1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Al-Sisi will "religiösen Diskurs" korrigieren

Elisabeth Lehmann, Kairo5. Juli 2014

Die neue ägyptische Führung wirft den Muslimbrüdern vor, die Religion politisch instrumentalisiert zu haben. Nun soll die "islamische Moral" wiederhergestellt werden: Zum Beispiel mit Alkohol- und Redeverboten.

https://p.dw.com/p/1CVqA
Die Hussein-Moschee in Kairo (Foto: DW)
Die Hussein-Moschee in KairoBild: DW/A. Hamdy

Der große Markt in Kairo, Khan Khalili, um drei Uhr morgens: In jeder Gasse sitzen Menschen auf dem Boden, sie haben große Tücher ausgebreitet, auf denen silberne Schalen mit traditionellen ägyptischen Gerichten stehen: Falafel, Foul, Auberginen, gekochte Eier. Männer, Frauen und Kinder schlingen ihr Essen hastig hinunter, denn der Ruf des Muezzins ertönt schon aus der Hussein-Moschee: Das Zeichen, zum Ende zu kommen. "Sohour" ist die letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang. Danach ist während des Ramadan bis zum Abend wieder Fasten angesagt. Die Stimmung ist fröhlich, doch die Menschen sind in diesen Tagen leicht reizbar: Ein Streit über die Preise bricht aus. Die Umstehenden schlichten ihn.

Der Ramadan kann anstrengend sein - nicht nur für gläubige Muslime. Samaa ist Atheistin und möchte ihren richtigen Namen nicht nennen. Ob jemand fastet oder nicht, ist eigentlich eine ganz persönliche Entscheidung - und trotzdem ist der Ramadan auch für sie Pflicht. Der Staat will es so: "Ich respektiere den Ramadan als eine Art Festival, er hat keine religiöse Bedeutung für mich", sagt Samaa. "Aber ich bin genervt, dass ich zum Beispiel keinen Alkohol bekomme in Bars, weil ich Ägypterin bin." Dabei spiele es keine Rolle, ob sie Christin, Muslima oder Atheistin sei. Es gehe einzig und allein um ihren Pass.

Kein Alkohol für Ägypter

Gamal, der Kellner in einer beliebten Bar in der Kairoer Innenstadt, bestätigt das. Auch er nennt seinen ganzen Namen lieber nicht - schließlich wolle er noch eine Weile hier arbeiten. "Vor Ramadan hat die Polizei Zettel ausgeteilt, auf denen stand, dass wir keinen Alkohol an Ägypter ausschenken dürfen. Wenn wir es doch tun und erwischt werden, müssen wir Strafe zahlen." Für Araber und Europäer gelte diese Regelung nicht - unabhängig von deren Religion.

Demonstranten mit ägyptischen Fahnen protestieren gegen die Absetzung von Mohammed Mursi (Foto: Reuters)
Anhänger des abgesetzten Präsidenten Mursi protestieren in KairoBild: Reuters

Der neue ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi wirft den Muslimbrüdern vor, die religiöse Moral im Land geschädigt zu haben - und möchte dem entgegenwirken. Die strikten Regeln gelten dabei nicht nur für den Umgang mit Alkohol, sondern auch mit Worten. Pünktlich zum Beginn des Fastenmonats Ramadan hat der Religionsminister Mohamad Mokhtar Gomaa die Themenvielfalt für Predigten massiv eingeschränkt. Alle Inhalte außer Glaube und Moral sind tabu. "Die religiöse Rede wurde in der Vergangenheit politisch missbraucht. Es gab nicht mehr genug Raum für Moral, Glaubens- oder Bildungsaspekte", so die Begründung des Ministers. Die Maßnahmen seien nötig, um die religiöse Moral wiederherzustellen.

Politik ist in Moscheen tabu

Die Moscheen galten lange als letzter Rückzugsraum für die Muslimbrüder und ihre Anhänger. Damit soll nun Schluss sein. Vorsorglich wurden seit vergangener Woche schon einmal 42.000 Prediger mit einem Redeverbot belegt.

Das alles geschieht auf Geheiß des neuen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. In seiner Rede zum ersten Jahrestag der Absetzung seines Vorgängers Mohammed Mursi am 30. Juni hatte er angekündigt, "den religiösen Diskurs im Land zu korrigieren". Der Islam sei von den Muslimbrüdern instrumentalisiert worden. Al-Sisi sieht sich in der Rolle des Retters der Religion: "Die Geschichte wird sagen, dass Ägypten den Arabismus beschützt und den Islam bewahrt hat vor Intrigen gegen die arabischen Nationen, gegen die Einheit ihrer Menschen." Ägypten lasse nicht zu, dass der Islam diffamiert werde, indem er mit Gewalt und Terrorismus verbunden wird, so der neue ägyptische Präsident.

Abdel Fattah al-Sisi, der neue ägyptische Präsident (Foto: dpa)
Al-Sisi: Ägypten lasse nicht zu, dass der Islam diffamiert werdeBild: picture-alliance/dpa

Al-Sisi spielt auf die Bombenanschläge und Demonstrationen an, die seit dem Sturz der Muslimbrüder zum Alltag in Ägypten gehören. Am Donnerstag (03.07.2014) ist bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten wieder ein Mensch gestorben, Dutzende wurden verletzt, Hunderte festgenommen.

Angst, kein guter Muslim zu sein

"Die Leute auf der Straße haben Angst, dass ihnen vorgeworfen wird, sie seien gegen den Islam, vor allem nach dem Sturz der Muslimbrüder", sagt die Atheistin Samaa. Sie akzeptiere die Maßnahmen des Staates, mit denen bewiesen werden solle, dass die Ägypter zwar gegen die Muslimbrüder, aber für den Islam seien.

Dabei bezeichnen sich die meisten Ägypter ohnehin als gläubige Muslime. "Aus Respekt vor der Religion" hält sich auch der Kellner Gamal an das Alkoholverbot für Ägypter: "Wer trinken will, kann das tun, aber dann bitte zu Hause."