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Andrej Kurkow über das Leben im Donbass

2. September 2019

In seinem Roman "Graue Bienen" schreibt Andrej Kurkow über den Kriegsalltag in der Ostukraine. Im DW-Interview erzählt der ukrainische Schriftsteller, wie ihn das Schicksal der vergessenen Menschen dort berührt.

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Ukraine, 86-jährige lebt im Luftschutzbunker
Bild: picture-alliance/U.Polina

Deutsche Welle: Herr Kurkow, gewöhnlich sind die Helden in Ihren Büchern Stadtbewohner und Intellektuelle. Im Roman "Graue Bienen" geht es jedoch um einen Imker, der in einem verlassenen Dorf zwischen den Fronten im Donbass lebt. Dort gibt es weder ein Café noch einen Laden, seit Jahren nicht einmal mehr Strom. Wie sind Sie auf diese Figur gekommen?

Andrej Kurkow: Eigentlich wollte ich nicht über den Krieg in der Ostukraine schreiben. Doch in den letzten Jahren sind viele Menschen aus dem Donbass in andere Regionen der Ukraine übergesiedelt oder geflüchtet, darunter auch nach Kiew. Ein Bekannter, der jeden Monat in die "Grauzone" zwischen den Fronten fährt, berichtete mir von einem Dorf, in dem nur noch wenige Menschen leben. Er bringt ihnen Geld und Lebensmittel, und sie machen Eingemachtes für ihn. Er hilft ihnen beim Überleben, indem er die Einmachgläser in ein Café nach Kiew bringt, das auch Binnenflüchtlingen gehört.

Der ukrainische Schriftsteller Andre Kurkow
Andrej Kurkow Bild: DW/Andreas Peter

Ich war von dieser Geschichte angetan. Ich bin ja selbst mehrmals ins Kriegsgebiet gefahren. Ich habe diese Atmosphäre, dieses seltsame Leben in der "Grauzone" ein wenig in mich aufgesogen. Ich wollte über diese vergessenen Menschen schreiben.

Leben im Niemandsland

Die Hauptfigur Sergej Sergejewitsch lebt im Niemandsland, über das Geschosse in die eine und andere Richtung fliegen. Er ist überall ein Fremder - in Russland, aber auch in der Zentralukraine, wo er nicht ganz dazu gehört. Auch für die Tataren auf der Krim ist er ein Fremder. Die Russen dort misstrauen ihm, weil er mit Tataren befreundet ist. Sind diese Menschen tatsächlich überall Fremde?

Am wenigsten wahrscheinlich in der Ukraine. Tatsache ist, dass die Menschen im Donbass schon vor dem Krieg kaum mobil waren. Sie reisen seltener ins Ausland als die Bewohner anderer Regionen. Wenn, dann fahren sie nach Russland, betrachten Russland aber nicht als Ausland. Ich habe einmal einen Mann in Sewerodonezk gefragt: "Waren Sie jemals im Ausland?" Er antwortete: "Ich war mehrmals in Moskau, aber nicht im Ausland." Es ist eine eigenartige Mentalität und Einstellung zum Leben: Man sitzt auf seinem Flecken, wo alles irgendwie geregelt zu sein scheint, und es reicht, ein Minimum zu besitzen und sich damit zufrieden zu geben. Doch alles zerfällt, und auch das Minimum löst sich auf. Die Menschen sind verwirrt und durch mentale Lähmung gebrochen.

Zivilisten an der Front - Menschen gehen an der Frontlinie entlang
Die Menschen im Donbass sind an den Krieg gewöhntBild: DW/Mykola Berdnyk

Sergej Sergejewitsch glaubt nicht, dass der Krieg in absehbarer Zeit enden wird. Glauben Sie daran?

Sergej Sergejewitsch sieht nur, was um ihn herum passiert. Ich betrachte den Krieg ja nicht von innen heraus, sondern aus einer Distanz und verfolge die allgemeine politische Entwicklung. Ich finde, dass eine Kriegsmüdigkeit zu spüren ist. Doch es gibt keine Lösung für das Problem. Alles läuft höchstwahrscheinlich darauf hinaus, dass der Konflikt eingefroren wird. Das hängt von der verfügbaren Menge an Munition ab - vor allem auf der Seite der Separatisten. Dorthin wird viel Munition aus dem benachbarten Russland geschafft...

Bücher in Russland verboten

Sie leben in Kiew, schreiben auf Russisch und betonen, dass sie ein ukrainischer Schriftsteller sind. Auch der Roman "Graue Bienen" ist in russischer Sprache verfasst. Gibt es Reaktionen von russischen Lesern?

Seit 2008 werden meine Bücher in Russland nicht mehr herausgegeben, und seit 2014 ist es sogar verboten, meine Bücher zu Verkaufszwecken nach Russland einzuführen. Als mein Verlag Folio aus Charkiw im April 2014 meine Bücher an Moskauer Buchhandlungen schickte, wurden sie vom Zoll zurückgeschickt, mit der Begründung, der Autor stehe auf einer schwarzen Liste. In Russland ist das Buch "Graue Bienen" unbekannt.

Aber auf einer Buchmesse in Kiew gab es eine interessante Begebenheit. Eine Familie bestellte gleich zehn Exemplare der "Grauen Bienen". Die Leute sagten, sie kämen von der Krim, hätten das Buch gelesen und es habe ihnen sehr gefallen. Daher wollten sie es mitnehmen und Freunden auf der Krim schenken.

Auf die deutsche Ausgabe der "Grauen Bienen" gibt es schon positive Reaktionen von Kritikern. Kann aber der durchschnittliche deutsche Leser den Roman überhaupt verstehen? Er hat ja nur eine vage Vorstellung vom Konflikt in der Ostukraine.

Buch über das Überleben

Ortsschilder im Donbass
Wie geht es weiter? Ortsschilder im DonbassBild: DW/I. Burdyga

Ich denke, er kann das Buch verstehen, denn es ist keine Geschichte über Kriegshandlungen, Feindschaft, nicht über die Hintergründe des Konflikts und nicht darüber, wer Recht und wer Unrecht hat. Es ist eine menschliche Geschichte, ein Buch über das Schicksal von Menschen, die in ihrem Dorf ein ruhiges Leben geführt haben, bevor der Krieg zu ihnen kam. Jetzt leben sie mitten in diesem Krieg, an dem sie gar nicht beteiligt sind. Es ist ein Buch über Veränderungen der menschlichen Psyche und über Veränderungen im Alltag, wenn im Leben Umbrüche auftreten und nichts mehr so ist, wie es früher war. Wenn der Strom ausfällt, wenn die Post nicht mehr kommt, wenn man nicht einmal mehr Brot kaufen kann und wenn jeder Kontakt zu Fremden gefährlich ist. Es ist ein Buch über das Überleben.

Andrej Kurkow ist der beliebteste ukrainische Schriftsteller in Westeuropa. Sein bekanntester Bestseller ist das Buch "Picknick auf dem Eis". Kurkow lebt in Kiew, spricht mehrere Fremdsprachen und arbeitete in verschiedenen Berufen, darunter als Redakteur und Kameramann. Viele seiner Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Deutsch, Französisch, Niederländisch, Spanisch und Türkisch. "Graue Bienen" von Andrej Kurkow ist im Schweizer Diogenes Verlag erschienen, hat 448 Seiten und kostet 24 Euro.

Das Gespräch führte Efim Schuhmann.