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PolitikAsien

Keine Verantwortung, keine Reue

8. Januar 2021

Irans Revolutionsgarden schreiben den Tod von 176 Menschen vor einem Jahr noch immer den USA zu. Dabei hatten sie ihre Schuld längst eingeräumt.

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Iran Gedenken Abschuss ukrainisches Flugzeug
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Noroozi

Noch immer weigert sich der Iran, die volle Verantwortung für den Abschuss einer ukrainischen Verkehrsmaschine zu übernehmen. "Schuld an dem Flugzeugabsturz waren die USA", erklärten die iranische Revolutionsgarden kurz vor dem Jahrestag. "Dieser bittere Unfall ist auf Grund des unmenschlichen und terroristischen Verhaltens der USA in der Region geschehen. Wir werden uns rächen", heißt es weiter in der Erklärung.

Davon, dass die Katastrophe tatsächlich durch technisches und menschliches Versagen der Revolutionsgarden geschah - was sie, wenn auch mit Verspätung, längst zugegeben hatten - ist nicht mehr die Rede. 

Chronik einer Katastrophe

Am 8. Januar 2020 war ein Passagierflugzeug der Fluggesellschaft "Ukraine International" mit 176 Menschen an Bord kurz nach dem Start in Teheran abgestürzt, unter den Opfern waren 147 Iraner.

Nur wenige Stunden zuvor hatte der Iran einen Raketenangriff auf US-Stellungen im Irak ausgeführt, als Vergeltung für die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch eine US-Drohne in Bagdad wenige Tage zuvor. Der Flugzeugabsturz wurde von den iranischen Behörden sofort und einstimmig als "Unfall" bezeichnet. Später wird bekannt: Von Anfang an wussten die Behörden, dass die Luftabwehr der iranischen Revolutionsgarden das Flugzeug abgeschossen hat, als Folge einer Fehleinschätzung. 

Ungeachtet der Flugzeugkatastrophe feierte die iranische Führung den Angriff auf die US-Stützpunkte in allen Kanälen des Staatsfernsehens. Dass sie die USA zuvor gewarnt hatten, so dass diese ihre Soldaten aus den Zielorten abziehen konnten, meldeten am nächsten Tag US-Medien. Dass der Iran seinen Luftraum trotz der angespannten Lage nach dem Angriff auf US-Ziele im Irak nicht sperrte, gehört zur Kette der Fehlentscheidungen, die zu der Katastrophe geführt haben.

Ein Handy-Video bringt die Wahrheit ans Licht

Nach dem Absturz des Flugzeugs tauchte in sozialen Netzwerken ein Video auf: Darin ist zu sehen, wie eine Rakete das Flugzeug trifft. Das Video hatte ein Wachmann in einer Industrieanlage in Süden von Teheran mit seinem Smartphone aufgenommen. Der Wachmann ist bis heute spurlos verschwunden. 

Die „New York Times" bestätigte die Echtheit des Videos und verbreitete es weiter, internationale Medien griffen das Thema auf. Im Iran aber vertraten die Medien tagelang weiter einstimmig die Position der Regierung und verbreiteten falsche und irreführende Geschichten über den Abschuss der ukrainischen Verkehrsmaschine. 

Doch der Druck auf die iranische Regierung stieg weiter. Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau teilte mit, Satellitenbilder zu besitzen, die zeigten, dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde. Dies könne durchaus versehentlich geschehen sein, sagte Trudeau am 10. Januar im kanadischen Fernsehen.

Kanada besonders schwer betroffen

138 Passagiere waren auf dem Weg nach Kanada, 63 von ihnen hatten die kanadische Staatsbürgerschaft, andere studierten in dem nordamerikanischen Land. Fast alle waren iranische Akademiker und Dissidenten, die in ihrer Heimat keine Zukunft mehr für sich sahen und ausgewandert waren. Ansonsten befanden sich Ukrainer, Afghanen, Briten und Schweden an Bord. 

Laut der kanadischen Einwanderungsbehörde sind mehr als 800.000 kanadische Bürger iranisch-stämmig oder haben die doppelte iranische und kanadische Staatsbürgerschaft. Fast jeder Iraner hat Familienmitglieder, Verwandte oder Freunde, die nach Kanada ausgewandert sind. Fast jeder Iraner hätte bei diesem Flugzeugabsturz einen geliebten Menschen verlieren können. 

Verein will internationale Anklage gegen Iran

Hamed Esmaeilion verlor seine Frau und seine Tochter. Esmaeilion stammt dem Iran und lebt als Zahnarzt und Schriftsteller in Toronto. Viele Iraner kennen ihn aus seinem mittlerweile in 7. Auflage erschienenen Roman "Thymian ist nicht schön". Esmaeilion ist Sprecher eines Vereins, der sich für die Hinterbliebenen des Absturzes einsetzt.

"Ich widme mein Leben der Gerechtigkeit", sagt der Esmaeilion in einem Youtube-Video. "Wir glauben nicht, dass der Iran diese Katastrophe jemals vollständig aufklären wird." Deshalb sammelt der Verein Spenden für Anwaltskosten. Das Ziel: Den Iran vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen.

Die von dem Verein vertretenen Hinterbliebenen - es sind nicht alle - lehnen die Entschädigungsangebote der iranischen Regierung ab und fordern statt dessen eine lückenlose Aufklärung. Der Iran hatte im Dezember 2020 den Hinterbliebenen der 176 Opfer jeweils umgerechnet 150.000 US-Dollar als Entschädigung angeboten. 

Warum die zweite Rakete?

Erst drei Tage nach dem Absturz, am 11. Januar 2020, gaben die iranischen Revolutionsgarden zu, das Flugzeug versehentlich abgeschossen zu haben. Drei Tage lang hatte sich der Kommandeur der Luftwaffe der Revolutionsgarden, Amir Ali Hajizadeh, für den Luftangriff auf US-Stützpunkte feiern lassen. Nun stand er wieder vor Kamera und entschuldigte sich: "Ich wünschte, ich wäre tot. Es ist ein katastrophaler Fehler passiert." Ein technischer Fehler habe zu dem Unglück beigetragen. Die ukrainische Maschine war nach Hajizadehs Worten als potenzielle Gefahr eingestuft worden. Der zuständige Offizier hatte danach nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob er eine Luftabwehrrakete abfeuere oder nicht. "Und leider tat er es", sagte der Luftwaffenkommandeur.

Warum 25 Sekunden nach der ersten Rakete eine zweite abgefeuert wurde, ist allerdings bis heute nicht geklärt. Die erste Rakete hatte das Flugzeug zwar getroffen und beschädigt, aber es konnte weiterfliegen. Der Flugschreiber, den der Iran an die Ukraine übergeben wollte und der nach monatelangen Auseinandersetzungen nach Frankreich geschickt wurde, zeigt, dass das Flugzeug seinen Kurs zurück zum Teheraner Flughafen geändert hatte. Das unaufgeklärte Unglück belastet die Beziehungen zwischen Teheran und den fünf betroffenen Ländern bis heute.