"Schröder wird Außenminister von Rosneft"
29. September 2017Deutsche Welle: Herr Netschajew, was sind die Aufgaben eines Aufsichtsratsvorsitzenden in einer russischen Aktiengesellschaft?
Andrej Netschajew: Das russische Gesellschaftsrecht unterscheidet sich nicht wesentlich vom westlichen. Ein Aufsichtsratsvorsitzender leitet in der Regel die Aktionärsversammlung und den Aufsichtsrat, dem er als gleichberechtigtes Mitglied angehört. Er ist sozusagen ein Moderator. Zudem, und das hängt vom konkreten Unternehmen und von der konkreten Person ab, hat er im größerem oder geringen Maße Funktionen bei der Darstellung und Vertretung des Unternehmens nach Außen.
Haben in russischen Unternehmen die Mitglieder von Aufsichtsräten alle die gleichen Befugnisse?
Es gibt ein wichtiges Detail. Ich weiß nicht, in welcher Eigenschaft Gerhard Schröder in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Alle Mitglieder werden von den Aktionären gewählt. Doch es gibt die sogenannten unabhängigen Mitglieder. Sie handeln ausschließlich nach eigenem Ermessen, ausgehend davon, wie sie die Zukunft des Unternehmens sehen - also zu dessen Wohl. Vor allem in staatlichen Unternehmen oder in solchen mit einem bedeutenden staatlichen Anteil sitzen Vertreter des Staates. Sie stimmen ab oder entscheiden in wichtigen Fragen gemäß Direktiven der Regierung. Ein Mitglied des Aufsichtsrates, das den Staat vertritt, darf streng genommen von diesen Direktiven nicht abweichen. Solche Mitglieder sind in ihrer Entscheidung nicht frei.
Was Rosneft und die Einladung von Schröder angeht, kann man einige Hypothesen anstellen. Rosneft hat viele Projekte im Ausland - nicht in Europa, sondern vor allem in Richtung Osten, darunter in China. Hinzu kommt, dass auf Rosneft gigantische Schulden lasten, darunter gegenüber westlichen Kreditgebern. Für Rosneft sind die Sanktionen natürlich eine ziemlich schwere Belastung. Ich denke, dass die Wahl von Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden in erster Linie zum Ziel hat, in gewisser Weise den Druck gerade gegen Rosneft abzuschwächen. Ausländer sind durchaus in russischen Unternehmen in Aufsichtsräten vertreten, in der Regel dort, wo es eine ausländische Beteiligung gibt. Aber es ist bei großen russischen Unternehmen wohl ein Präzedenzfall, dass ein Ausländer den Vorsitz im Aufsichtsrat übernimmt. Rosneft ist das größte russische Ölunternehmen. Was die Kapitalisierung angeht, da streiten sich Rosneft und Gazprom ständig um den ersten Platz. Schröder wird wohl so etwas wie ein Außenminister von Rosneft sein.
In Deutschland wird Schröder für sein Engagement bei Gazprom und nun bei Rosneft heftig kritisiert und als Kreml-Lobbyist bezeichnet. Teilen Sie diese Kritik?
Ob man Schröder dafür kritisieren kann, weiß ich nicht. Er ist schon vor langer Zeit in die Wirtschaft gegangen. Er war schon Aufsichtsratsvorsitzender eines Unternehmens, dass sich mit der Nord Stream-Pipeline befasst. Er hat die Politik verlassen und verdient Geld. Da gibt es nichts Verwerfliches. Als Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft zieht er endgültig einen fetten Schlussstrich unter seine politische Laufbahn. Man kann ihm nicht Verrat an seiner Heimat vorwerfen. Ich gehe mal davon aus, dass er keine Staatsgeheimnisse verkauft, umso mehr, dass zwischen seiner Kanzlerschaft und dem heutigen Tag viel Zeit vergangen ist. Ich denke auch, dass bestimmte Staatsgeheimnisse inzwischen stark an Wert verloren haben.
Rosneft unter Igor Setschin wird von Skandalen überschattet - wie dem Yukos-Prozess oder dem Streit um das Energieunternehmen Baschneft. Es wurde erst zwangsverstaatlicht und dann an Rosneft weiterverkauft. Welche Rolle kann Schröder als Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft bei solchen dubiosen Deals spielen?
Ein Aufsichtsratsvorsitzender ist immer eine Person mit Autorität. Wenn er eine Entscheidung aus rechtlicher Sicht oder einfach aus Anständigkeit in Zweifel zieht, dann kann natürlich ein Aufsichtsratsvorsitzender in informellen Gesprächen seine Autorität nutzen, um einen Beschluss abzuschwächen oder ganz zu blockieren. Das stärkste Mittel, das er dann einsetzen kann, ist mit dem Rücktritt zu drohen. Es gibt aber auch noch den formalen Aspekt. Sollte Schröder Vertreter des Staates sein, dann hat er keine großen Möglichkeiten. Dann muss er gemäß den Direktiven der Regierung stimmen. Man kann sich nur rein theoretisch vorstellen, dass er als gesetzestreuer und disziplinierter Mensch selbst gemäß einer Direktive stimmen wird, aber zugleich, die Mitglieder des Aufsichtsrates überredet, anders zu stimmen.
Andrej Netschajew war zwischen 1992 und 1993 russischer Wirtschaftsminister. Von 1993 bis 2013 war er Vorsitzender der Partei "Bürgerinitiative". Heute ist Netschajew Professor an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität in Moskau.
Das Gespräch führte Mikhail Buschuev.