember 2020Vor zehn Jahren verbrannte sich der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in der Stadt Sidi Bouzid, nachdem er von Sicherheitskräften misshandelt worden war. Seine Tat löste eine beispiellose Protestwelle im Nahen Osten aus, die heute als arabischer Frühling bekannt ist: Zunächst jagten wütende Demonstranten den tunesischen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali aus dem Amt. Ägyptens Präsident Husni Mubarak, Jemens Staatschef Ali Abdullah Salih und Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi folgten.
Zehn Jahre später ist von der Hoffnung auf einen Neuanfang wenig geblieben. Repressive Regimes, Bürgerkriege und Dschihadismus prägen stattdessen den Alltag einiger Länder. Und doch inspirierte der arabische Frühling die Menschen in vielen anderen Ländern weltweit - auch in Afrika.
Proteste gegen Landzeitherrscher
In Burkina Faso zum Beispiel protestierten 2014 tausende Menschen gegen eine weitere Amtszeit von Langzeit-Präsident Blaise Compaoré, der bereits 27 Jahre regierte. Im Senegal kämpfte die Jugendbewegung "Y'en marre" 2012 erfolgreich gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts, den amtierenden Präsidenten Abdoulaye Wade zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat zuzulassen. Und im Sudan wurde Präsident Omar al-Bashir 2019 nach monatelangen Unruhen aus dem Amt geputscht.
"Ich glaube, dass viele afrikanische Bewegungen, die sich für mehr Demokratie und Offenheit einsetzen von dem, was in nordafrikanischen Ländern und im Nahen Osten passiert ist, gestärkt worden sind", sagt der deutsche Afrikawissenschaftler Robert Kappel der DW. Der arabische Frühling habe einen Lerneffekt auf afrikanische Staaten gehabt: weg von Jahrzehnte währenden, autoritären Regimen, hin zu mehr Freiheit.
Keine 'Ansteckungsgefahr'
Doch Protestbewegungen wie in Burkina Faso, Senegal oder Sudan sind Ausnahmen. "Eine große Welle der Demokratisierung gab es in Subsahara Afrika schon vorher. In dem Maße bestand diese Notwendigkeit, regionweiten Autoritarismus aufzubrechen, nicht", sagt Matthias Basedau, Direktor des GIGA-Instituts für Afrika-Studien zur DW. Denn in vielen Ländern waren autokratische Langzeitherrscher bereits nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren gestürzt worden.
"Subsahara Afrika ist im Bezug auf Freiheit bereits viel weiter als der mittlere und nahe Osten. Außerdem besteht eine nur geringfügige kulturelle Affinität: Im südlichen Afrika blickt man eher auf Nachbarländer oder europäische Länder", sagt Basedau. Die Revolution im Sudan hält er eher für eine Ausnahme: Sprachlich und kulturell gehöre das Land eher zum arabischen Raum als zu Subsahara-Afrika.
Die dunkle Seite des Frühlings
Trotzdem fürchten einige autokratische Regierungen einen "arabischen Frühling" in ihren Ländern: In Simbabwe wurden 2012 ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter und fünf weitere Personen wegen Subversion angeklagt, nachdem sie an einem Treffen teilgenommen hatten, bei dem Videos von Protesten in Tunesien und Ägypten gezeigt worden waren. In Malawi wurde 2012 ein Dozent verhört, weil er sich auf den ägyptischen Aufstand bezog, nachdem eine Reihe von Demonstranten, die gegen hohe Preise protestierten, von der Polizei getötet worden waren.
Zudem haben einige afrikanische Länder indirekt die negativen Konsequenzen des arabischen Frühlings erlebt. Vor allem im Sahel: Der Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen stürzte die Region in die Krise. "Die Rebellion im Norden Malis wurde nach seinem Sturz noch viel gefährlicher", sagt Experte Basedau. Söldner aus Mali und Niger hatten das Gaddafi-Regime verteidigt und kämpfen seitdem an der Seite von Islamisten gegen die Regierung.
Kein Afrikanischer Frühling?
Für einen "Afrikanischen Frühling" fehlten die grundsätzlichen Voraussetzungen, sagt Gilbert Achcar, Professor für Internationale Beziehungen an der SOAS-Universität London. "Länder in Subsahara-Afrika haben nicht die gleiche Strukturkrise", so Achcar zur DW. Die Jugendarbeitslosigkeit im Nahen Osten und in Nordafrika ist laut dem US-Thinktank Brookings seit über 25 Jahren die höchste der Welt. 2017 lag sie bei 30 Prozent. Acar: "In den afrikanischen Ländern gibt es Kämpfe und Streit um Politik und Wahlen, aber das ist etwas anderes als eine Bewegung, die darauf abzielt, das ganze System zu stürzen."
Sein deutscher Kollege Kappel warnt vor einem gefährlichen Trend, der einen "Afrikanischen Frühling" noch unwahrscheinlicher macht. Sein düsteres Fazit: "Massive Aufrüstung der Polizei, autoritäres Gehabe, Verfassungsrechte, die wie in der Elfenbeinküste oder Ruanda außer Kraft gesetzt werden, die Unterdrückung jeder Forderung nach Demokratie - wir haben in einigen afrikanischen Ländern einen Rollback der Demokratiebewegung."
Auch in Ländern, die seit Jahrzehnten autoritär regiert werden, könnte aber noch der Funke des Widerstands erwachen, glaubt Kappel. Denn es gibt immer noch Länder, die nach mehr Freiheit streben - und somit nach ihrem eigenen, afrikanischen Frühling.