Aktivisten fordern weiteren Druck auf Iran
8. Februar 2021"In den letzten vier Jahren ist viel passiert. Der Iran ist nicht mehr das Land, mit dem die Obama-Regierung das Atomabkommen unterzeichnet hat", sagt die Menschenrechtsanwältin Shadi Sadr im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die 47-jährige Anwältin arbeitet als Exekutivdirektorin für die in London ansässige NGO "Gerechtigkeit für den Iran" (JFI), die Menschenrechtsverletzungen im Iran dokumentiert. Sadr gehört zu den Menschenrechtsaktivisten, die gegen die Rückkehr der USA zum Atomabkommen mit dem Iran sind. Im Gegenteil: Diese Gruppe appelliert an die US-Regierung, sie solle die Sanktionen gegen den Iran nicht aufheben.
Zuerst müssten die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran zur Rechenschaft gezogen werden, lautet die Forderung. Zum Beispiel diejenigen, die die landesweiten Proteste im November 2019 blutig niederschlagen ließen. Shadi Sadr sammelt noch immer Dokumente mit Hinweisen auf die Identität der getöteten Demonstranten und die Umstände ihres Todes. Während der ersten fünf Tage der Proteste wurden laut Amnesty International mindesten 304 Demonstranten getötet, meistens durch Schüsse auf den Oberkörper oder auf den Kopf. Mindestens 23 der Getöteten waren unter 18 Jahren alt.
Schwere Kritik an Regierung Rohani
Zuvor hatte die Regierung unter dem Druck der US-Sanktionen und mitten in der Wirtschaftskrise über Nacht die Subventionen für den Benzinpreis gekürzt und damit die schwersten Unruhen der letzten 40 Jahre im Iran ausgelöst. Der gesellschaftliche Hintergrund ist dieser: Während eine kleine Schicht von wohlhabenden, gut mit der Politik vernetzten Iranern vom florierenden Schwarzmarkt im Schatten der US-Sanktionen profitiert, verarmen die mittleren und unteren Schichten der iranischen Gesellschaft.
Menschenrechtsaktivisten wie Shadi Sadr legen der Regierung von Präsident Rohani, der 2017 wiedergewählt wurde, nicht nur das unverhältnismäßige Vorgehen gegen die Proteste von 2019 zur Last. Vielmehr habe sich während seiner Amtszeit die willkürliche Unterdrückung und Verhaftung von Frauen- und Studentenaktivisten, Journalisten, Kritikern und Vertretern von ethnischen Minderheiten verschärft.
Hinzu kommt die politische Geiselnahme ausländischer Staatsangehöriger bzw. solcher mit doppelter Staatsangehörigkeit. Nicht nur US-Bürger, sondern auch Staatsangehörige der drei europäischen Vertragspartner des Atomabkommens sind im Iran inhaftiert. Mindestens vier Deutsche sollen in den vergangenen Monaten im Iran verhaftet worden sein. "Mit so einem Land kann man doch nicht am Verhandlungstisch sitzen", stellt Shadi Sadr fest.
Debatte über Druck von außen
"Die religiöse Herrschaft im Iran ist kurz vor dem Umkippen", heißt es in einem offenen Brief von 38 Aktivisten aus dem Iran an US-Präsident Joe Biden, der vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde. Sie fordern den US-Präsidenten auf, den maximalen politischen, diplomatischen und finanziellen Druck auf die Islamische Republik aufrechtzuerhalten und sich für die Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran einzusetzen.
Der Brief hat eine kontroverse Debatte in iranischen sozialen Netzwerken ausgelöst. Vor allem Aktivisten von außerhalb des Landes bezeichnen die Unterzeichner als mutige Helden, die sich nicht einschüchtern lassen und die Wahrheit aussprechen. Unter den Brief an Biden haben namhafte Aktivisten ihre Unterschrift gesetzt, die lange Haftstrafen hinter sich haben. Andere wieder sind gegen jede Einmischung von außen im Iran. Hosein Mousavian, Generalsekretär der ältesten iranischen Partei "Nationale Front", bezeichnet den Brief als Landesverrat. "Die iranische Nation wird diesem System ein Ende setzten. Dafür brauchen wir nicht die USA"
Tatsächlich hat die Opposition es bislang nicht geschafft, sich zu organisieren, eine Alternative anzubieten und den vorhandenen Druck zu kanalisieren. Umstritten ist auch die Wahrnehmung, dass das politische System im Iran tatsächlich auf der Kippe stehe.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger steht ein von außen erzwungener Systemwechsel im Iran nicht auf der Agenda des neuen US-Präsidenten Biden. Seine Entscheidung, den Nahostexperten Robert Malley zum Iranbeauftragten zu ernennen, zeigt, dass Biden einen neuen Kurs in der Iran-Politik einleiten will. Malley, der die vergangenen drei Jahre die Denkfabrik International Crisis Group (ICG) leitete, hatte unter Barack Obama für die USA die Verhandlungen über Irans Atomprogramm geführt, die 2015 in der Wiener Atomvereinbarung gipfelten.
Gemeinsame Strategie gesucht
Oberste Priorität Washingtons habe die "eskalierende Nuklearkrise" mit der Islamischen Republik, sagte der neue nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan am Donnerstag. Präsident Biden setze in der Außenpolitik auf Diplomatie und Stärke, betonte Sullivan. Die Regierung führe bereits Gespräche mit anderen Mitgliedern des Atomabkommens, insbesondere wolle man sich um eine gemeinsame Position mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland bemühen.
Die drei europäischen Vertragspartner halten nach wie vor an dem Atomabkommen mit dem Iran fest. Aber vor den Menschenrechtsverletzungen im Iran dürfe die EU ihre Augen nicht verschließen, sagt der iranisch-stämmige Bundestagsabgeordnete Bijan Djir-Sarai von der FDP. "Die EU muss sich künftig deutlich mehr mit den Menschenrechten im Iran beschäftigen", schreibt Djir-Sarai auf Anfrage der Deutschen Welle. Der Obmann der FDP im Auswärtigen Ausschuss setzt dabei auf personenbezogene Sanktionen. "Nicht ein ganzes Land bestrafen, sondern die Personen bestrafen, die konkret für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Personenbezogene Sanktionen als Instrument könnte die Politik der Europäischen Union gegenüber der Islamischen Republik ergänzen."