1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Amanda Gorman: Heimlicher Star vorm Kapitol

Manasi Gopalakrishnan | Louisa Schaefer
21. Januar 2021

Wer ist die junge Poetin Amanda Gorman, die Joe Biden und Kamala Harris in Washington die Show stahl? Selbst der Auftritt von Lady Gaga verblasste dagegen.

https://p.dw.com/p/3oFmf
Amanda Gorman spricht ins Mikrofon bei Biden Amtseinführung, hinter ihr eine Treppe mit blau-rotem Teppich
Bis vor kurzem war sie noch eine Unbekannte. Jetzt spricht die Welt über Amanda GormanBild: Patrick Semansky/REUTERS

"Wenn es Tag wird, fragen wir uns/ wo wir Licht zu finden vermögen/ in diesem niemals endenden Schatten?/ Den Verlust, den wir tragen/ ein Meer, das wir durchqueren müssen./ Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt/ Wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet."

So lauten die ersten Zeilen des Gedichts "The Hill We Climb" (Der Hügel, den wir erklimmen), das die US-amerikanische Dichterin Amanda Gorman bei der feierlichen Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden und seiner Vize-Präsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 vortrug. 

Verse, die in die Geschichte eingehen

Die kraftvollen Verse und der emotional berührende Auftritt haben Gorman weltweit über Nacht ins Rampenlicht gerückt. Ihre Bücher stünden in den Bestsellerlisten von Amazon auf einmal ganz oben, stellte sie überrascht auf Twitter fest. Dabei sei es nicht einfach gewesen, diese Gedichtzeilen zu Papier zu bringen, bekannte Gorman gegenüber dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN.

Sie spiegeln die turbulenten Jahre der Präsidentschaft von Donald Trump wider: Die Proteste der Black Lives Matter-Bewegung ebenso wie die erschreckenden Vorkommnisse der letzten Wochen. Dieses Gedicht zu schreiben, sei "höchstwahrscheinlich das Wichtigste, was ich je in meiner Karriere tun werde", habe sie sich gesagt.

Um jedes Wort habe sie gekämpft, offenbarte sie der "New York Times". Mitten aus der intensiven Arbeit an ihren Zeilen sei sie am Nachmittag des 6. Januar plötzlich durch eine Eilmeldung über die Erstürmung des Kapitols durch radikale Trump-Anhänger herausgerissen worden. 

Auf der Suche nach Heilung

Noch in der Nacht vollendete Amanda Gorman ihr Gedicht. Und fasste das Unvorstellbare in Worte, das sich an diesem historischen Tag vor und im Kapitol abgespielt hatte: "Wir haben eine Macht gesehen/ die unsere Nation eher zerstören würde/ als sie zu heilen/ unser Land zu zerstören, wenn es dazu führe, Demokratie zu verzögern./Und dieser Versuch war fast erfolgreich./Doch auch wenn Demokratie von Zeit zu Zeit verzögert werden kann, kann sie niemals dauerhaft besiegt werden."

Ihr Ziel sei es gewesen, trotz der Vorfälle versöhnende Worte zu finden, die das Land wieder einen und den Riss durch die US-Gesellschaft heilen können, erklärte Gorman im Interview mit der New York Times. Dabei habe sie keinesfalls die harte politische Realität, der sich die USA in letzter Zeit habe stellen müssen, unter den Teppich kehren wollen.

Mit 22 Jahren ist Amanda Gorman die jüngste Dichterin, die je bei der Amtseinführung eines US-Präsidenten angetreten ist. Diese Ehre teilt sie mit berühmten Namen, wie dem Pulitzerpreisträger Robert Frost (1874-1963) oder der schwarzen Bürgerrechtlerin und berühmten Schriftstellerin Maya Angelou (1928-2014). Frost las seine Verse 1961 bei John F. Kennedys Inauguration vor, Angelou trug "On the Pulse of Morning" 1993 bei der feierlichen Zeremonie der Vereidigung von Bill Clinton vor.

Träume eines "schwarzen Mädchens"

Studiert hat Gorman an der Harvard University. Sie wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf, einer Lehrerin, die sie immer zu Großem ermutigt hat, wie sie erzählt. Auch ihr hat Amanda Gorman einen Vers gewidmet - mit ergreifenden Worten, die klar machen, wie hart der Kampf der Schwarzen in den USA ist, die wegen ihrer Hautfarben weniger Privilegien genießen. 

"Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit/ in der ein dünnes, schwarzes Mädchen/das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde/ davon träumen kann, Präsidentin zu werden/ nur um sich selbst in einer Situation zu finden, in der sie für einen vorträgt."

Kamala Harris winkt bei ihrer Inauguration
​​​​Kamala Harris ist die erste schwarze Frau, die als Vizepräsidentin der USA antrittBild: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

Wegen eines Sprachfehlers nahm Amanda als junges Mädchen an einem Kurs für Kreatives Schreiben teil. Auch Joe Biden hat nach eigener Aussage als Jugendlicher gestottert. Gorman schloss sich mit 14 Jahren einem ehrenamtlichem Verein namens "Write Girl" an, der bei jungen Mädchen gezielt ihre Kreativität und die Fähigkeit, sich gut auszudrücken, fördert.

Förderung von jungen Talenten

Der preisgekrönte Verein, der 2001 ins Leben gerufen wurde, bietet Mentoren-Programme an, veröffentlicht Anthologien, begleitet Gedichte-Workshops. Und er betreibt einen Blog für junge Leute, die sich zum Dichten berufen fühlen. 2013 ehrte die damalige First Lady Michelle Obama den Verein mit dem "National Arts and Humanities Youth Program Award".

