Die vielen Probleme mit Nord Stream 2
28. September 2017Hunderttausend Stahlröhren liegen schon bereit, die Spezialschiffe zum Verlegen sind geordert. Die Gazprom-Tochter Nord Stream 2 hat nach eigenen Angaben bereits Vorarbeiten in Höhe von vier Milliarden Euro in Auftrag gegeben für ihre neue Ostseepipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern investiert und plant mit einem pünktlichen Baustart nächstes Frühjahr. Allein: Es fehlen die Genehmigungen. Und nach Lage der Dinge könnte dem Milliardenprojekt noch einiges in die Quere kommen.
Denn wie schon die 2011 eröffnete Schwesterpipeline Nord Stream spaltet die geplante Ergänzung die Europäische Union. Deutschland und einige andere westliche Länder sind dafür, die östlichen EU-Staaten lehnen sie ab. Bedenken äußern aber auch Schweden und Dänemark, an denen auch die 1200 Kilometer lange neue Trasse vorbeiführt und die letztlich ihr Plazet geben müssen. Sie schalteten im November 2016 die Europäische Kommission ein, die dann Verhandlungen mit Russland vorschlug.
Mandat für Brüssel?
Ob und wie die EU-Länder ihr dafür ein Mandat erteilen, beraten deren Energieexperten am Donnerstag erneut in Brüssel. Ein rascher Durchbruch ist nicht in Sicht. Und obwohl man sich bei Nord Stream offiziell sehr entspannt gibt, ist das Unternehmen doch zumindest irritiert über das Störfeuer. Der Streit auf EU-Ebene schaffe Unsicherheit, unter anderem bei Finanziers und Investoren, sagt Nord-Stream-Vertreter Sebastian Sass. Das sei "einfach nicht hilfreich".
Die Brüsseler Debatte wird geführt unter dem Mäntelchen diffiziler juristischer Details, die sich um die Kernfrage ranken: Was sollen Verhandlungen mit Russland bringen und ist die EU-Kommission überhaupt zuständig? Dahinter stecken handfester politischer Streit und massive wirtschaftliche Interessen der betroffenen Länder. Das Gas würde von Deutschland aus in Europa verteilt. Die deutschen Nord-Stream-Finanziers Uniper und Wintershall hoffen auf gute Geschäfte.
Im Entwurf ihres Verhandlungsmandats erhebt die Kommission politische Bedenken. Die EU sei sich einig, nur Projekte zu unterstützen, die den Zielen der Energieunion entsprächen, darunter die Entwicklung vielfältiger Lieferwege und Versorgungssicherheit. Schon jetzt sei Russland der größte Lieferant und decke 42 Prozent aller Gasimporte in die EU. Mit Nord Stream 2 käme eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr hinzu - noch einmal so viel wie die erste Nord-Stream-Pipeline. Zusammen könnte die Trasse 80 Prozent russischer Gasexporte in die EU transportieren, heißt es in dem Entwurf.
Menetekel Krim
Die Sorge: Erstens käme noch mehr Gas von einem Partner, mit dem sich seit der Ukraine-Krise 2014 Spannungen aufbauen. Und zweitens flösse wohl mehr russisches Gas durch die moderne neue Pipeline und weniger durch alte Röhren via Ukraine und Polen. Beiden gingen Transitgebühren verloren, was vor allem die Ukraine finanziell träfe.
Polen wiederum hat seit 2015 in Swinemünde (Swinoujscie) ein großes Flüssiggas-Terminal und kein Interesse an noch mehr preiswertem russischen Gas auf dem europäischen Markt, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert. Die USA drängen Europa, amerikanisches Flüssiggas zu kaufen und nehmen ihrerseits Nord Stream mit Sanktionsdrohungen gegen Russland ins Visier.
Nord-Stream-Mann Sass hält bei allen Kritikpunkten dagegen, unter anderem mit dem Argument, wegen der Abkehr von klimaschädlicher Kohle werde in Europa künftig viel mehr Gas gebraucht und da blieben genug Marktanteile für andere. Die Bundesregierung steht an der Seite des Unternehmens, dessen Verwaltungsrat von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) geleitet wird.
Befürworter Gabriel
"Wir sind der festen Überzeugung, dass die Unternehmen in Deutschland darüber entscheiden, von wem sie Gas beziehen, und das ist eben russisches Gas, weil es am wettbewerbsfähigsten ist", sagte Noch-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) jüngst in Anklam in Nähe des geplanten Anlandepunktes der Trasse. Selbst im Kalten Krieg sei die Energieversorgung durch Russland preiswert und sicher gewesen.
Auch in Deutschland sehen das aber längst nicht alle so. Die Grünen lehnen die Pipeline ab, weil sie die Nutzung fossiler Brennstoffe auf Jahrzehnte zementieren würde. Ihr Europachef Reinhard Bütikofer warnt vor politischem und wirtschaftlichem Druck auf deutsche Genehmigungsbehörden - weil das Unternehmen schon die Hälfte der geplanten acht Milliarden Euro investiert hat.
In der Region wird vor allem über mögliche Auswirkungen auf die Natur gestritten. Die Landwirte auf der Insel Rügen weigern sich, als Ausgleich für den Pipelinebau rund 300 Hektar Ackerland in Grünland umzuwandeln. Inzwischen bereitet das Land eine Änderung der Natura-2000-Gebiete-Verordnung vor und will ein weiteres Naturschutzgebiet ausweisen. Begründet wird dies auch mit der Nord-Stream-Trasse.
Geprüft wird das Projekt in Deutschland vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie vom Bergamt Stralsund. Genehmigungen haben sie noch nicht erteilt - ebenso wenig wie die Behörden in Finnland, Schweden und Dänemark. Selbst Russland muss offiziell noch ja sagen.