Alzheimer-Diagnosen nicht früh genug
13. Juli 2014Deutsche Welle: Herr Professor Heneka, Sie machen sich heute noch auf den Weg nach Kopenhagen zur internationalen Alzheimer-Konferenz (vom 12.-17. Juli 2014). Kollegen von Ihnen am King's College in London haben vor zwei Tagen eine Studie veröffentlicht, die zehn Eiweiße aufzeigt, mit denen möglicherweise eine Alzheimer-Früherkennung möglich wäre. Was erwarten Sie von diesem Forschungsergebnis?
Michael Heneka: Zunächst wurde diese Arbeit mit einem sehr hohen technischen Aufwand durchgeführt und ist so einfach nicht an jedem Ort wiederholbar. Man muss bedenken, dass es viele ähnliche Ergebnisse gibt, die später bei einer zweiten Prüfung, mit einer anderen Untersuchungsgruppe, durchgefallen sind. Deshalb muss man bei solchen Ergebnissen zuerst einmal die Bestätigung in einer weiteren unabhängigen Studie abwarten.
Diese Studie zeigt, dass es Eiweiße im Blut gibt, die eine hohe Vorhersagekraft haben, ob bei einem Patienten, der leichte Gedächtnisstörungen hat, innerhalb des nächsten Jahres wahrscheinlich eine Alzheimer-Demenz eintreten wird, oder eben nicht.
Ist denn der Zeitraum von einem Jahres, in dem sich die Alzheimer-Demenz entwickelt, nicht sehr kurz?
Ja, und deswegen halte ich es nicht für einen wirklichen Frühtest. Wir wissen heute, dass die Alzheimer-Erkrankung vor der Diagnosestellung mindestens zwei bis drei Jahrzehnte lang bereits als pathologischer Prozess im Gehirn läuft. Zu dem Zeitpunkt, wenn die ersten Gedächtnisstörungen auftreten, sind möglicherweise schon die entscheidenden Fenster für eine wirklich wirksame Therapie verschlossen. Deshalb hat man mit dem Bluttest möglicherweise einen guten Test, um eine Alzheimer-Diagnose weiter abzusichern. Ob es uns tatsächlich in Therapieentscheidungen helfen wird, bezweifele ich.
Könnten Sie sich denn vorstellen, dass daraus irgendwann ein Test entsteht, der auch einen längeren Zeitraum erfasst?
Es gibt schon gute Tests und Untersuchungen über das Nervenwasser. Das wird durch eine relativ einfache Punktuation aus dem Duralsack in der Nähe der Wirbelsäule in Höhe des Beckens entnommen - weit weg von verwundbaren Strukturen.
Die Sicherheit in der Bluttest-Studie liegt bei 85 Prozent, da ist man bei der Untersuchung von Nervenwasser schon jetzt deutlich besser. Die Sicherheit liegt da gut zehn Prozent höher. Nervenwasser-Tests haben zudem einen Vorhersagewert von fünf bis zehn Jahren.
Und mit einem Bluttest klappt das nicht?
Aus dem Blut ist es sehr viel schwieriger, eine sichere Aussage zu treffen. Mindestens die Hälfte der Eiweiße aus dieser Studie haben etwas mit Entzündungen zu tun. Sie spielen sicherlich bei der Alzheimer-Demenz eine wichtige Rolle, aber sie werden auch durch andere Entzündungen beeinflusst, wie etwa einen Harnwegsinfekt oder eine Erkältung. Deshalb ist die sichere Diagnose so schwierig und deshalb müssen auch so viele Proteine kombiniert werden.
Man hätte natürlich gerne einen Wert aus dem Blut, den man möglichst früh bestimmen kann, um dann zu sagen: Dieser Patient ist einem Alzheimer-Risiko ausgesetzt. Diesen Test haben wir noch nicht, und es wird sicher noch eine Weile dauern, bis wir den finden werden. Denn im Blut sind so viele Dinge, die durch andere Organe und durch die Umwelt beeinflusst werden. Deshalb ist es schwierig, im Blut etwas zu finden, was für die Vorgänge im Gehirn spezifisch ist.
Hätte ein Bluttest nicht den Vorteil, dass er relativ einfach durchzuführen ist und damit auch große Untersuchungsgruppen leichter erfassen könnte?
Richtig, aber weil die Krankheitsmechanismen schon zehn, 20 oder 30 Jahre laufen, bevor es zu Gedächtnisdefiziten kommt, bräuchten wir viel frühere Tests. Selbst die Prognose von fünf oder zehn Jahren, die wir durch die Untersuchung des Hirnwassers haben, sind möglicherweise nicht ausreichend, um dann noch Therapien zu testen oder zu entwickeln.
Wir kennen eine ganze Reihe von Einflüssen aus dem mittleren Lebensabschnitt, die das Risiko erhöhen können, später eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Dazu gehören etwa Fettleibigkeit, reduzierte körperliche Aktivität, Hirntraumata, Bluthochdruck, Zucker, Rauchen. Das heißt, wir müssen schon zu diesem frühen Zeitpunkt mit den Mechanismen interagieren, die da am Werke sind und vor denen wir uns schützen müssen.
Gibt es denn Forschungsansätze, die 20 bis 30 Jahre im Blick haben?
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) plant eine Rheinland-Studie mit genau dem Ziel, Marker langfristig zu erheben. Diese Studie ist auf viele Jahrzehnte angelegt. Es gibt weltweit andere Bemühungen ähnlicher Art, zum Beispiel eine Studie, die retrospektiv Proben betrachtet, die man schon erhoben hat, von vorangegangenen Patientengenerationen. Da gibt es vielerlei Bemühungen und das DZNE ist an vorderster Front dabei - aber Gott sei dank nicht alleine.
Michael Heneka leitet die Abteilung für Klinische Neurowissenschaften des Klinischen Behandlungs- und Forschungszentrums am Universitätsklinikum Bonn. Der Neurologe ist am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) für Biomarkerforschung an der Arbeitsgruppe "Neuroinflammation" und für interventionelle klinische Studien verantwortlich.