Alexander Kluge zurück im Kino: "Happy Lamento"
21. Juni 2019Angesichts der vielen Arbeiten Kluges für die große und die kleine Leinwand kommt selbst die vom Weltkonzern "Amazon" betriebene "Internet Movie Database" (IMDb) offenbar nicht mehr mit. Und das will was heißen. Die globale Datenbank zu Filmen, die im digitalen Zeitalter in den letzten Jahren zum wichtigsten Nachschlagewerk für Filme und Filmemacher geworden ist, weil sie akribisch wirklich alles und alle aufzählt und listet, die in der Welt des Kinos und des Films arbeiten, streckt offenbar beiAlexander Kluge die Waffen.
"Happy Lamento" läuft in den deutschen Kinos - schon das grenzt an ein Wunder
Dessen neuester Film"Happy Lamento", 2018 beim Filmfest in Venedig uraufgeführt, ist bei IMDb nicht verzeichnet. Doch es gibt ihn, den Film, der am Lido vor großem Publikum aufgeführt wurde, dann in Hamburg beim Filmfest lief und nun tatsächlich in die deutschen Kinos kommt. Doch was heißt das schon? "Happy Lamento" wird in ein paar deutschen Lichtspielhäusern starten, so wie in Venedig und Hamburg wird er auf ein paar Eingeweihte und neugierige Enthusiasten treffen - und selbst die möglicherweise irritieren.
"Happy Lamento" ist ein Essay-Film, der so assoziativ montiert und geschnitten ist, der so viele Verweise und gedankliche Schnipsel miteinander vereint, dass einem beim Hören und Sehen ganz schwindelig werden kann. Ist das Hochkultur? Oder schon wieder Mainstream?
Kluge hat in seinem Film mit dem jungen, wilden philippinischen Regisseur Khavn De La Cruz zusammengearbeitet und Musik und Bildmontage so exzessiv kombiniert, dass man sich "Happy Lamento" auch gut irgendwo in einem wilden Tanz-Schuppen als Hintergrund-Loop auf großer Leinwand vorstellen kann. Wie schafft es Kluge überhaupt mit einem solchen Film in eine Kinolandschaft zwischen amerikanische Superhelden-Blockbuster und europäische Arthaus-Filme? Auch das ist eine interessante Frage.
In den 1960er Jahren revolutionierte Kluge das deutsche Kino
Doch zunächst einmal zurück zu Alexander Kluge. Kennt den ein junges Publikum überhaupt noch? Eigentlich zählt der 1932 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) geborene Kluge zu den ganz großen Namen in der deutschen Kulturlandschaft vom Range eines Gerhard Richter und Martin Walser. 1962 war der studierte Jurist einer der Hauptinitiatoren des berühmten Oberhausener Manifests, einer Streitschrift, die das alte deutsche Kino der Nachkriegszeit aus den Angeln hob. Sie wurde anlässlich der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen bei einer Pressekonferenz mit dem Titel "Papas Kino ist tot" vorgelegt, 26 Filmemacher hatten unterzeichnet.
Zwei Löwen für Alexander Kluge bei den Festspielen in Venedig
Formal und inhaltlich wurde der bundesdeutsche Film damals wiedergeboren. Kluge selbst gehörte neben Jung-Regisseuren wie Edgar Reitz, Volker Schlöndorff, Werner Herzog und Rainer Werner Fassbinder in den folgenden Jahren zu den Erneuerern des hiesigen Films. 1966 und 1968 holte Kluge bei den Festspielen in Venedig Silberne und Goldene Löwen für seine Filme. Titel wie "Abschied von Gestern" und "Artisten in der Zirkuskuppel" wurden zu entscheidenden Wegmarken im neuen Kino der Bundesrepublik.
Es waren im wahrsten Sinne des Wortes kluge Filme über Menschen im Hier und Jetzt der Nachkriegsrepublik, immer auf der Schneide zwischen Spielfilm und Dokumentation. Formale Grenzen und Genre-Einordnungen waren Alexander Kluges Sache noch nie - experimentell und assoziativ fielen seine Werke schon immer aus.
Das Filmemachen trat dann für den rastlosen Künstler irgendwann in den Hintergrund, das Schreiben und später das Arbeiten fürs Medium Fernsehen wurden zur Hauptbeschäftigung. Und auch auf diesen beiden Gebieten darf man mit Fug und Recht behaupten, dass Kluge zu den prägenden Gestalten im deutschen Kulturleben gehörte.
