Neue Armut in Israel
7. November 2003"Gesucht werden fruchtbare Frauen für die Produktion und den Export von Babies". Diese Anzeige erschien in den vergangenen Tagen in den israelischen Tageszeitungen. In der Unterzeile hieß es, das Angebot wende sich besonders an die Frauen, die von den Kürzungen im Sozialhaushalt betroffen seien.
Die Reaktionen waren überwältigend. Tausende Frauen meldeten sich bei der Firma, die diese Anzeige geschaltet hatte. Doch die Firma Baby-Export gibt es gar nicht. Hinter der Anzeige steckt Naámat, die größte israelische Frauenorganisation. Mit der Veröffentlichung wollte sie auf die dramatisch zunehmende Armut vor allem unter allein erziehenden Frauen und jungen Familien in Israel aufmerksam machen.
Familiengründung wird nicht gefördert
"Wir haben diese Anzeige geschaltet, um der israelischen Regierung einen Spiegel vorzuhalten, damit sie versteht, in welche Lage sie die israelische Gesellschaft bringt", erklärt Talia Livne, Vorsitzende von Naámat. Die Regierung habe kein Interesse daran, den jungen Paaren die Möglichkeit zu geben, Familien zu gründen und Kinder zur Welt zu bringen.
Diese Anzeige habe eigentlich zeigen sollen, so Livne, wie die israelische Gesellschaft in einigen Jahren aussehen wird, wenn Israel sich endgültig zu einem Dritte-Welt-Land zurückentwickelt habe. "Aber zu meiner großen Bestürzung haben sich Tausende Frauen auf die Anzeige hin gemeldet. Wir haben Tausende Faxe bekommen, in denen Frauen sagen, dass dies ihr einziger Ausweg wäre, um die Existenz ihrer anderen Kinder zu sichern", bedauert Livne. Für eine vierköpfige Familie beispielsweise liegt die Armutsgrenze bei einem Einkommen von rund 4500 Shekel im Monat, weniger als eintausend Euro.
Armut in Israel steigt
Zu den neuen Armen in Israel gehört auch die Familie von Chanan und Limor Ochajun aus Batyam bei Tel Aviv. Mit ihren drei Kindern leben sie nur noch von dem, was Limor in ihrem Job im Supermarkt verdient: 3000 Shekel, ungefähr 700 Euro im Monat. Denn ihr Mann Chanan hat inzwischen seine Arbeit als Lastwagenfahrer verloren und ist ab November arbeitslos. "Ich kann nicht mehr schlafen", sagt Limor. "Jeden Morgen liege ich ab vier Uhr wach und überlege, wie es weitergehen soll, wie ich die Hypothek abbezahlen soll, die städtischen Steuern, den Strom." Vieles kann sie sich schon lange nicht mehr leisten.
"Ich verzichte schon lange darauf auszugehen und auch Vergnügungen für die Kinder, das kommt gar nicht in Frage", sagt Limor. Früher habe sie etwa 500 Shekel in der Woche für Essen ausgegeben, heute seien es nur noch 100 bis 150 Shekel.
Das Geld ist knapp
"Morgens überlege ich, wie ich den Kindern Schulbrote machen soll oder dass ich keinen Babybrei mehr habe und kein Geld, neuen zu kaufen", sagt Limor. Ihrem Sohn kann sie keine Sportschuhe kaufen. Der Winter hat jetzt begonnen und Limor habe keine warmen Sachen für ihn und seine Hosen seien ihm schon zu kurz.
Limors jüngster Sohn ist erst zwei Jahre alt. Er ist ein Nachzügler und für ihn hat sie gar nichts, keine Kleider und keine Spielsachen. Das Telefon hat Limor bereits abgemeldet und auch das Kabelfernsehen wird in der nächsten Woche abgeschaltet. Jetzt fürchtet sie, dass sie bald auch ihre Wohnung verlieren wird, wenn sie die Raten für die Hypothek nicht mehr bezahlen kann.