Angst essen Wirtschaft auf
6. Dezember 2003Die meisten Israelis sehnen sich vermutlich zurück ins Jahr 2000. Die Wirtschaft erlebte mit einem Wachstum von sechs Prozent einen ungekannten Boom, vor allem aufgrund der hochentwickelten IT-Industrie und anderer High-Tech Produkte. Die Arbeitslosigkeit lag bei 8,8 Prozent, die Inflationsrate gar bei null. Politisch stand die Regierung kurz vor dem Abschluss eines Friedensvertrages mit den Palästinensern. Kurz gesagt: Dem Staat Israel ging es so gut wie nie zuvor.
Doch diese Entwicklung wurde vom Scheitern der Friedensgespräche in Camp David und dem Start der zweiten Intifada im September 2000 jäh unterbrochen. Kurz darauf platzte die Börsen-Blase in der IT-Branche, die Weltwirtschaft stürzte in die Rezession und mit ihr Israel. Seit drei Jahren kämpft das Land mit der Krise und nur das Ende des Konflikts mit den Palästinensern könnte auch die Rezession beenden.
Mangelware: Kunden
Aus den Schaufenstern in der Haupteinkaufsstrasse Jerusalems, der Jaffa Street, leuchten bunte Schilder mit Rabatten, Sonderpreisen und Verkaufsaktionen. Doch die Angebotsschilder versprechen nicht den Saisonschlussverkauf, sondern sollen zumindest die wenigen Kunden anlocken, die sich noch auf die Einkaufsmeile verirren. "Das Geschäft läuft sehr schlecht", erklärt einer der Ladenbesitzer, "es ist wegen der Intifada. Die Menschen trauen sich wegen der Selbsmordanschläge nicht mehr hierher." Zehn Bomben sind in den letzten drei Jahren in der Nähe seines Geschäftes explodiert, sein Umsatz sei seither über 70 Prozent gefallen, erzählt er.
Angst ist schlecht für das Geschäft
Die Angst regiert in Israel. In der Hauptstadt Tel Aviv machen die Diskotheken aus der Not eine Tugend: Anstatt für ihre Musikauswahl zu werben, heben sie die Qualität ihrer Sicherheitsmaßnahmen hervor. In Jerusalem kann man kein Café betreten, ohne vorher eine Sicherheitskontrolle über sich ergehen zu lassen. Alles wird getan, um den Kunden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, aber dennoch sind die Umsätze um über die Hälfte zurückgegangen. "Es sind nicht die Bomben, es ist die Rezession, die unsere Existenz bedroht", sagt Restaurantleiterin Lara Moore. "Die Touristen bleiben fort und das betrifft jeden hier, die Menschen haben kein Geld und gehen deswegen nicht mehr aus." Doch die Rezession ist eine direkte Folge der Intifada. Nur ein Jahr nach dem Start des Konflikts fiel das Wirtschaftswachstum von 7,4 Prozent auf -0,9 Prozent. 2003 ist das dritte Jahr in Folge mit einem negativen Wachstum.
Regierung in der Zwickmühle
Die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auf elf Prozent angestiegen. Die sinkenden Steuereinnahmen und der enorme Verteidigungshaushalt zwingen die Regierung zu Rekordschulden. Die Bank von Israel meldet ein Staatsdefizit von 5,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. "Wir stecken mitten in der schwersten wirtschaftlichen und sozialen Krise unserer Geschichte. Es ist das totale Chaos, " sagt Yossi Sarid, Ex-Minister und Mitglied der linksgerichteten Meretz-Partei. Er macht die Regierung für diese Situation verantwortlich. Michel Weinberg von der Deutsch-israelischen Handelskammer erklärt die schwierige Lage der Regierung: "Finanzminister Netanyahu muss kürzen, denn die Sicherheitsausgaben sind durch die Intifada enorm in die Höhe geschossen. Die kann ich schlecht kürzen, wenn ich im Krieg bin, also muss ich woanders kürzen." Vor allem die ärmeren Menschen in Israel sind von den Streichungen bei den Sozialausgaben betroffen.
Kürzungen im Verteidigungshaushalt
Der Konflikt belastet Israel so stark, dass nun sogar der Verteidigungshaushalt für 2004 um 680 Millionen Euro gekürzt werden soll. Andererseits hält die Regierung weiterhin am Bau des höchst umstrittenen Sicherheitszauns fest, der mit einer Gesamtlänge von 720 Kilometern Israel von der West Bank trennen soll. Nach neuesten Berechnungen wird der Bau knapp zwei Milliarden Euro verschlingen - mehr als doppelt soviel wie ursprünglich geplant. Die USA mißbilligen zwar die Errichtung des Zauns, bewilligten aber vor zwei Monaten dennoch einen neuen Milliardenkredit für Israel. Das Geld gibt der Regierung in Tel Aviv auf einige Zeit etwas mehr Planungssicherheit, aber auf lange Sicht wird nur ein dauerhafter Frieden mit den Palästinensern die Krise beenden können.