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Alleingelassen auf Kos

Andrés Caballero / nm17. August 2015

Die griechische Insel Kos trifft die steigende Flüchtlingszahl unvorbereitet. Die Behörden tun bisher wenig und die Situation spitzt sich zu. Die Menschen sind auf sich gestellt, wie Andrés Caballero berichtet.

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Flüchtlingsdrama Kos Griechenland
Bild: DWA. Caballero

Knapp 1000 Flüchtlinge drängen sich vor den Hafen-Toren in Kos in der Nacht von Sonntag auf Montag. Sie alle hoffen, auf das Fährschiff "Eleftheros Venizelos" zu gelangen. Dort werden seit kurzem Flüchtlinge registriert und bekommen einen Platz zum Schlafen. Fast alle sind aus der Türkei mit Schlauchbooten über die Ägäis gekommen. Einige warten bereits mehr als 20 Tage auf der Insel. Sie schlafen in Zelten entlang der Küste oder im Freien unter Bäumen - die Nahrungsmittel und das Trinkwasser sind knapp, Zugang zu Toiletten gibt es keinen.

"Wir arbeiten mit den lokalen Behörden zusammen, um einen Ort zu finden, wo wir die Menschen in unseren Zelten unterbringen können. Aber dafür müssen wir zuerst die Behörden überzeugen", sagt Roberto Mignone, Notfall-Koordinator des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Die Behörden und das UNHCR-Personal sind bemüht, das Drängeln und Schubsen vor den Toren des Hafens zu unterbinden. Eine Frau in der Menge drückt ihr Baby schützend an sich. Die Spannungen haben zugenommen, seit die Regierung bekanntgegeben hat, dass nur Menschen aus Syrien auf das Schiff gelassen werden.

Syrer haben Vortritt

Mariah ist 25 Jahre alt. Sie kommt aus Afghanistan und will ihren Nachnamen nicht nennen. Vor zwei Wochen hat sie Kos erreicht. Doch die notwendigen Papiere um weiterzukommen fehlen ihr. Sie hofft, sich nach Deutschland oder Schweden durchschlagen zu können. "Ich lebe auf der Straße in einem Garten. Nachts habe ich Angst. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich habe kein Geld und keine sichere Unterkunft." Mariah steht neben dem Hafen-Tor, entmutigt, mit ihren wenigen Habseligkeiten und ihrer siebenjährigen Tochter. Die Syrer ziehen an ihr vorbei in Richtung des beleuchteten Schiffs, in das bis zu 2500 Menschen passen sollen.

Flüchtlingsdrama Kos Griechenland
Die griechische Regierung hat die "Eleftheros Venizelos" gechartert, um Flüchtlinge unterzubringenBild: DWA. Caballero

Wie auch viele andere griechische Inseln ist Kos mit seinen 30.000 Einwohnern von den ankommenden Flüchtlingen überfordert. Mehr als 7000 Menschen sind allein im Juli hier gelandet. Und Griechenland steckt selbst in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Nach Angaben von Behörden verzeichnet das Land seit Januar 156.726 Neuankömmlinge, die die Reise über das Meer nach Griechenland gewagt haben.

Neben dem Krieg in Syrien hat auch die Jahreszeit Einfluss auf die steigenden Flüchtlingszahlen: Das Meer ist in den Sommermonaten meist deutlich ruhiger und die kleinen Boote können dementsprechend leichter übersetzen.

Unvorhersehbare Spannungen

In der vergangenen Woche kam es bereits zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in einem Fußball-Stadion, nachdem Menschen stundenlang ohne Wasser und Nahrung in der Sonne gewartet hatten, um an ihre Einwanderungs-Papiere zu kommen. Die Polizei sperrte das Stadion mit mehr als 1000 Flüchtlingen daraufhin für 24 Stunden ab und versuchte, mit Schlagstöcken und Feuerlöschern für Ordnung zu sorgen. Vier Tage später kam es vor der Polizeistation von Kos zu Streitigkeiten zwischen 50 Migranten aus Afghanistan, Iran und Pakistan.

Flüchtlingsdrama Kos Griechenland
Die Schlange zur "Eleftheros Venizelos" zieht sich bis auf die StraßeBild: DWA. Caballero

Der Athener Wirtschaftsexperte und politische Analyst Yannis Koutsomitis merkt an, dass die griechische Regierung nicht auf die Ankunft so vieler Flüchtlinge vorbereitet sei. "Es gibt keine Infrastruktur, um die Einwanderungsanträge zu bearbeiten, die Polizei ist unterbesetzt, und es gibt keinen Plan, wie die Flüchtlinge transportiert werden sollen", so Koutsomitis. So fehlen immer noch offizielle Aufnahmelager und Flüchtlingscamps für die Neuankömmlinge, obwohl die Regierung seit längerem darüber spricht. Mehr Hilfe für Griechenland sei jedoch auf dem Weg, sagt Roberto Mignone vom UNHCR: "Das ist auch nötig, denn die Situation wird immer schwieriger."

Suche nach einer Lösung

Zwei Stunden später hat sich die Situation an den Toren des größten Hafens von Kos etwas entspannt. Die syrischen Flüchtlinge sitzen in einer Reihe auf dem Boden und warten mitten in der Nacht auf ihre Registrierung. Ungefähr 1000 Menschen sind bereits an Bord des Schiffes. Vergangene Woche hatte der Bürgermeister von Kos, Giorgis Krystis, angekündigt, dass das Schiff kein temporäres Flüchtlingscamp werden soll und deshalb auch nicht länger als zwei Wochen im Hafen bleiben wird.

Flüchtlingsdrama Kos Griechenland
Flüchtlingszelte am Strand von Kos direkt vor der PolizeistationBild: DWA. Caballero

An der Promenade von Kos arbeitet Angel in einem Restaurant. Auch er will seinen Nachnamen nicht nennen. Vom Restaurant aus kann Angel die kleinen Feldlager der Flüchtlinge sehen. "Die Situation ist schlecht - für sie und für uns", sagt er. "Touristen haben mittlerweile Angst, hier nachts vorbeizukommen. Sie wollen die Menschen in diesem Zustand nicht sehen. Auch ich habe Angst, hier nachts spazieren zu gehen", fügt er hinzu. Tatsächlich befürchten einige Anwohner, dass sich die wachsende Zahl von Flüchtlingen negativ auf die Tourismus-Saison auswirken könnte.

"Wir würden das Gleiche tun"

"Wenn so viele Menschen auf so einer kleinen Insel ankommen, ist es selbstverständlich, dass die Stimmung kippen kann", sagt Daniel Esdras, der das Athener Büro der Internationalen Organisation für Migration leitet. "Am Anfang waren die Menschen sehr freundlich, nun wird es für sie langsam anstrengend."

Der schottische Urlauber Alan Davidson nippt an seinem Cocktail an einer Bar und schaut in Richtung Promenade, wo etliche Flüchtlinge ihre Zelte aufgeschlagen haben. "Diese Menschen haben offensichtlich große Probleme in ihren Ländern", meint der Schotte. "Ich verstehe, warum Einheimische und Touristen traurig werden, wenn sie die Lebensumstände der Flüchtlinge hier sehen. Diese Menschen sind aus ihren Ländern geflohen, um für ihre Familien zu sorgen. Wären wir an ihrer Stelle, wir würden das Gleiche tun."