Am 20. Januar 2021, dem Tag von Bidens Amtseinführung, war dieser Verein der Gastgeber einer virtuellen Party im Netz, bei der Ehrenamtler, Ehemalige und Teenager, die gerade an dem Programm teilnehmen, der Inaugurations-Zeremonie zuschauen konnten. "WriteGirl war für mein Leben enorm wichtig", so Gorman. "Dank ihrer Unterstützung konnte ich meinen Traum erfüllen, Schriftstellerin zu werden."Tatsächlich hat sich in den USA der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die Gedichte lesen, in letzter Zeit mehr als verdoppelt - so die Internetseite "Education Week" unter Berufung auf eine Umfrage des National Endowment for the Arts im Zeitraum 2012 bis 2017. Junge Erwachsene gehören offenbar zur herausgehobenen Zielgruppe der Gedichte-Leser. Und genau zu dieser Zeit ging Amanda Gorman als Jugendliche zur Schule.

Joe Biden und Kamala Harris auf den Treppenstufen des Kapitols mit ihren Partnern.
Ein Augenblick, auf den viele Amerikaner gewartet habenBild: David Tulis/AP/picture alliance

Die Lyrikerin Jane Hirschfield sagte der New York Times: "Wenn Poesie ein Rückzugsgebiet ist, bedeutet das, dass die Zeiten in Ordnung sind. Wenn die Zeiten schlimm sind, ist genau das der Moment, in dem Poesie gebraucht wird."

Leidenschaftlich für den Politikwechsel

Mit 16 Jahren gewann Amanda Gorman ihren ersten Lyrik-Preis und wurde zur "Los Angeles Youth Poet" gekürt. 2017 wurde sie von der US-Kongressbibliothek als "National Youth Poet Laureat" ausgezeichnet.

Im Gespräch mit der Internet-Platform Today.com erläuterte Gorman, dass sie sich mit großer Leidenschaft für soziale und politische Veränderungen in den USA einsetze. Sie habe das Gefühl, dass sie eine innere Verpflichtung spüre zu schreiben: "Ich muss mich öffentlich zu Wort melden, weil viel zu viele Menschen diese Möglichkeit nicht haben."

Die junge Harvard-Absolventin, die in Los Angeles geboren ist, habe sogar den Wunsch geäußert, eines Tages selbst für das Präsidentenamt zu kandidieren, wozu ihr die frühere US-Außenministerin und Senatorin Hillary Clinton auf Twitter gratulierte.Zum Werk von Amanda Gorman gehören der Gedichtband "The One for Whom Food Is Not Enough" - 2015 erschienen und längst vergriffen, das Poem "The Hill We Climb", aus dem sie am Inaugurationstag vorgetragen hat, sowie das Kinderbuch "Change Sings". Beide Titel werden im September 2021 erscheinen.

Ein denkwürdiger Auftritt

Amanda Gorman hat eine gigantische Fangemeinde in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter folgen der jungen Poetin mehr als eine Million Follower, 2,2 Millionen sind es auf Instagram, wo sie regelmäßig Fotos, motivierende Zitate und persönliche Gedanken zu aktuellen Ereignissen postet.

Der Tod des US-amerikanischen Schauspielers Chadwick Boseman ("Black Panther"), der mit 43 an einer Krebserkrankung starb, hat sie beispielsweise sehr beschäftigt. Oder auch die politischen Debatten rund um die Präsidentschaftswahlen in den USA.

Ihre Video-Posts erzielen Hunderttausende von Klicks, die Abonnenten-Zahlen ihres YouTube-Kanals gehen ebenfalls in die Hunderttausende. Und die Zahlen werden in den nächsten Tagen und Wochen vermutlich durch ihre plötzliche Berühmtheit weiter steigen.

Ihr Auftritt bei den Feierlichkeiten in Washington sorgte auch durch ihre Kleidung, ihren ausgesuchten Haarschmuck und die Accessoires, die sie trug, für Aufsehen. Ihren leuchtend gelben Mantel der Modemarke Prada habe sie aus Respekt vor der feministischen Haltung der Designerin Miuccia Prada gewählt.

Unterstützung von prominenter Seite

Die Idee, Amanda Gorman als Künstlerin zu der Feier vor dem Kapitol einzuladen, stammt von der First Lady, Jill Biden. Sie hatte die junge afroamerikanische Dichterin bei einer Video-Performance in der "Library of Congress" in Washington kennengelernt. Damals habe Jill Biden ihr große Komplimente für ihr hellgelbes Outfit gemacht, erzählt Gorman.

Ihre Ohrringe habe Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey für sie ausgewählt. Auch der afroamerikanischen Schriftstellerin Maya Angelou, die 1993 bei der Vereidigung von Bill Clinton aufgetreten sei, habe Winfrey damals Mantel und Handschuhe von Chanel geschickt.

Gormans Ring, den die TV-Kameras mehrmals in Nahaufnahme zeigten, symbolisiert einen eingesperrten Vogel - in Referenz auf Angelous berühmten Buchtitel "I Know Why the Caged Bird Sings" ("Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt").

In einem Interview mit dem US-Magazin "Vogue" erzählte Amanda Gorman auch, dass sie immer ihre eigene Symbolik in ihre Kleidung, ihre Frisur und ihren Schmuck einwebe. "Es ist wirklich besonders und mir auch sehr wichtig, diese feinen Nuancen von Subtext mitzuliefern, während ich ein Gedicht von mir vortrage."

Adaption: Suzanne Cords/ Heike Mund