Quo vadis, Ukraine?
14. März 2015Eigentlich ist Andrej Kurkow ein Humorist und Autor wunderbar grotesker Romane. Aber weil seine Bücher viel mit der ukrainischen Wirklichkeit zu tun haben, hat seine Stimme Gewicht, in der Ukraine und außerhalb ihrer Grenzen. In Deutschland ist der Weltbürger mit russischen Wurzeln - Kurkow spricht sieben Sprachen - ein gern gesehener Gast, in Russland dagegen ist er unerwünscht. Dort dürfen seine Romane nicht erscheinen. Denn immer wieder warnt Kurkow vor Putin und dessen Expansionsplänen. In Leipzig, auf der Buchmesse, ist er Stammgast. In diesem Jahr nimmt er gleich an mehreren Diskussionsrunden über die Ukraine teil. Eine veranstaltet die Deutsche Welle. Der Andrang ist groß. Zusammen mit Kurkow sitzt der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew auf dem Podium. Auch er ein renommierte Autor. Auch er ein kritischer Geist, einer der wenigen, die Putins Politik offen kritisieren.
Krieg an vielen Fronten
Der Krieg in der Ukraine wird an vielen Fronten geführt. Aber, sind sich beide Autoren einig, er ist vor allem ein Krieg zwischen zwei unterschiedlichen Wertesystemen. Bis in den Donbass in der Ukraine habe es die europäische Kultur geschafft. Ihr gegenüber stehe eine archaische russische Kultur. Was Victor Jerofejew dann sagt, klingt alarmierend: Für 52 Prozent der Russen sei Stalin eine positive historische Figur, viele würden schon lange nach der Wiedereinführung der Todesstrafe rufen.
Und Putin? Der sei vor dem Krieg in der Ukraine eigentlich liberaler gewesen als die allermeisten Russen, dann aber umgeschwenkt auf einen Kurs, der strikt orthodoxen Werten folgt und eine Allianz mit der Kirche eingegangen ist. Heute, sagt Jerofejew, stehen 80 Prozent der Russen hinter ihm. Und in der Ukraine kämpfen Freiwillige gegen europäische und amerikanische Werte. Putin habe eine eigene Philosophie entwickelt, nach der die Russen die besseren Menschen seien und die besseren Werte haben. Gleichzeitig sei das Land zum Einparteiensystem zurückgekehrt, während in der Ukraine 186 Parteien eingetragen sind. Hier sei also das Kollektiv, dort der Individualismus, wie es Andrej Kurkow formuliert. Aber im Donbass und auf der Krim hätten die Leute bis heute noch diese sowjetische kollektive Mentalität. Will Russland die schwächelnde Ukraine, also "retten"? In jedem Fall haben die Ukrainer Angst, sagt Kurkow. "Im Westen fürchtet man die russische Ideologie und Sprache, die Oligarchen fürchten um ihr Geld. Und für die Zentralukraine ist die Beziehung zum Westen gefährdet."
Die Rolle der Autoren
Die von der DW-Redakteurin Ute Schaeffer moderierte Diskussion stand unter dem Titel "Nur ein Federgewicht im Dialog? Publizisten in der Ukraine und Russland". Es scheint, als wenn sie zumindest das sind: Federgewichte. Die jungen ukrainischen Autoren, die nach 1990 das Heft in die Hand nahmen, waren zunächst apolitisch. Jetzt aber, erzählt, Andrej Kurkow, sei das anders. Sie reisen in den Donbass, organisieren Aktionen, sprechen mit den Menschen und schreiben viel. Aber keine Prosa. "Weil die Realität bei uns viel stärker ist als Fiktion", sagt Kurkow.
In Russland, so Jerofejew, sei die Gesellschaft geteilt. Die Intellektuellen seien gegen den Krieg, gegen Putin, gegen die Krim-Annexion. Dennoch teilten sie nicht alle europäischen Werte, weil sie Europa wegen seines Verhaltens in diesem Konflikt Schwäche attestierten. Gespiegelt werde all das in der russischen Literatur und Publizistik nicht. Nur einige wenige russische Autoren wie Jerofejew oder Vladimir Sorkin blieben auf der Seite der Gerechtigkeit, sagt Andrej Kurkow. Aber sie seien eine Minderheit. Hunderte andere ließen sich vom Staat unterstützen und stützten im Gegenzug die Politik des Kreml. Frage am Victor Jerofejew: "Kehrt Putin jemals zum Liberalismus zurück?" Antwort: "Vielleicht, wenn er tot ist." Nachdenkliche Gesichter im Publikum. Viel Denkstoff, den es mitnimmt nach dieser Stunde.