Als ein Deutscher kurze Zeit Albanien regierte
15. Oktober 2013Im kalten Februar 1914 erhielt die kleine Stadt Neuwied ungewöhnlichen Besuch. Mit höchsten Ehren hieß sie eine Gesandtschaft aus dem fernen Albanien willkommen. Vertreter aller albanischen Stämme reisten an den Rhein, um hier im Residenzschloss einen Mann zu treffen: Wilhelm zu Wied. Dieser Deutsche, gerade 37 Jahre alt und Sprössling eines alten ehrwürdigen Adelsgeschlechts, sollte der neue Fürst von Albanien werden. Untertänig bat ihn der Anführer der Delegation um seine Einwilligung. "Ich nehme an!", soll Wilhelm gnädig zugestimmt haben. Albanien hatte damit einen deutschen Monarchen. Viel Freude sollte Wilhelm Friedrich Heinrich Prinz zu Wied, wie er mit vollem Namen hieß, jedoch nicht mit seinem neuen Fürstentum haben. Albanien war arm, heillos zerstritten und ein Spielball seiner Nachbarn.
Ein diplomatisches Geschacher
Erst im November 1912 hatten die Albaner ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erklärt. Der Balkan war zu dieser Zeit ein Pulverfass. Fast jeder Staat stellte territoriale Forderungen an seine Nachbarn. Insbesondere an dem neu gegründeten Albanien entzündeten sich Konflikte. Serbien begehrte einen Zugang zum Meer – aus ihrer Sicht lag Albanien im Weg. Russland unterstützte die Serben, Österreich-Ungarn wiederum wollte ein serbisches Vorpreschen verhindern. Im Norden Albaniens standen Truppen Montenegros, im Süden griechische Soldaten. Die sechs europäischen Großmächte, bestehend aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien und Russland, stellten den neuen Staat schließlich unter ihren Schutz – ohne sich selbst einig zu sein, welche Grenzen er tatsächlich haben sollte.
Ein albanischer Fürst musste her, um Ordnung herzustellen. Darauf hatten sich die europäischen Großmächte schnell verständigt. Die Kandidatensuche indes erwies sich als beschwerlich. Ein Albaner durfte es auf keinen Fall sein, keiner der Stämme hätte einen Fürsten aus einem anderen Verband akzeptiert. Ein Muslim, Katholik oder orthodoxer Christ kam ebenfalls nicht in Frage – die anderen albanischen Religionsgruppen hätten sich brüskiert gefühlt. Ein Kandidat aus einem Staat, der eigene Interessen in Albanien hegte, war ebenfalls unmöglich, also beispielsweise kein Russe, Serbe, Österreicher oder Grieche.
Der Vorschlag der Tante
Der erlösende Vorschlag kam aus Rumänien. Die dortige Königin schlug ihren Neffen vor: Wilhelm zu Wied. Eine nach außen hin perfekte Wahl: Wilhelm war Protestant und Deutschland hegte keine Interessen in Albanien. Im März 1914 erreichte der neue Fürst Albaniens schließlich sein Reich, eskortiert von österreichischen, britischen, italienischen und französischen Kriegsschiffen. Jeder sollte wissen, dass hinter Wied die Macht der europäischen Großmächte stand. In der Hafenstadt Durrës ging Wilhelm an Land und wurde freudig begrüßt. Vielleicht hatte der neue Fürst von Albanien dabei die ermahnenden Worte seines Großonkels im Ohr. Kaiser Wilhelm II. soll ihn gewarnt haben: "Dass du mir ja nicht auf den Unsinn mit Albanien hereinfällst!"
Wilhelm fiel darauf rein. In Durrës residierte der Monarch in einer ehemaligen osmanischen Kaserne mit seiner Frau und den Kindern. Viel weiter als über die Stadtgrenzen reichte seine Macht allerdings nicht. Überall im Land waren ausländische Truppen unterwegs, die ganze Teile unsicher machten. Außerdem gab es nichts, womit Wilhelm hätte regieren können. Kaum Verwaltung, fast keine Verkehrswege. "Alles, aber auch alles, was ein Staat benötigt, musste neu, fast aus dem Nichts geschaffen werden", beklagte er sich später. Zudem war Wilhelm Offizier, wie man ein Land regierte, hatte er nie gelernt. Die albanische Gesellschaft war tief gespalten, zwischen Christen und Muslimen, Nord- und Südalbanern und zerteilt in viele Stämme.
König ohne Land
Aufstände erschütterten bald das Land, und eine tatkräftige Unterstützung von den Großmächten – obgleich dem neuen Fürsten versprochen – blieb aus. Als im Juni 1914 der österreichisch-ungarische Thronfolger und seine Frau in Sarajevo ermordet wurden, begann der Anfang vom Ende – nicht nur für Wied und nicht allein auf dem Balkan. Im August brach der Erste Weltkrieg aus. Die Großmächte zerrten an dem albanischen Fürsten. Die Österreicher wollten, dass er die verfeindeten Serben angriff, die Italiener wollten sich die albanische Küste einverleiben. Dabei hatten die europäischen Mächte einst die albanische Neutralität vereinbart. Wied wurde monatelang in seiner Hauptstadt Durrës von Aufständischen belagert.
Unter Salutschüssen verließ Wilhelm am 3. September 1914 Albanien – in Paradeuniform auf einem italienischen Kriegsschiff. Er gehe, um für Deutschland "das Schwert zu ziehen", ließ er erklären. Albanien ging im Chaos unter, griechische, italienische, bulgarische, österreichische, serbische, montenegrinische und französische Armeen besetzten das Land – tausende Albaner starben. Wilhelm zu Wied kämpfte im Ersten Weltkrieg und trauerte seinem Thron hinterher. Nicht einmal 200 Tage hatte er Albanien regiert.