Auch als Schriftsteller ist Alexander Kluge hochgeehrt
Es gibt wohl keinen wichtigen Literaturpreis, den er für seine Romane, Erzählungen und Essay-Bände nicht erhalten hat, vom Georg Büchner-Preis über den Kleist-Preis bis hin zum Fontane- und Heinrich Böll-Preis: Kluge wurde so oft auf dem Parkett der Literatur geehrt, dass manche Experten zeitweise nicht mehr in Erinnerung gehabt haben, dass dieser Herr einmal als Filmemacher berühmt geworden war und für die erwachende Kino-Nachkriegs-Nation (West-)Deutschland stand.
Doch der Welt der bewegten Bilder näherte sich der umtriebige Kulturmensch Mitte der 1980er Jahre wieder, als in Deutschland das Privatfernsehen Fuß fasste und der Gesetzgeber wollte, dass auch die neuen, kommerziellen Sender ein paar Stunden anspruchsvolles Programm in der Woche sendeten. Kluge nutzte die Vorgabe und etablierte sich als einer der wichtigsten Player mit experimentellen Kulturmagazinen, die oft zu nachtschlafender Zeit die Konsumenten in Staunen versetzte.
Kluge zeigte sich allen kulturellen Ausspielwegen aufgeschlossen
Dass Alexander Kluges Werk heute in den Buchhandlungen und Bibliotheken ebenso zu finden ist wie in den Medienkaufhäusern und im Internet, versteht sich somit fast von selbst. Kluge hat fast alle kulturellen Ausspielwege genutzt - und ist doch, trotz aller öffentlichen Ehrungen, ein Außenseiter geblieben.
Warum das so ist, wird einmal mehr deutlich, wenn man sich den neuen Film des mittlerweile 87-jährigen Künstlers ansieht. Lassen wir Kluge selbst zu Wort kommen: "Dies ist ein Autoren-Film - wie die Filme, die ich in der Vergangenheit gemacht habe", umschreibt der Regisseur sein neuestes Werk: "Gleichzeitig zeigt der Film den außergewöhnlichen jungen Regisseur Khavn De La Cruz aus Manila mit seiner Arbeit 'Alipato - The Very Brief Life of an Ember'. Dies zusammengenommen, ist als Resultat ein Musik-Film der besonderen Art. Im Grunde genommen geht es bei diesem Film um elektrisches Licht, den Zirkus, den Song 'Blue Moon' und Straßenkämpfe unter Kinderbanden im Norden Manilas - mit einer Wildheit, die normalerweise westlichen Augen nicht zugänglich ist."
Elektrifizierung, Zirkusleben, Straßenkämpfe: "Happy Lamento" ist ein wildes Gemisch aus Dokumentar-Szenen und Spielfilm-Schnipseln (die meist von Khavn De La Cruz stammen), aus Bildern, Fotos und animierten Sequenzen, aus Musik und Geräusch-Experimenten, Texttafeln und Zwischentiteln: eine orgiastische Bilderflut, die nicht selten auch noch im Splitscreen-Verfahren daherkommt, eine Bilderexplosion, der man als Betrachter nur hinterherhasten kann.
Kundige Betrachter werden ein paar Gedankengänge Kluges nachvollziehen können, es geht um Globalisierung und Medien, um Religion und Wirklichkeit und News und Fake-News und vieles mehr.
Viele Zuschauer dürften überfordert sein und das Kino ratlos verlassen. Kluges Filme sind moderne Kunst, abstrakt und auf den ersten (und vielleicht auch zweiten Blick) rätselhaft bis zur Unverständlichkeit.
"Happy Lamento" ist ein intellektuelle Herausforderung für jeden Zuschauer
Doch im Unterschied zur bildenden Kunst, bei der der Betrachter ein Bild, eine Skulptur oder Installation im Vorübergehen betrachtet und das Objekt nach ein paar Minuten (oder Sekunden) an sich vorbeiziehen lassen kann, ist der Kinozuschauer gebunden.
"Happy Lamento" dauert 90 Minuten und man sitzt in einem dunklen, schwarzen Kino-Raum, den man normalerweise nicht verlässt, bis die Schlusstitel an einem vorüberziehen. Das ist eine Herausforderung im rasend schnellen, digitalen Zeitalter im Jahre 2019.