Angst und Schrecken in Burundi
1. Oktober 2015"Fast jeden Tag werden neue Leichen auf den Straßen der Hauptstadt Bujumbura entdeckt, manche mit gefesselten Armen, andere hat man in Säcke gesteckt", berichtet Carina Tertsakian. Bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ist sie für Burundi zuständig. In dem kleinen Staat in Ostafrika herrscht seit Wochen rohe Gewalt. Die Unruhen begannen, als Präsident Pierre Nkurunziza im April ankündigte, noch einmal für das Präsidentenamt zu kandidieren. Die Verfassung des Landes sieht nur zwei Amtszeiten für den Präsidenten vor, doch Nkurunziza ließ sich im Juli für eine dritte Amtszeit wiederwählen.
Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig
"Seit Mitte August hat das Morden sehr stark zugenommen. Wir wissen von mindestens 50 Todesfällen, aber es könnten sehr viel mehr sein", so Tertsakian im DW-Interview. Dazu kämen hunderte weitere, schwerwiegende Verbrechen wie unrechtmäßige Verhaftungen und Folter. Häufig sind die Opfer Aktivisten oder Oppositionelle, so wie der Politiker Jean Baptiste Nsengiyumva, den Unbekannte am Dienstag vor seinem Haus erschossen. Doch auch die andere Seite beklagt Tote: Im August wurde der Chef des burundischen Geheimdienstes, Adolphe Nshimirimana, ermordet. Er stand Präsident Nkurunziza sehr nahe. Im September entging Armeechef Prime Niyongabo nur knapp einem Anschlag.
Wer für die Angriffe und Morde verantwortlich ist, lässt sich kaum feststellen. Für den Oppositionspolitiker Charles Nditije ist klar, dass der Geheimdienst und die Regierungspartei dahinterstecken: "Viele Opfer wurden vor ihrem Tod von der Polizei verhaftet", sagt er der DW. "Wie können Sie denn sonst erklären, dass sie am nächsten Tag tot und gefesselt im Dreck am Straßenrand liegen?" Das lässt die Regierung nicht auf sich sitzen: "Wir lehnen jede Verantwortung von Seiten der Regierung ab", sagt der Presse-Chef des Präsidenten, Willy Nyamitwe, im DW-Interview. Stattdessen würden radikale Oppositionelle hinter den Angriffen stecken. "Sie wollen ein Klima der Unsicherheit schaffen." Es sei ihre Taktik, Leute aus den eigenen Reihen zu opfern, um die Bevölkerung gegen die Machthaber aufzuhetzen, so Nyamitwes Argumentation.
Mord und Folter ohne Aufklärung?
Keiner der Fälle sei bislang aufgeklärt worden, kritisiert Tertsakian von Human Rights Watch. Die Regierung kündigte zwar Untersuchungen zumindest in den Fällen bekannter Opfer an. Aber oft bleibe es bei der Ankündigung. HRW stellt daher eigene Untersuchungen an - und die deuten in einigen Fällen auf den Geheimdienst, in anderen auf die Opposition hin, sagt Tertsakian: "Aber in den meisten Fällen wissen wir es einfach nicht. Die Opfer werden oft nachts getötet, die Leichen weit vom Tatort entfernt abgelegt." Das mache es schwer, die Opfer zu identifizieren und die Täter zu ermitteln.
In einer Rede, die am Mittwochabend im burundischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, gab Präsident Nkurunziza zu: "Gerichtlichen Untersuchungen zeigen, dass einige der Akteure, die für Frieden und Sicherheit sorgen sollen, bei Morden oder anderen Gewalttaten festgenommen wurden." Die Regierung werde diese Personen "neutralisieren".
All diese Geschehnisse schüren in Burundi ein Klima der Angst, sagt Tertsakian. "Das wird durch den Mangel an unabhängigen Informationen noch verstärkt." Denn die privaten Medien, vor allem die Radiosender, wurden von der Regierung bereits im April geschlossen, ihre Ausrüstung zerstört. Viele Journalisten sind ins Ausland geflohen.
Sanktionen, aber richtig
Auch für Phil Clark ist es nicht einfach, an zuverlässige Informationen über die Lage in Burundi zu kommen. Er unterrichtet an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London und steht in engem Kontakt mit Freunden und Kollegen in Bujumbura. Ein Ende der Gewalt in Burundi könne nur durch politischen Druck erreicht werden, sagt er: Zunächst müssten die Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft ihren Druck auf Nkurunziza erhöhen: "Sie waren in der Vergangenheit sehr wechselhaft in ihrer Haltung gegenüber Burundi. Jetzt müssen sie klar signalisieren, dass sie ein solches Vorgehen gegen die Opposition nicht dulden."
Auch die internationale Gemeinschaft sieht er in der Pflicht. Sanktionen gegen Einzelpersonen, wie sie die EU gegen Vertraute des Präsidenten verhängt hat, seien dabei wenig hilfreich, so Clark. "Die meisten von ihnen haben so viel Geld und Macht, dass sie auch ohne Unterstützung der EU international gut zurechtkommen." Stattdessen sollte die EU mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten und nicht nur Druck auf Burundi ausüben, sondern auch auf andere Staaten, die Burundi unterstützen. "In den letzten Monaten hat Burundi seine Beziehungen zur türkischen und chinesischen Regierung ausgebaut. Hier besteht die Gefahr, dass Sanktionen der EU und der USA dadurch einfach unterwandert werden."
Mitarbeit: Eric Topona