Mit dem Alphabet gegen Armut
8. September 2003Eigentlich hat man es schon mal probiert. Vor zwölf Jahren sagten Staatschefs, Minister und Vertreter von NGOs dem Analphabetismus den Kampf an. Bis zum Jahr 2000 sollte es keine Analphabeten mehr geben - weltweit. Auf dem Folgekonferenz in Senegal im Jahr 2000 mussten die Teilnehmer dann feststellen: Das Ziel war damals viel zu optimistisch. Nun haben sich die UN-Generalversammlung etwas bescheidener formuliert: In der neuen Kampagne "Bildung für alle" ist die Rede davon, dass weltweit bis 2015 die Zahl der erwachsenen Analphabeten um 50 Prozent reduziert werden soll.
Schulausbildung für Kinder auf der ganzen Welt
Ebenfalls bis 2015 sollen alle Kinder weltweit eine vollständige Grundschulbildung erhalten können. Nicht weil Bildung ein Wert an sich wäre, sondern weil Bildung die Voraussetzung für Entwicklung überhaupt sei, so Steve Packer, stellvertretender Direktor des UNESCO-Berichts zur Bildung in der Welt: "Ich denke, manchmal wird vergessen, dass Bildung darüber entscheidet, ob alle Entwicklungsziele des neuen Jahrtausends erreicht werden. Ziele, die mit einer besseren Gesundheitsversorgung zusammenhängen, mit einer gesünderen Umwelt und ganz besonders mit der Bekämpfung der Armut."
Das, so Packer, seien durchweg Ziele, die in ganz grundlegender Weise von einer besseren Bildung abhingen. Egal ob Anleitungen für eine Wasserpumpe, Beipackzettel für Medikamente oder Bestellzettel für Saatgut: Wer lesen und schreiben kann, wird auch im Arbeitsalltag besser zurecht kommen und davon profitiert letztendlich die ganze Gesellschaft.
Mädchen und Frauen benachteiligt
Oft jedoch werden Mädchen und Frauen benachteiligt, wenn es um Bildung geht. Nach Schätzungen der UNESCO wachsen heute mehr als 100 Millionen Kinder der Welt ohne Schulbildung auf, 60 Prozent davon sind Mädchen. 862 Millionen Erwachsene sind Analphabeten - zwei Drittel von ihnen Frauen. Und eben diese Benachteiligung von Frauen und Mädchen will die UN gezielt bekämpfen.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: "Wir wissen aus Untersuchungen und aus Erfahrung, dass ein Mädchen mit einer Grundschulausbildung mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer gesunden Erwachsenen heranwächst", erläutert Carol Bellamy, Direktorin des Kinderhilfswerks. Ebenso sicher sei, dass ihre Kinder später eine größere Chance haben, das fünfte Lebensjahr zu überleben. "Und wir wissen, dass Mädchen mit Schulausbildung ihre Kinder mit größerem Zeitabstand bekommen. Also hat die ganze Familie eine größere Chance gesund zu bleiben." Auch könnten gebildete Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Einkommen der Familie beitragen.
Analphabetismus und Armut liegen eng beieinander
Auch heute sind Analphabetismus und mangelnde Bildung eng mit Armut verbunden: Zwei von drei erwachsenen Analphabeten leben in den sogenannten E-9-Ländern, den ärmsten und bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, die zusammen die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Zwei von drei erwachsenen Analphabeten leben in Süd- und Ost-Asien und in Afrika südlich der Sahara. "Auch deshalb," so der Direktor des UNESCO-Instituts für Pädagogik, Dr. Adama Ouane, "ist Bildung für alle auch ein internationales Problem, das eine kollektive Lösung fordert."
Bildung als gesellschaftliche Aufgabe – das gilt nicht nur für die ärmeren Länder dieser Welt. Auch in den Industrieländern gibt es Analphabeten. Allein in Deutschland wird die Zahl der sogenannten 'funktionalen Analphabeten' auf vier Millionen geschätzt, das ist jeder 16. Erwachsene über 15 Jahre. Zwar haben sie eine Schule besucht, sie können aber trotzdem so schlecht lesen und schreiben, dass sie in ihrem eigenen sozialen Umfeld Probleme haben und meist nicht in das Berufsleben integriert werden können.
Bildung statt Rüstung
In den Vereinigten Staaten zum Beispiel ist Analphabetismus eins der größten Gesellschaftsprobleme. In einer Umfrage stellte sich heraus, dass einer von fünf Amerikanern das Wort "Amerika" nicht lesen konnte. Dabei ist es möglich, Analphabetismus weltweit zu bekämpfen.
15 Milliarden US-Dollar wären nötig um das Ziel der UN-Kampagne "Bildung für alle" zu erreichen. - Ein Ziel, das durchaus erreichbar ist, meint zumindest der Bildungsreferent der UNESCO-Kommission, Andreas Baaden. "Wenn man die mal mit den Verteidigungsausgaben vergleicht, sind das wirklich sehr kleine Fische."